Corona-Regeln: OVG Saarland hebt Quadratmeter-Vorgabe für Einzelhandel auf
Ein Gericht im Saarland hat eine Corona-Beschränkung im Einzelhandel vorläufig aufgehoben. Das dortige Oberverwaltungsgericht in Saarlouis hat eine Regelung der dortigen Corona-Verordnung als unverhältnismäßig aufgehoben, die dem Einzelhandel vorschrieb, maximal einen Kunden pro 40 Quadratmeter Verkaufsfläche bedienen zu dürfen.
Demgegenüber nannte die Verordnung privilegierte Arten von Geschäften wie Supermärkte, in denen die Beschränkung lediglich maximal 15 Quadratmeter pro Kunde umfasste.
Saarland ließ auch Buchhandlungen öffnen
In seiner Entscheidung zu Az. 2 B 58/21 hat das Gericht für diese Differenzierung keine Rechtfertigung erkennen können, die sich aus den zu erwartenden Auswirkungen auf das Infektionsgeschehen ergäbe. Im Ergebnis seien das Grundrecht der Berufsausübungsfreiheit und die Eigentumsgarantie verletzt.
Die Verordnung untersagte „die Öffnung von Ladengeschäften des Einzelhandels sowie die Öffnung von Ladenlokalen, deren Betreten zur Entgegennahme einer Dienst- oder Werkleistung erforderlich ist“.
Einige in der Verordnung explizit genannte Bereiche des Handels und der Dienstleistung sind davon ausgenommen, neben Lebensmittelhändlern, Banken, Apotheken oder anderen Geschäften des grundlegenden Bedarfs werden unter anderem auch Verkaufsstellen für Schnittblumen und Topfpflanzen sowie Buchhandlungen genannt.
Computer-Fachhändlerin wehrte sich gegen Einschränkungen
Gegen die Bestimmung geklagt hatte die Betreiberin eines Fachgeschäfts für IT-Technik, das über eine Verkaufsfläche von 140 Quadratmetern verfügt. Diese argumentierte, dass in ihrem Geschäft täglich im Schnitt 18 Kassenbons anfielen, was drei zahlenden Kunden pro Stunde entspräche. Die Größe des Geschäfts gewährleiste ausreichend Abstand und es gäbe auch die Gelegenheit, Kunden in einem Wartebereich oder vor dem Laden warten zu lassen.
Es gebe Abstandsvorkehrungen, ein Hygienekonzept und Ansteckungen, die sich in dem Geschäft abgespielt hätten, seien nicht bekannt. Die Unternehmerin zweifelte die Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit an und machte auch formalrechtliche Bedenken wie die Verletzung des Zitiergebots geltend.
Möge eine Maßnahme dieser Art zu Beginn der Krise gerechtfertigt gewesen sein, als man noch nicht über ausreichend Daten und Erfahrungswerte verfügt hätte, würde dieser Übergangszeitraum mittlerweile längst beendet sein.
Dass dieser nicht genutzt worden sei, um eine valide Datengrundlage für angemessenere Maßnahmen zu generieren, dürfe nicht auf Kosten der Betroffenen gehen. Die Einzelunternehmen und mithin auch die Klägerin würden „seit über einem Jahr ‚zugrunde verordnet‘ und ‚weggesperrt‘, ohne dass der Gesetzgeber sich der Problematik annehme“.
„Click & Collect“ oder „Click & Bring“ kein Ersatz für regulären Dienst am Kunden
Die Verwaltung trat dem Ansinnen der Antragstellerin entgegen und erklärte, die Maßnahmen seien erforderlich, um das Infektionsgeschehen einzudämmen und die Entstehung einer akuten Gesundheitsnotlage zu verhindern.
Zu diesem Zwecke müssten auch Kontakte zwischen Personen minimiert werden und die Schwere des Eingriffs stünde auch nicht außer Verhältnis zum Verordnungszweck.
Zudem habe die Antragstellerin die Möglichkeit, die Optionen von Abhol- oder Lieferdiensten in Form von „Click & Collect“ oder „Click & Bring“-Diensten zu nutzen sowie Wirtschaftshilfen in Anspruch zu nehmen.
Insoweit müsse „eine Folgenabwägung zu dem Ergebnis kommen, dass das Vollzugsinteresse das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin überwiegt“.
Rechtfertigung für Ungleichbehandlung nicht zu erkennen
Das OVG bezweifelt, dass der Verordnungsgeber im gegenständlichen Fall das Übermaßverbot und die Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit in ausreichendem Maße beachtet hat. Insbesondere mit Blick auf das allgemeine Gleichbehandlungsgebot könne nicht mehr davon ausgegangen werden, dass diesem in gebotener Weise Rechnung getragen wurde.
Eine seuchenrechtlich nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung vollziehe voraussichtlich die in der Verordnung enthaltene Mischsortimentsklausel mit Blick auf spezialisierte Einzelhändler, deren Warensortiment auch SB-Warenhäuser, Vollsortimenter, Discounter und Supermärkte bedienen könnten. In Bezug auf diese wären Unternehmen wie jenes der Antragstellerin in unbilliger Weise benachteiligt.
Es sei auch nicht nachvollziehbar, warum in Geschäften wie jenem der Computerhändlerin strengere Bestimmungen bezüglich der Besucher pro Quadratmeter gelten sollten als bei Supermärkten oder anderen „privilegierten“ Geschäften.
Dies gelte umso mehr, als die Antragstellerin über ein Hygienekonzept verfüge und zusätzliche Maßnahmen wie Lüftung gegen die Ausbreitung von Aerosolen umsetzbar seien. Es sei zumindest nicht ersichtlich, dass Menschenansammlungen in dem Ladenlokal entstehen würden, die zu einem größeren Ausbreitungsrisiko führen könnten.
Mehr Tests – höhere Corona-Inzidenzzahlen
Zu den formalrechtlichen Bedenken und der Angemessenheit des Knüpfens von Corona-Maßnahmen an Inzidenzwerte nahm das Gericht nicht näher Stellung, zumal ein Eilverfahren nicht der Ort dafür sei. Es wurde jedoch darauf Bezug genommen, dass ein größeres Testvolumen zwangsläufig auch einen Anstieg der Inzidenzzahlen nach sich ziehen würde:
„Wenn man mit dem Verordnungsgeber davon ausgeht, dass die Anzahl beziehungsweise der Anteil der asymptomatisch an Covid-19 erkrankten Personen ‚deutlich‘ beziehungsweise ‚kontinuierlich‘ angestiegen ist, dürfte übrigens die angekündigte – als solches ganz sicher sinnvolle – Ausweitung von Testungen der Bevölkerung bei einem aktuell stabilen Anteil der positiven Testergebnisse an der Gesamtzahl der Laborfälle von 6,23 Prozent zu einem steigenden Inzidenzwert führen.“
Ein Blick auf aktuelle Daten des Gesundheitsministeriums lasse jedoch den Schluss zu, dass „die Situation weder bei den aktuell vorgehaltenen Betten zur Intensivbehandlung noch bei den Betten mit Beatmungsmöglichkeit derzeit ein Erreichen der Belastungsgrenze nahelegt“. Häufungen von Corona-Fällen träten demgegenüber „insbesondere in Haushalten, im beruflichen Umfeld und in Alten- und Pflegeheimen“ auf.
Neuregelung müsste auch Hygienekonzepte im Einzelhandel würdigen
Im konkreten Fall spreche jedenfalls einiges dafür, „dass die auch in ihrer Dauer zu bewertenden Eingriffe in die genannten Grundrechte der Antragstellerin vor dem Hintergrund der aktuellen ‚Corona-Lage‘ im Saarland zumindest ernsthaften Bedenken hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit unterliegen“.
Der saarländische Verordnungsgeber habe die Möglichkeit, die Verordnung anzupassen. Allerdings müsse er neben den Äußerungen des Robert Koch-Instituts (RKI) auch „die Bedeutung der Einhaltung der Hygienevorgaben im Betrieb der Antragstellerin und in vergleichbaren Geschäften des Einzelhandels“ in angemessener Weise würdigen.
(Mit Material von afp)
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