Chiquita-Morde: In Kolumbien sterben Menschen nicht nur für Koks, sondern auch für Bananen

Bananenfelder bergen düstere Geheimnisse. Eine der in Europa bekannten Marken hat Dreck am Stecken – Chiquita unterstützte jahrelang die paramilitärische bewaffnete Gruppe AUC. Nun kommt der Fall vor Gericht.
Titelbild
So werden Lastwagen mit Bananen für den Transport bei El Jardin Antioquia (Kolumbien) beladen.Foto: iStock
Von 12. Juni 2023

Chiquita-Bananen sind in ganz Europa in den Supermärkten zu finden. Seit Beginn des Fruchthandels in den 1800er-Jahren ist das Unternehmen in eine Reihe blutiger historischer Ereignisse verwickelt. Jetzt könnte der Konzern ernsthaft zur Rechenschaft gezogen werden.

2008 wurde das US-Unternehmen Chiquita Brands International Inc. von 2.154 kolumbianischen Klägern verklagt. Die Kläger fordern vom Gericht eine unbestimmte Summe an Strafschadenersatz. In ihrer Erklärung behaupten sie, dass das Unternehmen an einem Massaker an ihren Angehörigen mitwirkte.

Jahrelang unterstützte Chiquita die bewaffnete Gruppe AUC. AUC bezeichnet die „Vereinigten Selbstverteidigungskräfte Kolumbiens“, eine rechtsgerichtete paramilitärische Gruppe, die gegründet wurde, um vor Ort Kommunisten und Arbeiterrebellen zu bekämpfen. Laut der Anklageschrift unterstützte der Konzern die Organisation und ihre Operationen während der Massentötungen durch die AUC zwischen 1997 und 2004.

Erste Verhandlung endlich angesetzt

Nach mehr als 15 Jahren Verzögerungen und Misserfolgen scheint der Prozess nun in Gang zu kommen. Die erste persönliche Verhandlung wurde nun für Januar 2024 vor dem Bundesgericht in Florida angesetzt.

Chiquita ist kein einfacher Prozesspartner. Das Unternehmen ist derzeit in 70 Ländern vertreten und beschäftigt circa 20.000 Mitarbeiter. Sein Jahresumsatz beträgt fast eine Milliarde US-Dollar und sein Marktanteil in den Vereinigten Staaten liegt bei 40 Prozent.

Die Ursachen des Konflikts gehen weit zurück.

Chiquita-EU-Bio-Bananen. Das Unternehmen beliefert den europäischen Markt in jedem Monat des Jahres mit Bananen. Foto: iStock

Anfänge der Bananen und der United Fruit Company

Bananen stammen ursprünglich aus Südostasien. Von Insel zu Insel und von Kontinent zu Kontinent verbreiteten sie sich über die ganze Welt. Ihre erste dokumentierte Präsenz in Europa geht auf das 3. Jahrhundert vor Christus zurück.

Nach Amerika gelangte sie durch einen Mönch, zumindest laut den historischen Aufzeichnungen. Der spanische Dominikanermönch Thomas de Berlengas und späterer Bischof von Panama nahm 1516 einige Bananen mit nach Santo Domingo. Santo Domingo ist die älteste von Europäern errichtete Stadt in Mittelamerika, die größte Stadt der Westindischen Inseln in der Karibik und gehört heute zur Dominikanischen Republik.

Arbeiter auf einer typischen Bananenplantage in Nicaragua, 1894. Foto: Public Domain

Im heutigen Mittel- und Südamerika wurden wenig später große Plantagen für den Anbau angelegt. 1876 setzte die Banane ihre Karriere auf der Weltausstellung in Philadelphia fort. Der Erfolg der Obstsorte war so groß, dass schon bald Schilder auf den Straßen von New York auftauchten, die vor den Gefahren des Werfens von Bananenschalen warnten.

Bananenwagen, New York um 1900 bis 1909. Foto: NYPL Digital Collections

Bananen wurden zum großen Geschäft für die Händler, die sich in den späten 1800er-Jahren zur United Fruit Company zusammenschlossen.

Dieses Unternehmen übernahm de facto die Kontrolle über mehrere Länder in Mittelamerika. Die „Bananenrepubliken“ wurden gegründet: Guatemala, Honduras, Ecuador, Costa Rica und Panama. Mit Kühlschiffen wurden Unmengen Bananen auch damals schon nach Europa transportiert.

SS Abangarez in der Bucht von San Francisco, Kalifornien, Ende 1945 oder Anfang 1946. Dieser Bananentransporter der United Fruit Company wurde 1909 in Irland gebaut. Foto: Public Domain

Über tausend Tote beim Bananenmassaker der United Fruit Company

Die Eigentümer der United Fruit Company machten riesige Gewinne, nahezu unbehelligt von Steuern oder Zöllen. Denn in den von ihnen kontrollierten Gebieten waren alle von ihnen abhängig – auch die Regierungen. Arbeitsrechtliche Vorschriften gab es nicht. Die Landarbeiter schufteten sieben Tage pro Woche für wenig Geld auf den Bananenplantagen.

Um 1920 schlossen sich Kolumbiens Landarbeiter zusammen, um bessere Arbeits- und Lebensbedingungen zu fordern. Sie verlangten eine Entschädigung für Unfälle am Arbeitsplatz, die Sechs-Tage-Woche und reale Löhne anstelle von Gutscheinen für Dienstleistungen.

Die Streiks wurden am 12. November 1928 auf Antrag der United Fruit Company von der Regierung blutig niedergeschlagen. Mehr als tausend Menschen wurden an jenem Tag auf dem Hauptplatz der Stadt Cienaga von Maschinengewehren der Armee erschossen. Die kolumbianische Regierung wertete dies als eine blutige Niederschlagung des „kommunistischen Widerstandes“.

Befriedet waren die Arbeiter jedoch nicht. Sowohl der Obstkonzern als auch die Regierung waren darauf aus, Aufwiegler zu fangen. Sie nannten sie „kommunistische Führer“. Nach dem Massaker flohen viele der verfolgten Arbeiter und suchten Zuflucht in den Bergen.

Die Anführer des Streiks der Bananenplantagenarbeiter. Von links nach rechts: Pedro M. del Rio, Bernardino Guerrero, Raul Eduardo Mahecha, Nicanor Serrano und Erasmus Coronell. Guerrero und Coronell wurden bei dem Massaker im Jahr 1928 getötet. Foto: Öffentliches Bild/Archiv Luis Angel Arango Bibliothek

Das Blut mit einem neuen Konzernnamen abwaschen: Chiquita

Die offiziellen Archive der United Fruit Company enthalten Dokumente zu Zerstörungen, welche die Arbeiter als Teil ihres Protestes an den Geschäften, Wohnhäusern, Bodegas und Telefonleitungen des Unternehmens anrichteten. Die Proteste rissen nicht ab. Die Reaktionen des Konzerns blieben ähnlich.

Schließlich hatte die United Fruit Company zu viel Blut an ihren Händen. Das Unternehmen wechselte 1968 sowohl Namen als auch Besitzer.

Eli M. Black wandelte den berüchtigten Markennamen des Unternehmens in United Brands Company um. Nur wenige Jahre später, im Jahr 1974, verursachte der Hurrikan Fifi massive Schäden in der Region. Angeblich war es dieser Schaden, der Black dazu veranlasste, am 3. Februar 1975 aus dem 44. Stock des Pan-Am-Gebäudes in New York City zu springen.

Das Unternehmen, das weiterhin einen zweifelhaften Ruf hatte, wurde später von einer Firma aus Cincinnati aufgekauft. So entstand der Name „Chiquita“, unter dem der Konzern heute firmiert.

Quasi-Kolonialmacht und ihre Beziehung zu den AUC

Das riesige Unternehmen, das heutzutage unter dem Namen Chiquita läuft, war weiterhin eine Quasi-Kolonialmacht in der Region, der ein großer Teil des Ackerlandes gehört. Der Konzern ließ einen Gutteil dieses Landes brach liegen und verwehrte Konkurrenten die Möglichkeit zum Aufstieg. Gleichzeitig investierte Chiquita in die infrastrukturelle Entwicklung und die Züchtung von Bananensorten.

Doch die Verhältnisse wurden nicht friedlicher. Auseinandersetzungen zwischen den Landarbeitern und der Regierung beherrschten weiterhin das Gebiet. Außerdem wurden paramilitärische Gruppen gebildet, um die kommunistischen Guerillakämpfer zu besiegen. Informell wurden sie von der Regierung unterstützt, finanziell von den Eigentümern der lokalen Unternehmen, von Landbesitzern und Drogenbaronen.

Damit sind wir zurück bei den AUC. Denn eine der bekanntesten paramilitärischen rechten Gruppen – die AUC – erhielt auch Finanzmittel von Chiquita.

Die AUC sind politisch sehr gut vernetzt. Mehr als 250 führende Politiker, darunter 72 Kongressabgeordnete und 15 Gouverneure, wurden bereits wegen ihrer Verbindungen zu den AUC in einem als „Parapolitik“ bekannten Skandal verurteilt.

1,7 Millionen US-Dollar und 25 Millionen Dollar Geldbuße

Von Chiquita flossen zwischen 1997 und 2004 insgesamt 1,7 Millionen Dollar an die AUC. Die Einheiten der AUC hatten etwa 30.000 Mitglieder und wurden 2001 von der US-Regierung als terroristische Organisation eingestuft.

Angeblich hat das Bananenhandelsunternehmen dem US-Justizministerium im Jahr 2003 freiwillig mitgeteilt, dass es mit der Terrororganisation Geschäfte gemacht hat.

Die daraufhin eingeleiteten Ermittlungen dauerten bis 2007. Schließlich gab Chiquita ein Schuldeingeständnis ab und man einigte sich auf 25 Millionen Dollar Geldbuße. Das entspricht für die sieben Jahre, für welche die Finanzierung der AUC durch Chiquita nachgewiesen ist, der Hälfte der Gewinne Chiquitas in Kolumbien.

Kolumbiens Regierung in Bogota war über die Entscheidung empört. Laut Vizepräsident Francisco Santos Calderon sind die AUC für den Tod von Zehntausenden Kolumbianern verantwortlich. Innenminister Carlos Holguin erklärte, es sei „inakzeptabel, dass [sich] ein multinationales Unternehmen für 25 Millionen Dollar Immunität kaufen kann“. Die Minister verlangten, dass das Geld an die Angehörigen der Ermordeten gehen sollte.

Tausende Kläger warten auf Entschädigung

Die Geschichte geht noch weiter. Daraufhin wurde 2008 eine Klage zwecks Entschädigung eingereicht, in der sich mehr als 2.154 lokale Opfer gegen Chiquita zusammenschlossen.

Laut IRAdvocates, der Rechtsvertretung der Beklagten, hat Chiquita zugegeben, die AUC sieben Jahre lang finanziert zu haben. Es stehe außer Frage, dass Tausende unschuldige Zivilisten in den Bananenplantagen von den AUC ermordet wurden. „Anstatt die Verantwortung für die Zerstörung ganzer Gemeinden durch seine angeheuerten Bewaffneten zu übernehmen, hat sich Chiquita auf einen langwierigen Rechtsstreit eingelassen“, schreibt die Organisation auf ihrer Website.

Die Hauptargumente von Chiquita sind laut den Anwälten, dass sie „gezwungen“ wurden, die AUC zu bezahlen, und dass die Kläger nicht beweisen können, dass ihre Familienmitglieder von den AUC und nicht von anderen Kriminellen getötet wurden. Tatsächlich hat sich gerade der Nachweis dieser Zusammenhänge am schwierigsten erwiesen. Daher zog sich der Fall bis jetzt hin.

In den neuesten Entwicklungen hat Richter Kenneth Marra nun den ersten Verhandlungstermin für den 16. Januar 2024 in dem Fall festgelegt, der jetzt in Florida verhandelt wird. Hier wird die erste Gruppe von 17 Angeklagten erscheinen, um sich vor einer US-Bundesjury zu äußern. Die Festlegung des ersten Verhandlungstermins am 15. März 2023 ist für die mehr als 2.000 Kläger, die seit 15 Jahren prozessieren, ein historischer Tag.

Massengräber in Venezuela, damit die Opferzahl in Kolumbien niedrig bleibt

Im Jahr 2018 wurden zusätzlich zu den Zivilklagen der Geschädigten auch 13 „Bananenbeamte“ offiziell für Verbrechen gegen die Menschheit angeklagt. Diese Chiquita-Führungskräfte waren persönlich an den Zahlungen an die Terrororganisation beteiligt.

2012 wurden erneut noch andere strafrechtliche Ermittlungen gegen Chiquita aufgenommen. Es wurden zusätzliche Beweise und Zeugenaussagen gefunden, die darauf hindeuteten, dass die paramilitärischen Gruppen tatsächlich von konkreten Geschäftsleuten unterstützt worden waren. Das gesamte Archiv umfasst 48.000 Seiten. Der Fall ist noch nicht abgeschlossen.

Mitte Mai legte außerdem eines der Mitglieder der Terrororganisation ein persönliches Geständnis ab. Salvatore Mancuso Gómez, ehemaliger Kommandeur der AUC, sagte per Videoanruf vor dem kolumbianischen Sondergerichtshof für den Frieden (Jurisdicción Especial para la Paz, GEP) aus. In seiner sechstägigen Anhörung beschrieb er die Verbindungen der ehemaligen paramilitärischen Gruppe zu hochrangigen Politikern, Unternehmern und militärischen Befehlshabern.

Während der Anhörung erklärte der Kommandeur, dass sich die AUC auch direkt in die kolumbianischen Präsidentschaftswahlen 1998 und 2002 eingemischt haben.

Mancuso, der den Catatumbo-Block in Norte de Santander an der nordöstlichen Grenze Kolumbiens leitete, deckte zudem die Lage geheimer Massengräber auf. Laut seiner Aussage wurden in Venezuela geheime Gräber benutzt, um die Zahl der bekannten Opfer in Kolumbien gering zu halten: „Es gibt mehr als 200 Leichen in San Cristóbal, Ureña, San Antonio, La Fría und Boca de Grita.“

Angesichts der neuen Zeugenaussagen und der Verstrickung anderer großer Unternehmen wie dem Softdrink-Giganten Postobón und der in Bogotá ansässigen Brauerei Bavaria als Finanziers ist ein schneller Abschluss des Falles nicht zu erwarten.

Die Bananenfelder müssen noch viele Geheimnisse bergen. Foto: iStock



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