Chipkrise: Autobauer produzieren „auf Halde“
Der Mangel an Mikrochips ist dramatisch – und wegen der Lieferkrise macht bei Autokonzernen nun ein eher unschön klingender Begriff die Runde: „Halden-Produktion“.
Ob Bordrechner oder Sensor: In modernen Wagen steckt überall Elektronik. Doch die Versorgung mit Elektronikteilen stockt weiter. Wie lange noch, weiß niemand genau. Große Fahrzeug- und Lastwagenbauer sind gezwungen, unfertige Modelle erst einmal auf den Werkshof zu stellen. In der Hoffnung, sie baldmöglichst nachrüsten und ausliefern zu können.
In der Truck-Sparte von Daimler etwa gibt es einen erheblichen Bestand an produzierten Lkw, bei denen jedoch wesentliche Teile noch fehlen, wie ein Sprecher erklärte. „Diese Fahrzeuge werden von unseren Kunden dringend gebraucht. Wir würden sie auch gern ausliefern, warten aber auf die entsprechenden Teile.“ Betroffen ist unter anderem das große Lkw-Werk im rheinland-pfälzischen Wörth. Unlängst hatte bereits Vorstandschef Martin Daum in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ auf die schwierige Lage hingewiesen.
Zwischenlagerung
Bei den Pkw-Kollegen von Mercedes-Benz wird das Wort „Halde“ zwar offiziell vermieden. Zwischenlagerung sei durchaus normal, so eine Sprecherin – zum Beispiel während der Einführung neuer Modelle oder vor dem späteren Transport. Man spricht nun aber auch von einem zeitweise „erhöhten Aufkommen“ solcher Maßnahmen: „Es gibt weltweit Logistikflächen, die von Mercedes-Benz im Rahmen eines geplanten Vorgangs zur Zwischenlagerung von Fahrzeugen genutzt werden.“
Dass überschüssige Autos sich phasenweise in rauen Mengen auf dem Fabrikgelände oder eigens reservierten Abstellflächen ansammeln, ist in der Tat nichts Ungewöhnliches. Doch in der aktuellen Chipflaute sind die Vorzeichen anders. Bei konjunkturellem Absatzschwund wie nach der globalen Finanzkrise 2007/2008 stauen sich die Wagen, bis die Nachfrage wieder anspringt und Hersteller ihre Überkapazitäten in der Fertigung angepasst haben. Auch in den ersten Monaten der Corona-Krise im Frühjahr und Sommer 2020 war das vielerorts so. Nun können Fahrzeuge nicht ausgeliefert werden, obwohl die Nachfrage da ist.
Engpass und Kurzarbeit
Europas Branchenführer Volkswagen handelt ähnlich wie Konkurrent Daimler. Die einzelnen Marken nutzten jede Chance zur Produktion, heißt es. „Dazu gehört auch die Möglichkeit, Fahrzeuge zunächst unfertig zu bauen, um sie unverzüglich nachzurüsten, sobald die entsprechenden Halbleiter und Bauteile wieder vorrätig sind.“ Das komme aber nur infrage, falls der Mehraufwand nicht zu groß werde. „Bei jeder Marke gibt es konkrete Planungen für die Fertigstellung der Fahrzeuge, um sie sukzessive an den Handel und schnellstmöglich unseren Kunden zu übergeben.“
Gleichzeitig bremst der Chipengpass auch die laufende Produktion aus, weitere Kurzarbeit folgt. Im VW-Stammwerk Wolfsburg kann diese Woche bis Donnerstag nur an einer Montagelinie in einer Schicht gearbeitet werden. Laut Einkaufschef Murat Aksel ließ sich im ersten Halbjahr insgesamt schon eine hohe sechsstellige Stückzahl nicht produzieren, der Manager will „engere Partnerschaften“ mit der Halbleiterbranche.
Doch das Problem ist ein beharrliches. VW-Chefkontrolleur Hans Dieter Pötsch sagte der „Deutschen Presse-Agentur“ jüngst am Rande der Automesse IAA Mobility: „Wir müssen uns damit auseinandersetzen, dass wir bis ins erste Halbjahr 2022, vielleicht noch weitergehender mit Auswirkungen zu rechnen haben.“ Konzernchef Herbert Diess deutete an, die Vertragsstrukturen mit der Chipindustrie zu überprüfen: „Dann müssen wir uns wahrscheinlich direkter mit Halbleiterherstellern abstimmen und auch dort längerfristige Volumenzusagen eingehen.“
Milliardenverluste
Bei BMW gibt es ebenso Fahrzeuge, deren Bau nicht ganz beendet werden kann. Man reagiere schnell auf kurzfristig verfügbare Komponenten, um die Autos dann zügig fertigzustellen, erklärte eine Sprecherin.
Die Dimensionen sind inzwischen enorm. Der gesamten Autoindustrie könnten 2021 laut einer Schätzung der Beratungsfirma Alix Partners Einnahmen von gut 210 Milliarden US-Dollar (179 Mrd Euro) entgehen. In den USA laufen Spitzengespräche zum Umgang mit der Lieferkrise – dabei sind Apple, Intel, Ford, GM und die Peugeot-Mutter Stellantis.
Bei den Lastwagen und Bussen steht die Daimler Truck AG mit ihrem „Halden“-Problem nicht allein da. Der VW-Rivale Traton (MAN, Scania, Navistar), der den Stuttgartern vor allem in den USA Marktanteile abjagen will, rechnet nicht mit einer raschen Entspannung. Bis 2022 werde es wohl Elektronik-Engpässe geben, die Verkäufe litten schon. (dpa/oz)
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