Bundesregierung: Gas in deutschen Speichern muss nicht in Deutschland bleiben
Der Gesamtfüllstand der deutschen Gasspeicher lag mit 91,5 Prozent zu Ende September über den gesetzlichen Vorgaben. Die Bundesregierung sieht dies als bedeutenden Schritt zu einer sicheren Versorgung mit Gas für den Winter. Obwohl es gelang, die Speicher nach dem Ende russischer Lieferungen mit teuren Ersatzeinkäufen zu füllen, bleiben Unsicherheiten. Diese hängen unter anderem mit dem bislang kalten Herbst, mit dem Speicher in Rehden und mit der THE zusammen.
THE betreibt virtuelle Handelspunkte für Gas
Die Trading Hub Europe GmbH (THE) ist ein Zusammenschluss mehrerer Netzgesellschaften. Seit einem Jahr ist sie verantwortlich für das gesamtdeutsche Marktgebiet. Aufgabe der Gesellschaft ist es, die operative Abwicklung der Kooperation innerhalb des Marktgebiets sicherzustellen.
Die THE betreibt in ihrem deutschlandweiten Marktgebiet ein Hochdruckleistungssystem. Dieses verbindet mehr als 700 nachgelagerte Netze auf einer Gesamtlänge von knapp 40.000 Kilometern. Im Zentrum steht dabei der virtuelle Handelspunkt (VHP). Bei diesem handelt es sich um ein System, das der Abwicklung von Gaslieferungen innerhalb eines Marktgebiets dient.
Die virtuellen Handelspunkte sollen vor allem helfen, die Preise für das Gas selbst und jene für dessen Transport zu trennen. Auf diese Weise können Marktteilnehmer zwischen Ein- und Ausspeisung des Erdgases Preise festlegen und Übergabepunkte vereinbaren. In der EU gibt es etwa ein Dutzend größere VHPs. Die EU-Richtlinie über den Erdgasbinnenmarkt aus dem Jahr 2009 regelt deren Tätigkeit im Rahmen des europäischen Gasmarktes.
Spahn: Gas in deutschen Speichern ist nicht reserviert
Nun sorgt dieses System jedoch für zusätzliche Ungewissheit. Wie Unions-Fraktionsvize Jens Spahn in „Bild am Sonntag“ erklärt, lägen „Kenntnisse darüber, wohin das einzelne eingelagerte Gas fließt, […] der Bundesregierung nicht vor“. Dies gehe aus einem Schreiben hervor, das ihm das Bundeswirtschaftsministerium übermittelt habe. Demnach weiß die Bundesregierung nicht, welcher Anteil des eingespeicherten Gases im Winter tatsächlich für deutsche Unternehmen zur Verfügung steht.
Auch die Bundesnetzagentur bestätigte dies gegenüber dem Blatt. Von ihrer Seite hieß es:
Das gespeicherte Gas ist in weiten Teilen Eigentum von Gashändlern und -lieferanten, die häufig europaweit agieren.“
Daraus folgt jedoch, dass Gas, mit dem die deutschen Speicher befüllt sind, nicht auch automatisch für Abnehmer in Deutschland reserviert ist. Auch das mit Staatshilfe eingekaufte Gas im unter Treuhand gestellten Gazprom-Speicher Rehden können alle im deutschen Gasmarkt registrierten Unternehmen erwerben. Nach Angaben von Wirtschaftsministerium und Bundesnetzagentur bekomme der Höchstbietende den Zuschlag.
Bundesregierung gibt Entwarnung mit Verweis auf „europäische Solidarität“
Spahn wirft der Bundesregierung nun vor, diese wiege die Verbraucher in falscher Sicherheit. Sie müsse dringend einen Ausspeicherplan vorlegen, um sicherzustellen, dass das teuer eingekaufte Gas im Winter bei deutschen Verbrauchern ankomme.
Auch Linken-Parlamentsgeschäftsführer Jan Korte warnt gegenüber der Funke Mediengruppe vor einer Gasmangellage trotz sich gut füllender Gasspeicher. Gäbe es keinen klaren Verteilungsplan, würden Entscheidungen mit weitreichenden Konsequenzen für Verbraucher der Bundesnetzagentur als Behörde überlassen.
Das Bundeswirtschaftsministerium sieht in dem geltenden Reglement kein Problem. Dieses „entspricht den Vorgaben des europäischen Energiebinnenmarktes“, erklärte eine Sprecherin. Das Gas in den Speichern gehöre grundsätzlich den entsprechenden Händlern. „Wenn die Füllstandsvorgaben erreicht sind, können sie Gas auch verkaufen und der Verkauf folgt hier in aller Regel dem höchsten Preisangebot und dem am meisten liquiden Markt.“
Da im Europäischen Energiebinnenmarkt „gegenseitige Solidarität“ gelte, sei das kein Nachteil für deutsche Kunden. Deutschland nutze seinerseits etwa LNG-Anlandepunkte im niederländischen Rotterdam und im französischen Dünkirchen – und Frankreich habe in den vergangenen Wochen Gas nach Deutschland geliefert.
In bestimmten Situationen bestehen Handlungspflichten für Unternehmen
Bis 2022 waren deutsche Gasspeicher in erster Linie als Zwischenspeicher gedacht, weil die Versorgung aufgrund langfristiger Verträge als gesichert erschien. Die Frage der Bildung einer strategischen Reserve wurde erst mit Zuspitzung der Ukraine-Krise diskutiert. Zwar gab es bis April des Jahres eine von den Gasversorgern freiwillig angelegte Gasreserve. Verpflichtend war diese jedoch nicht. Die Reserve sollte helfen, temporäre Verbrauchsspitzen auszugleichen. Dafür wurde importiertes Gas in meist unterirdischen Speichern zwischengelagert. Erst seit dem Inkrafttreten des Speichergesetzes Ende April gibt es eine staatliche Gasreserve.
Die EU-Verordnung über Maßnahmen zur Gewährleistung der sicheren Gasversorgung aus dem Jahr 2017 nimmt jedoch bestimmte Erdgasunternehmen in die Pflicht. In außergewöhnlichen Krisensituationen sind sie verpflichtet, Maßnahmen zur Sicherstellung der Gasversorgung „geschützter Kunden“ zu ergreifen.
Zu den aufgezählten Krisensituationen gehört etwa extreme Kälte an sieben aufeinanderfolgenden Tagen. Weitere potenzielle Anwendungsfälle seien eine außergewöhnlich hohe Gasnachfrage über einen Zeitraum von 30 Tagen und der Ausfall der Gasinfrastruktur. Die Versorger sind jedoch nicht verpflichtet, physische Gasvorräte anzulegen. Es reicht aus, die Versorgungssicherheit durch bestehende Importverträge nachzuweisen.
Verband: Steigender Verbrauch von Gas macht Befüllen von Speichern wieder schwieriger
Der Gasspeicherverband ist trotz eines Gesamtfüllstandes von über 91,5 Prozent skeptisch, ob das Speicherziel von 95 Prozent zum 1. November erreicht wird. „Die steigenden Gasverbräuche aufgrund fallender Temperaturen reduzieren zunehmend die Einspeichermöglichkeiten“, sagte der Geschäftsführer des Speicherverbandes Initiative Energien Speichern (Ines), Sebastian Bleschke, der „Deutschen Presse-Agentur“.
Die deutschen Speicher müssen jeweils am 1. Oktober zu 85 Prozent gefüllt sein, schreibt das Energiewirtschaftsgesetz vor. Schon am 2. September hatte der Gesamtfüllstand diese Marke erreicht.
Sehr niedrige Verbräuche der Industriekunden in den vergangenen Wochen und Monaten haben sicherlich einen ganz wesentlichen Beitrag dafür geleistet.“
Bleschke sagte, für die Speicher Rehden in Niedersachsen und Wolfersberg in Bayern sei aufgrund der technischen Möglichkeiten zur Einspeicherung absehbar, dass weder 85 noch 95 Prozent erreicht werden könnten. „Um höhere Füllstände sicherzustellen, hätte THE als alleiniger Nutzer dieser Speicher die zur Verfügung gestellten technischen Einspeichermöglichkeiten schon in den vergangenen Monaten stärker ausnutzen müssen.“
Rehden ist der größte deutsche Speicher. Am Dienstag war er zu 76 Prozent gefüllt. Neben Wolfersberg lagen am Dienstag auch noch drei kleinere Speicher unter 85 Prozent.
(Mit Material von dpa und dts)
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