Arbeitszeit: Debatte um Verkürzung kehrt wieder – IG Metall will 32-Stunden-Woche

Die Tarifeinigung zwischen Deutscher Bahn und GDL hat die Debatte um eine Arbeitszeitverkürzung in Deutschland wieder angefacht. IG Metall und Linkspartei wollen gar die 32-Stunden-Woche zum Standard machen. Mittelstand und Industrie warnen vor unrealistischen Erwartungen.
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Jörg Hofmann, erster Vorsitzender der IG Metall.Foto: Annette Riedl/dpa/dpa
Von 3. April 2024

In den 1980er-Jahren war die 35-Stunden-Woche noch ein großes Thema in der öffentlichen Debatte. Nach der Wiedervereinigung und unter dem Banner der Globalisierung hatten viele Gewerkschaften die Forderung von der Tagesordnung genommen. Heute erlebt sie in Deutschland eine Renaissance – Grund dafür ist der jüngste Tarifabschluss von GDL und Deutscher Bahn. Bis zum Jahr 2039 soll die 35-Stunden-Woche für Beschäftigte im Schichtdienst zur Regel werden.

Linkspartei: Öffentlicher Dienst soll bei 32-Stunden-Woche vorangehen

Einigen geht die Forderung bereits nicht mehr weit genug. Die Linkspartei präsentierte jüngst ein Konzept, das eine 32-Stunden-Woche als Standard für den öffentlichen Dienst verankern soll. Dazu soll eine schrittweise Verkürzung der Arbeitszeit Platz greifen – und in weiterer Folge soll das Modell zum Vorbild für die Privatwirtschaft werden.

Bundesgeschäftsführer Ates Gürpinar erklärte, mit der Vier-Tage-Woche als Richtgröße bei vollem Lohnausgleich könnte die Regierung die Entwicklung in der Privatwirtschaft vorwegnehmen:

„Die Regierung schafft so einen Standard auf dem Arbeitsmarkt, an dem sich auch die private Konkurrenz orientieren muss, wenn sie neue Fachkräfte gewinnen will.“

Außerdem, so das ZDF, will die Linkspartei ein sogenanntes Wahlarbeitsgesetz erlassen. Dies solle mit einem individuellen Rechtsanspruch auf Änderung der Arbeitszeit einhergehen. Die Tarifpartner sollten hierzu die Einzelheiten regeln.

Versuche und flexible Modelle in mehreren Branchen und Ländern

Das Gesetz, das die Linke anstrebt, solle für Betriebe aller Größen und Branchen gelten. Besonderheiten bei kleinen Betrieben und bestimmten Tätigkeiten sollen bei Bedarf „in betrieblich angepassten Arbeitszeitkonzepten berücksichtigt werden“. Betrieben mit wenig Umsatz oder Gewinn sollte über staatliche Lohnzuschüsse der Weg in die Vier-Tage-Woche ermöglicht werden.

Außerdem solle eine „Anti-Stress-Verordnung“ neben die bestehenden Gefahrenverordnungen im Arbeitsschutz treten. Gewerkschaften und Betriebsräte könnten auf diese Weise leichter angepasste Maßnahmen erzwingen.

Tatsächlich haben einige Arbeitgeber in einigen Branchen bereits die Vier-Tage-Woche eingeführt – teilweise mit, teilweise ohne Stundenausgleich. Auch die Frage des Lohnausgleichs wird unterschiedlich gehandhabt. In Dänemark ist die 32-Stunden-Woche bereits in vielen Branchen weitverbreitet. In Belgien gibt es seit Ende des Vorjahres ein Recht auf eine Vier-Tage-Woche – allerdings ohne Lohnausgleich und Stundenkürzung.

Erfolgreicher Versuch mit 61 Unternehmen in Großbritannien

Bisherige Modellversuche und Vereinbarungen über Arbeitszeitverkürzungen hatten je nach Zeit, Branche und gesamtwirtschaftlicher Situation höchst unterschiedliche Auswirkungen. Von 1993 bis 2006 galt bei VW ein Vier-Tage-Modell ohne Lohnausgleich – und half damals, einen Abbau von Stellen zu verhindern.

In Großbritannien brachte ein Pilotversuch von 61 Unternehmen zur Vier-Tage-Woche positive Resultate. Beteiligt hatten sich Unternehmen aus den Bereichen Bankwesen, Versicherungen, aber auch Gastronomie. Der Versuch dauerte sechs Monate.

Am Ende behielten 51 Prozent die Regelung bei, weitere 38 Prozent erwogen eine Verankerung des Modells in der Zukunft. Immerhin hatte es keine Einbußen bei der Produktivität gegeben, der Umsatz war um 1,4 Prozent angestiegen. Gleichzeitig verringerte sich die Anzahl der Kündigungen und Krankenstände um mehr als die Hälfte. Offenbar hat die Konzentration der Arbeit auf weniger Stunden nicht zur Überforderung beigetragen – was allerdings auch auf vorherige Leerlaufphasen schließen lassen könnte.

Einzelne Unternehmen praktizieren auch in Deutschland bereits eine 35-Stunden-Woche oder andere Modelle mit verkürzter Arbeitszeit. Thyssen-Krupp gehört dazu; das Gillette-Werk in Berlin plant, demnächst ein Vier-Tage-Modell auszuprobieren.

Kritische Töne zur 32-Stunden-Woche in der Industrie

Die IG Metall strebt schon heute flächendeckend eine 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich an. Auf diese Weise soll in Zeiten des Mangels und des demografischen Niedergangs Deutschland international für Fachkräfte attraktiv werden.

Aus Sicht von Kritikern wie Motorsägenhersteller Nikolas Stihl ist das eine Fahrkarte für Industrieunternehmen zur Verlagerung der Produktion ins Ausland. Stihl will eine solche auch vollziehen, sollte die IG Metall sich durchsetzen. Auch Mercedes-Chef Ola Källenius warnt vor einer Verteuerung der Autos, sollte die 32-Stunden-Woche in der Industrie Platz greifen.

Noch kritischer dürfte die Lage bei personenbezogenen Dienstleistungen wie in der Pflege sein. Dort müssen Tätigkeiten 24/7 abgedeckt sein. Eine Arbeitszeitverkürzung setzt hier voraus, dass entweder noch mehr teure Überstunden geleistet werden oder mehr Personal eingestellt wird. Dies verteuert ebenso die Dienstleistungen. Zudem ist die Bezahlung in jenen Bereichen oft nicht hoch genug, um Fachkräfte über kurze Arbeitszeiten anzuziehen.

Gefährdet weniger Arbeitszeit die deutsche Kriegstüchtigkeit?

Vom Arbeitgeberverband und aus dem Mittelstand gibt es ebenfalls höchst skeptische Stimmen gegen flächendeckende Arbeitszeitverkürzungen. Für flexible Modelle zeigen sich die meisten offen – nicht aber dafür, dass in Summe weniger gearbeitet würde.

Der Bundesgeschäftsführer der Mittelstandsvereinigung BVMW, Christoph Ahlhaus, verweist darauf, dass Deutschland jetzt schon Wachstumsschlusslicht in Europa sei. In anderen EU-Ländern werde deutlich länger gearbeitet. Alle Arbeitsmodelle müssten durch Produktivität gedeckt sein:

„Statt Debatten über 4-Tage- oder 35-Stunden-Wochen brauchen wir wieder Lust auf Leistung und auf Wettbewerb.“

Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger plädiert dafür, dass sich „Arbeit wieder lohnen“ müsse. Auch die Kriegstüchtigkeit sieht er durch weitere Arbeitszeitverkürzungen gefährdet:

„Wir müssen mehr arbeiten – sonst fehlt uns auch das Geld für Sozialstaat und Landesverteidigung.“

Professor Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zufolge wäre es ein Fehler, eine 35-Stunden-Woche für alle per Gesetz oder Tarif festzulegen. Gegenüber der „Bild“ äußert er:

„Damit würden wir gut fünf Prozent unserer Arbeitskapazität verlieren.“



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