Arbeitgeberpräsident: Viele befinden sich in einer „Wohlstands- und Sicherheitsillusion“

In einem Interview hat Arbeitgeberpräsident Dulger beklagt, dass in Deutschland die Illusion vom „anstrengungslosen Wohlstand“ kultiviert werde. Tatsächlich gibt es mit Rente, Sozialabgaben, Bürokratie, Arbeitskräftemangel und Inflation ein giftiges Gemisch, das den Standort lähmt.
Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger spricht bei der Jahrestagung des Verbands Südwestdeutscher Zeitungsverleger (VSZV).
Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger.Foto: Bernd Weißbrod/dpa
Von 21. Mai 2024

Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger hat erneut vor einer Verschärfung der Krise der deutschen Wirtschaft durch unterbleibende Reformen im Rentensystem gewarnt. Insbesondere die abschlagsfreie Frührente bleibt aus seiner Sicht ein gravierendes Problem für den deutschen Arbeitsmarkt.

In einem Interview mit der „Augsburger Allgemeinen“ macht er erneut darauf aufmerksam, dass jährlich 500.000 Menschen mehr den Arbeitsmarkt verlassen als in diesen eintreten. Dies verschärfe den perspektivisch ohnehin schon gravierenden Fachkräftemangel. Ein Faktor, der dazu beitrage, sei die abschlagsfreie vorzeitige Altersrente.

Dulger sieht drei zentrale Stellschrauben für den Wirtschaftsstandort

Diese ist landläufig unter der Bezeichnung „Rente mit 63“ bekannt – auch wenn ein Antritt mit 63 mittlerweile immer seltener in der Praxis vorkommt. Tatsächlich ist ein solcher nur für Personen mit Jahrgang bis 1953 möglich. Bezüglich der Jahrgänge zwischen 1953 und 1963 verschiebt sich das frühestmögliche Eintrittsalter schrittweise nach oben. Später Geborene können nach 45 Beitragsjahren frühestens mit 65 Jahren vorzeitig abschlagsfrei die Altersrente antreten.

Im Jahr 2023 hatten – so die Zahlen der Deutschen Rentenversicherung (DRV) – rund 300.000 Menschen diese Form der vorzeitigen Altersrente in Anspruch genommen. Von allen Rentenzugängen entfielen der DRV zufolge etwa 30 Prozent auf diese Gruppe.

Dulger sieht vor allem drei Punkte als zentrale Herausforderungen für die Sicherung des deutschen Wirtschaftsstandortes an. Das sei zum einen der Abbau von Bürokratie. Zum anderen gehe es um die Steigerung des Angebots an Arbeitskräften. Es müsse aber auch die Wertschätzung der Arbeit durch „Mehr Netto vom Brutto“ gesteigert werden.

Staat kann ausbleibende private Investitionen nicht auffangen

Der Verband „Die jungen Unternehmer“ hatte vor einigen Monaten davor gewarnt, dass die Sozialbeiträge bis 2050 auf 50 Prozent des Arbeitslohns ansteigen könnten. Damit wäre ein „Kipppunkt“ erreicht, der die Motivation zumindest zu legaler Arbeit wegfallen ließe.

Dulger warnt in der „Augsburger Allgemeinen“ weiter davor, auf den Staat als Investitionsbooster zu setzen. Darauf zielen derzeit zahlreiche politische Debatten im Kontext der Schuldenbremse und deren möglicher Umgestaltung.

Der Arbeitgeberpräsident weist darauf hin, dass nach wie vor etwa 90 Prozent der Investitionen in Deutschland aus dem privaten Sektor stammten. Allerdings stammten immer weniger davon aus dem Ausland – und in den vergangenen drei Jahren habe die Summe der Nettoabflüsse jeweils rund 100 Milliarden Euro pro Jahr betragen. Dies sei ein Misstrauensvotum für den Standort. Derweil befinden sich Dulger zufolge viele Menschen im Land in einer „Wohlstands- und Sicherheitsillusion“.

Kritik von Dulger an Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung

Ein weiterer Faktor, der den Standort durch Entzug von Arbeitskräften schwäche, seien die Debatten über eine weitere Verkürzung der Wochenarbeitszeit bei vollem Lohnausgleich. Die Lokführergewerkschaft GDL hatte zuletzt in ihren Tarifverhandlungen das Thema der 35-Stunden-Woche wieder zurück auf die Tagesordnung gebracht. Die IG Metall liebäugelt mit einer Wochenarbeitszeit von 32 Stunden.

Dulger bezeichnet eine Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich als „Illusion“. In der Metall- und Elektroindustrie liege die Regelarbeitszeit bereits heute nur bei 35 Stunden in der Woche. Wo die Erbringung der Arbeit durch die Beschäftigten effizient möglich sei, könne dies auch in vier Tagen organisiert werden.

Allerdings fehle es in Deutschland am Erfolgshunger und am „Ehrgeiz in der Veränderung“. Es werde einen „anstrengungslosen Wohlstand“ nicht geben. Die öffentlichen Diskussionen drehten sich „zu oft um die Menschen, die nicht arbeiten und leider immer weniger um den Wert von Arbeit“.

Rückgang der Erwerbsbevölkerung wird zum globalen Problem

Im Jahr 2023 hatte die Arbeitslosenquote durchschnittlich rund 5,7 Prozent betragen. Im bisherigen Verlauf des Jahres war sie auf 6,1 Prozent angestiegen, im April lag sie bei sechs Prozent und um 19.700 Personen niedriger als im Monat davor. Im Jahr 2005 hatte sie im Jahresschnitt noch bei 11,7 Prozent gelegen.

Die Zahl der Erwerbstätigen war zuletzt von 2006 an stetig angestiegen, Ende 2022 gab es etwa 46 Millionen Erwerbstätige. Allerdings wird die erwerbsfähige Bevölkerung insgesamt in Deutschland trotz Zuwanderung bis 2035 voraussichtlich um vier bis sechs Millionen schrumpfen. Dies ist die Konsequenz aus den Renteneintritten geburtenstarker Jahrgänge und fehlenden Nachwuchses.

Infografik: Demografischer Wandel auf dem Arbeitsmarkt | Statista

Der Kampf um ausländische Arbeitskräfte wird perspektivisch auch härter werden. Weltweit sinkt der Anteil arbeitender Menschen an der Weltbevölkerung aufgrund stagnierender Geburtenzahlen und steigender Lebenserwartung. Der Rückgang der Erwerbsbevölkerung wird begleitet von ihrer zunehmenden Alterung.

Wie viel bleibt real von nominellen Lohnerhöhungen?

Die strukturellen Unwägbarkeiten, die sich aufgrund dieser Entwicklungen abzeichnen, drohen durch darüber hinausgehende ungünstige Rahmenbedingungen weiter verschärft zu werden. Höhere Lohnabschlüsse haben in einigen Branchen zumindest nominell bei den Betroffenen zu einer Stabilisierung der Kaufkraft beigetragen. Die Inflation war zuletzt auch sogar auf 2,2 Prozent gesunken.

Beobachter zweifeln jedoch daran, dass es dabei bleiben. Sie erwarten eine Erhöhung der Energiepreise infolge der Rückkehr der Mehrwertsteuer auf 19 Prozent bei Erdgas und Fernwärme. Auch bei den Lebensmittelpreisen ist eine erneute Steigerung nicht auszuschließen. Neutralisieren diese Faktoren die nominellen Lohnsteigerungen, fällt der Konsum weiterhin als Stütze für die Wirtschaftsentwicklung aus.



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