Große Versprechen, schwache Zahlen: Ist die Wirtschaftspolitik der Ampel gescheitert?

Wirtschaftsvertreter und Ampelregierung stehen sich anscheinend unversöhnlich gegenüber: Während die Ampel die eigene Reformbilanz verteidigt, sehen Wirtschaftsvertreter Deutschland auf der Verliererstraße. Wird Deutschland durch die Ampel gestärkt oder schwächt sie den Wirtschaftsstandort?
Die Exporte der deutschen Elektro- und Digitalindustrie sind im Mai wieder gefallen (Archivfoto)
„Wir haben eine ganz schwierige wirtschaftliche Lage in Deutschland“, sagt Oliver Zander, Hauptgeschäftsführer von Gesamtmetall.Foto: Daniel Maurer/dpa
Von 5. August 2024

Kürzlich hat die Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium, Franziska Brantner (Grüne), den Vorwurf aus der Wirtschaft zurückgewiesen, dass die Ampelkoalition dem Standort Deutschland verlorene Jahre beschert habe. „Die Generalkritik lasse ich so nicht stehen“, sagte die Grünen-Politikerin der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Freitagsausgabe). Und weiter:

Man muss ja sehen, von wo wir gestartet sind.“

Robert Habeck, ein „Reformer“

Nach 16 Jahren, „in denen die Große Koalition aus Bequemlichkeit eher den Status quo verwaltet, die Energiewende ausgebremst und Deutschland in die Abhängigkeit von russischem Gas geführt hat“, habe sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) getraut, „dringend notwendige Änderungen anzugehen“, sagte Brantner. „Er streitet für die dringend notwendige Modernisierung unserer Energieversorgung und unseres Wirtschaftsstandortes – und das unter schwierigen internationalen Bedingungen. Robert Habeck ist ein Reformer.“

So habe die Bundesregierung die Einwanderung von Fachkräften erleichtert, Exporthilfen für Unternehmen vereinfacht, die Digitalisierung im Stromsektor und die Energiewende vorangetrieben. „Rund um die Energiewende gibt es viele neue Unternehmensgründungen und eine neue Start-up-Kultur“, sagte Brantner weiter. „Ich würde längst nicht behaupten, wir hätten alle Hausaufgaben erledigt, ich könnte aber noch viel mehr von dem aufzählen, was wir unter dem öffentlichen Radar auf den Weg gebracht haben und das seine Wirkung erst noch entfalten wird.“ Beim Heizungsgesetz habe man „die Kritik ernst genommen, den Zeitdruck etwas rausgenommen und eine sehr gute Förderung aufgesetzt, die auch sozial gestaffelt ist“.

Der Dissens zwischen der Wahrnehmung der Ampel und der Wahrnehmung der Wirtschaftsvertreter könnte nicht größer sein. Der Präsident des Bundesverbandes der Industrie (BDI), Siegfried Russwurm, gab im April der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ) ein Interview. Russwurm warf der Ampel damals eine fehlgeleitete Wirtschaftspolitik vor, die dazu führe, „dass wir im Trend deutlich langsamer wachsen als fast alle vergleichbaren Länder und viele EU-Nachbarn“. Das bedeute: „Wir verlieren ihnen gegenüber kontinuierlich Marktanteile.“ Und der BDI-Präsident geht im Interview noch einen Schritt weiter: „Es waren zwei verlorene Jahre – auch wenn manche Weichen schon in der Zeit davor falsch gestellt wurden“, so das Resümee des BDI-Chefs.

Unterschiedlicher können die Beurteilungen kaum sein. Geht es der deutschen Wirtschaft wirklich so schlecht oder jammern ihre Vertreter nur auf hohem Niveau?

Wirtschaft schrumpft – Arbeitslosigkeit steigt

Schauen wir auf die nackten Zahlen. So ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im zweiten Quartal 2024 im Vergleich zum ersten Quartal 2024 – preis-, saison- und kalenderbereinigt – um 0,1 Prozent gesunken. Zum Jahresbeginn 2024 war es noch leicht gestiegen (+0,2 Prozent im ersten Quartal 2024 im Vergleich zum vierten Quartal 2023). Laut Angaben des Statistischen Bundesamts (Destatis) gingen vorwiegend die preis-, saison- und kalenderbereinigten Investitionen in Ausrüstungen und Bauten zurück.

Zum Vergleich: 2021, also in dem Jahr, in dem SPD, Grüne und FDP die Regierung übernahmen, verzeichnete das Bruttoinlandsprodukt noch ein Plus von 3,2 Prozent.

Am Mittwoch meldete die Bundesagentur für Arbeit die aktuellen Arbeitslosenzahlen. Die Arbeitslosenquote stieg demnach im Juli auf 6,0 Prozent. Damit lag sie 0,2 Prozentpunkte höher als noch im Juni. „Dabei fiel der Anstieg deutlich stärker aus als üblicherweise im Juli“, heißt es in der Pressemitteilung. Grund sei neben der einsetzenden Sommerpause demnach das schwache deutsche Wirtschaftswachstum.

„Die schwache Wirtschaftsentwicklung belastet den Arbeitsmarkt“, sagte der Vorstand Regionen der BA, Daniel Terzenbach. Die Zahl der Arbeitslosen war demnach in diesem Monat um 192.000 höher als noch im Juli vergangenen Jahres.

Der Bedarf an Arbeitskräften in den Unternehmen ging weiter zurück. Bei der Bundesagentur waren im Juli 703.000 Arbeitsstellen gemeldet. Das waren 69.000 weniger als vor einem Jahr. Der Stellenindex der Behörde, ein Indikator für die Nachfrage nach Personal, sank um zwei Punkte auf einen Wert von 107 Punkten. Im Vergleich zum Vorjahresmonat war das ein Rückgang um zwölf Punkte.

Diese Zahlen zeigen schon, dass es im Moment alles andere als gut läuft.

Besserung nicht zu erwarten

Regierungsvertreter versuchen immer wieder, Zuversicht auszustrahlen, und erklären, dass die Talsohle bald durchschritten ist und es wieder aufwärts geht. Zuletzt hatte dies der Bundeskanzler Anfang Juli im Bundestag betont:

Das kriegen wir hin.“

Damals ging es um das sogenannte Dynamisierungspaket, mit dem die Ampel der schwächelnden Wirtschaft neuen Schwung geben möchte. Das Paket ist inzwischen zusammen mit dem Haushalt 2025 auf den Weg gebracht. Der Bundestag, so der Plan, soll dieses bis November zusammen mit dem Haushalt beschließen.

Luft verschafft der Ampel diese Ankündigung allerdings nicht. Der Druck aus der Wirtschaft wird unvermindert aufrechtgehalten. „Wir haben eine ganz schwierige wirtschaftliche Lage in Deutschland“, erklärte gerade erst Oliver Zander, Hauptgeschäftsführer von Gesamtmetall, dem Dachverband der Metall- und Elektroindustrie, in einem Interview mit der „Wirtschaftswoche“

Die Unternehmen hätten sich von der Rezession 2019, der Corona-Pandemie 2020 und dem Ukraine-Krieg seit 2022 bislang nicht erholen können, sagt Zander mit Blick auf die Metall- und Elektroindustrie weiter. Diese gehört mit etwa 26.000 Unternehmen und 3,9 Millionen Beschäftigten zu den Schlüsselindustrien in Deutschland. „Aktuell liegt die Produktion 15 Prozentpunkte unter dem Vorkrisenniveau von 2018.“ Eine Ursache sei, dass Kunden verbuchte Aufträge „kaum oder nur zögerlich“ abrufen, was sich negativ auf die Auslastung der Unternehmen auswirke. Eine Besserung sei nicht zu erwarten.

Zander machte ebenfalls auf das Problem der mangelnden Investitionen aufmerksam. „Wir erleben derzeit eine regelrechte Investitionskatastrophe.“ Seit 2021 seien netto 300 Milliarden Euro an direkten Investitionen der Unternehmen aus Deutschland abgezogen worden. Nahezu täglich würden Firmen den Standort Deutschland verlassen oder Stellen abbauen. Diese Entscheidungen sollten als „Warnsignal“ verstanden werden, „denn wir verlieren mit jedem Industriearbeitsplatz erheblich an Wertschöpfung“.

Investitionen würden zunehmend im Ausland vorgenommen, „weil die Standortbedingungen in Deutschland nicht mehr wettbewerbsfähig“ seien. Dies führe dazu, dass veraltete Fabriken und Maschinen in Deutschland gegen Standorte konkurrieren müssen, an denen investiert werde und neue Fabriken entstünden. „International werden wir immer weiter abgehängt“, erklärte Zander.

Wachstumspaket als kleine Stellschrauben

„Wenn nicht bald umgesteuert wird, droht eine noch stärkere Deindustrialisierung“, warnte der Chef des Verbands der Metall- und Elektroindustrie. Im Wachstumspaket der Ampelkoalition seien „viele gute Maßnahmen enthalten, von verbesserten Abschreibungsmöglichkeiten bis hin zum Bürokratieabbau“. Dies seien jedoch nur „einzelne kleine Stellschrauben“.

Der Gesamtmetall-Chef forderte die Bundesregierung auf, das zu tun, „was jeder gute Unternehmer in Deutschland“ mache: „Richtig investieren und jede Position, die nicht gebraucht wird, streichen.“

Bundesregierung kostet Wirtschaft Milliarden

Auch der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Peter Adrian, äußerte sich kritisch gegenüber der Bundesregierung. Sein Brief an führende Verbandsmitglieder wurde bei „Bild“ durchgestochen.

Demnach „wären in Summe rund 250 Milliarden Euro mehr erwirtschaftet worden“, wenn das Bruttoinlandsprodukt in den Jahren 2023 und 2024 statt stillzustehen um je zwei Prozent gewachsen wäre. „Fast die Hälfte davon würden damit auch zusätzlich in den Steuer- und Sozialkassen landen.“ Adrian kritisierte, die Politik mute den Firmen „immer neue kleinteilige Regelungen und Pflichten zu, statt auf Kreativität und Wettbewerb um die besten Lösungen zu setzen“. Das verhindere den nötigen Aufbruch.

„Vielfach ist die Enttäuschung bereits in Frust umgeschlagen“, heißt es in dem Brief weiter. Nach Ansicht Adrians wollen einige Mitglieder der Bundesregierung bestimmte Probleme gar nicht lösen. Er habe in den vergangenen Monaten viele Gespräche mit Spitzenpolitikern geführt, zitiert die „Bild“ aus dem Schreiben. Es gebe „durchaus eine zunehmende Sorge um die wirtschaftliche Entwicklung“.

Gleichzeitig gebe es aber viele „diffuse Botschaften“. Manchmal entstehe der Eindruck, dass nicht sein könne, was nicht sein dürfe. Adrian fordert deshalb eine „Wirtschaftswende“ mit Entlastungen und Einhaltung der Schuldenbremse und appellierte an die DIHK-Mitglieder, dafür auch bei ihren Bundestagsabgeordneten zu werben.



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