Analyse: Nach erster Abgas-Quittung droht noch viel mehr
Diese Zeit ist nun vorbei: Volkswagen ist durch den Abgas-Skandal erstmals seit 1994 wieder in die Verlustzone gerutscht. Und die vielen Milliarden, die der Konzern für die Kosten der Auto-Rückrufe zurückgelegt hat, dürften erst der Anfang gewesen sein. Davon spricht VW selbst schon.
Ein Blick in die Quartalsbilanz zeigt: 6,7 Milliarden Euro haben die Wolfsburger bislang als Puffer geparkt, um die rund 11 Millionen betroffenen Autos weltweit umzurüsten und sich für weitere direkte Folgen zu wappnen. Die erste Frage ist, ob das reicht. Und die zweite Frage ist: Was kommt noch?
Vor allem für drohende Straf- und Schadenersatzzahlungen hat VW noch keine Reserven angelegt. In der Bilanz heißt es im Juristendeutsch dazu, dass „eine Bewertbarkeit der Rechtsrisiken im Zusammenhang mit der Dieselthematik zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht gegeben“ sei. Sprich: VW könne noch nicht abschätzen, was an Rechtskosten auf den Konzern zukommt, und hat deshalb noch keinen Puffer gebildet.
Der neue VW-Finanzchef Frank Witter betont auch, dass die Bilanzvorschriften das noch nicht forderten. Er räumt aber ein, dass auch andere Kosten als die bloßen Aufwendungen für die Rückrufe, „ihre Spuren hinterlassen“ werden. Die Folgen seien „enorm, aber zu managen“.
Nord-LB-Analyst Frank Schwope schätzt die Gesamtkosten für die Folgen des Diesel-Skandals auf mindestens 30 Milliarden Euro. Andere Schätzungen liegen zum Teil noch deutlich höher. Volkswagen listet die drohenden und bereits laufenden Rechtsstreitigkeiten fein säuberlich im Zwischenbericht auf: Strafverfahren mit möglichen Geldbußen gegen den Konzern; Schadenersatzklagen von betroffenen Kunden; Schadenersatzklagen von Anlegern, die sich getäuscht fühlen; Strafzahlungen von verschiedenen Behörden. Die Liste ist lang.
Das Finanzpolster des Konzerns ist allerdings noch einmal gewachsen. Knapp 23 Milliarden Euro hatte VW zum Ende des dritten Quartals an Bargeld auf der hohen Kante – rund fünf Milliarden mehr als noch vor drei Monaten. Der Großteil stammt aus dem Verkauf der Anteile am einstigen Partner Suzuki. Bis Ende des Jahres will VW zudem seine Beteiligung am niederländischen Leasinganbieter Leaseplan verkauft haben. Das Geschäft hat einen Wert von 3,7 Milliarden Euro.
Finanzchef Witter ist optimistisch, dass die 6,7 Milliarden Euro an Rückstellungen für die Rückrufe ausreichen. Darin sind aber noch nicht die Kosten für mögliche Entschädigungen der Kunden und auch noch keine drohenden Strafen und Rechtskosten enthalten. Und gerade die könnten VW noch über Jahre belasten. Der mögliche Rattenschwanz ist lang: Auch eine mögliche Rückzahlung staatlicher Subventionen, etwa Kaufanreize für Diesel, könnte auf VW zukommen.
Milliardenschwere Rückstellungen sind in der Wirtschaft nicht selten. Viele Großbanken haben laufend mit diesen Kosten für Risiken zu kämpfen. Wie viel Geld sie am Ende als Gewinn übrig behalten, hängt oft maßgeblich davon ab, ob ihre Rückstellungen für bestimmte Rechtsstreitigkeiten ausreichen – oder ob sie noch einmal nachlegen müssen.
Dem VW-Konzern droht nun ein ähnlicher Kampf mit der eigenen dunklen Vergangenheit. Und anders als bei anderen Streitigkeiten ist im Abgas-Skandal eines glasklar: VW hat manipuliert. Das räumte der Konzern längst ein.
„Das dicke Ende“ könne bei VW schon Ende des Jahres kommen, vermutet Börsenhändler Oliver Roth von der Investmentbank Oddo Seydler. „Da werden die eigentlichen Rückstellungen vorgenommen.“ Auch Nord-LB-Experte Schwope sagt: „Ich erwarte, dass die Rückstellungen in den kommenden Quartalen deutlich anwachsen werden.“
Bei allen Ungewissheiten zu Anlass, Zeitpunkt und Höhe weiterer Rückstellungen: So wie es aussieht, trifft der VW-Skandal auf jeden Fall das Gemeinwesen. Viele VW-Standorte haben schon Haushaltssperren verhängt, denn der Konzern wird angesichts der alarmierenden Bilanz deutlich weniger Steuern zahlen.
(dpa)
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