Aktuelle Welle von emotionalen Kampagnen

Von 26. November 2006

Eigenverantwortung, Optimismus und ein gemäßigter, „unbeschwerter Patriotismus“ – das sind zentrale Botschaften, die lose Allianzen großer Unternehmen in der Bevölkerung verbreiten wollen. Die aktuelle Welle von Kampagnen aus der Wirtschaft – mit „Du bist Deutschland“ als bekanntestem Beispiel – wird sich auch nach der Fußball-Weltmeisterschaft fortsetzen.

Solche hoch emotionalisierten Kampagnen ergänzen gut die bereits etablierten Foren, über die Botschaften der Wirtschaft in Medien und politischen Diskurs gelangen. Dazu zählen PR-Projekte wie die von Arbeitgeberverband Gesamtmetall finanzierte „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM) und Think Tanks wie die „Stiftung Marktwirtschaft“. Die „neuen“ Stimmungskampagnen werden von klassischen Werbeagenturen entwickelt, die zunehmend auf das Feld der politischen Kommunikation drängen und Techniken der Produktwerbung auf die Politikwerbung übertragen. Das sind zentrale Ergebnisse einer neuen Untersuchung des Politikwissenschaftlers Dr. Rudolf Speth.

Gefördert von der Hans-Böckler-Stiftung beleuchtet der Privatdozent am Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften der Freien Universität Berlin Entstehung und Wirkung von Stimmungskampagnen. Im Mittelpunkt steht „Du bist Deutschland“, das ursprünglich im Umfeld der „Partner für Innovation“ angesiedelt war, einer Ende 2003 von der damaligen rot-grünen Bundesregierung angeregten Initiative namhafter Wirtschaftsunternehmen. Umgesetzt wurde „Du bist Deutschland“ jedoch letztlich als Kampagne privater und öffentlich-rechtlicher Medienunternehmen.

Neue Trends der politischen Kommunikation

Darüber hinaus analysiert Dr. Speth in seiner Studie die Arbeit der „Stiftung Marktwirtschaft“ sowie die veränderte Strategie der INSM nach der Bundestagswahl 2006. So ergibt sich ein Gesamtbild aktueller Ansätze aus der Wirtschaft, in den politischen Diskurs einzugreifen. Sie spiegeln oft auch die neuesten Trends in der politischen Kommunikation wider. Der Wissenschaftler fasst seine Resultate in zwölf Thesen zusammen:

Es gibt gegenwärtig eine zweite Welle von Kampagnen, die das Ziel haben, die politische Agenda und die Stimmung zu beeinflussen. Sie unterscheidet sich deutlich von einer ersten Welle nach dem Ende der Kohl-Regierung. Damals wurden im bürgerlichen Lager rund 30 Initiativen und Kampagnen gezählt. Etliches davon erwies sich jedoch nur als Ankündigung. Viele dieser Kampagnen pflegten eine Rhetorik der Negativbotschaften. Die aktuelle zweite Welle von Kampagnen ist besser organisiert, weniger alarmistisch und finanziell besser ausgestattet

Werbung und Lobbying

Es ist eine neue Form von Kampagnen entstanden. Sie verbindet Elemente der Werbung mit dem Lobbying. Die Akteure sammeln sich unter einem Kampagnendach, um ihre Interessen durchzusetzen. Auffällig ist, dass nicht selten der Absender undeutlich bleibt. Beispiel dafür ist die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), deren grundsätzliche Arbeitsweise Dr. Speth bereits in einer anderen Studie untersucht hat. Die Verbindung zum Auftraggeber ist lockerer und für Außenstehende nicht immer deutlich. Das schafft neue Freiheiten in der Kampagnenführung.

Für die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM) ist der Erfolg zur Falle geworden: Sie hat den bürgerlichen Parteien erfolgreich die Agenda vorgegeben. Dadurch haben sich deren Wahlchancen verschlechtert. Sie ist die einzige Kampagne, die aus der ersten Welle übrig geblieben ist. Dies liegt auch an der Professionalität, die sich Gesamtmetall jährlich 10 Millionen Euro kosten lässt. Die INSM ist zwar bei vielen Journalisten durchgedrungen, nicht aber in der Bevölkerung. Die Veränderung des politischen Klimas nach der Bundestagswahl hat die INSM dazu veranlasst, ihre Strategie zu verändern. Die INSM will nicht mehr als „neoliberal“ erscheinen. Im Kern hat sich das von der Initiative propagierte Programm jedoch nicht verändert.

Themenplacement

Die INSM pflegt zahlreiche Partnerschaften mit renommierten Medien. Dabei erhalten die Partner exklusiven Zugang zu Studien der INSM und können von der INSM entwickelte, grafisch gut aufbereitete Informationsangebote nutzen. In den vergangenen Jahren ist die Kampagne daneben mehrfach durch Regelverstöße aufgefallen. Beispielsweise hat der Deutsche Rat für Public Relations (DRPR) die INSM im Mai 2006 gerügt, weil die Initiative im Jahr 2002 in acht Fällen Themenplacements in der ARD-Serie „Marienhof“ vorgenommen hatte. Die INSM hat die Rüge akzeptiert.

Unternehmen begreifen sich unabhängig von Wirtschaftsverbänden stärker als politische Akteure und sind bereit, mit Kampagnen und Initiativen in den politischen Prozess einzugreifen. Die Schwäche der Wirtschaftsverbände – besonders in der Kommunikation – gibt den Unternehmen die Chance, eigenständiger zu agieren. Die neuen Kampagnen werden von Unternehmen finanziell und organisatorisch getragen.

„Unbeschwerter Patriotismus“

Eine positive Botschaft soll in der Bevölkerung erzeugt werden. Patriotismus und Nationalgefühl sind von den Kampagnen als Ressourcen für Emotionen entdeckt worden. Gegenwärtig ist eine Neudefinition des Bezugs auf die Nation im Gang. Der Bezug auf die NS-Zeit und den Holocaust wird schwächer und das Gewicht der bundesrepublikanischen Geschichte steigt. Die Kampagnen befördern diese Veränderung in der kollektiven Identitäts-Politik. Ein emotional-positiver Bezug auf das eigene Land soll erreicht werden. Unsichtbar bleiben die konkreten Interessen der Wirtschaft, die sich hinter diesen Kampagnen verbergen. „Unbeschwerter Patriotismus“ ist die Formel, mit der die hässlichen Formen des Nationsbezugs verdeckt werden sollen.

Werbe- und PR-Agenturen sind die treibenden Kräfte, mit denen die politische Kommunikation umgestaltet wird. Sie tragen ihre Branding-Strategien in die Politik. Emotionen statt Argumente sind das Mittel. Politik lässt sich allerdings nicht auf Werbung für Produkte reduzieren. In ihr geht es um existenzielle Fragen.

„Du bist Deutschland“ und „gefühlter Aufschwung“

Die Kampagne „Du bist Deutschland“ hat den Patriotismus als Werbebotschaft für die Politik entdeckt. Sie ist eine populistische Kampagne, die sich an die breite Masse der Bevölkerung richtet. Als klassische Stimmungskampagne hat sie eine hohe Reichweite erzielt und kontroverse Reaktionen hervorgerufen. Ihr Ziel war, eine positive Grundstimmung für Reformen und für den Wirtschaftsaufschwung zu erzeugen. Die Macher glauben, einen „gefühlten Aufschwung“ erzeugt zu haben.

Es wird in nächster Zeit mehr von diesem neuen Kampagnentyp aus der Wirtschaft geben. Die Unternehmen sind bereit zu finanzieren und die Agenturen stehen in den Startlöchern zu neuen Themen Kampagnen aufzusetzen. Intern glauben die Macher und Auftraggeber, mit Kommunikation einiges bewegen und mit Kampagnen einen Stimmungsumschwung erzeugen zu können.

Standortmarketing und Stimmungsverbesserung

Die Regierungs- und Wirtschaftskampagne „Deutschland – Land der Ideen“ nimmt die Fußball-WM zum Anlass für Standortmarketing und Stimmungsverbesserung. Diese Kampagne hatte aufgrund lang anhaltender Querelen große Anlaufschwierigkeiten. Sie leidet auch an der mangelnden Aufmerksamkeit im In- und Ausland. Als Image- und Stimmungskampagne ist sie zu bieder angelegt. Als Regierungskampagne hat sie mit einigen Nachteilen zu kämpfen.

Wissenschaftliche Politikberatung

Die Stiftung Marktwirtschaft ist das Gegenmodell zu den Kampagnen. Sie betreibt als wirtschafts- und CDU-naher Think Tank lobbyistische Politikberatung ganz ohne PR- und Werbeaufwand. Ohne PR-Etat und ohne intensive Pressearbeit betreibt die Stiftung ihr Geschäft der Politikbeeinflussung mit den klassischen Mitteln des Lobbying und der Politikberatung. Der Schwerpunkt liegt auf wissenschaftlicher Politikberatung.

Mit dem Blogging ist ein Journalismus entstanden, der Kampagnen gefährlich werden kann. Die Reaktionen der Blogger werden für die politische Diskussion immer wichtiger. In ihnen zeigt sich eine neue demokratische Kultur, die Marketing-Strategien durchkreuzen kann.



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