0,5 Prozent – EZB erhöht Leitzinsen im Euroraum

Erstmals seit Juli 2011 erhöht die Europäische Zentralbank die Zinsen im Euroraum. Der Schritt fällt angesichts der Rekordinflation höher aus, als zunächst erwartet. Chefvolkswirt Thorsten Polleit sieht die Entwicklung kritisch.
Zentrale der Europäischen Zentralbank in Frankfurt.
Die Zentrale der Europäischen Zentralbank in Frankfurt.Foto: Boris Roessler/dpa
Epoch Times21. Juli 2022

Die Rekordinflation zwingt die Euro-Währungshüter zu einem höheren Tempo bei ihrer ersten Zinserhöhung seit elf Jahren. Die Zinsen steigen um jeweils 0,5 Prozentpunkte, wie die Notenbank in Frankfurt mitteilt. Damit entfällt der Negativzins von minus 0,5 Prozent für geparkte Gelder von Geschäftsbanken.

Viele Institute gaben diese Belastung in den vergangenen Jahren an Privatkunden als sogenanntes Verwahrentgelt weiter. Der Leitzins, zu dem sich Kreditinstitute bei der EZB Geld leihen können, steigt von null Prozent auf 0,5 Prozent. Damit liegt der Hauptrefinanzierungszins nun bei 0,50 Prozent, der Einlagenzins bei 0 Prozent und der Spitzenrefinanzierungszins bei 0,75 Prozent. Für die nächsten Sitzungen kündigte die EZB weitere Zinserhöhungen an.

Den Kurswechsel hatte der EZB-Rat bereits bei seiner vorherigen Sitzung im Juni angebahnt, allerdings einen kleineren Zinsschritt von jeweils 0,25 Prozentpunkte in Aussicht gestellt. „Der EZB-Rat hielt es für angemessen, einen größeren ersten Schritt auf dem Weg zur Normalisierung der Leitzinsen zu tun, als er auf seiner letzten Sitzung angekündigt hatte“, teilte die Notenbank nun mit. Diese Entscheidung beruhe auf der aktualisierten Einschätzung der Inflationsrisiken durch den EZB-Rat.

Hätte die Bank früher handeln müssen?

Kritiker werfen der EZB vor, die Zinswende viel zu spät einzuleiten. Die Teuerung im Euroraum zieht seit Monaten auf Rekordniveau an. Zugleich haben sich die Wirtschaftsaussichten wegen des Krieges in der Ukraine verschlechtert. Hebt die EZB die Zinsen in diesem Umfeld zu rasch an, könnte das vor allem für hoch verschuldete Staaten in Südeuropa zur Belastung werden.

Um sicherzustellen, dass Zinserhöhungen Länder wie zum Beispiel Italien nicht über Gebühr belasten und um eine Fragmentierung des Währungsraums zu verhindern, legt die EZB ein neues Anti-Krisen-Programm auf, das sogenannte Transmission Protection Instrument (TPI).

„Das TPI wird das Instrumentarium des EZB-Rats ergänzen und kann aktiviert werden, um ungerechtfertigten, ungeordneten Marktdynamiken entgegenzuwirken, die eine ernsthafte Bedrohung für die Transmission der Geldpolitik im Euroraum darstellen“, erklärte die Notenbank. „Der Umfang von Ankäufen im Rahmen des TPI hängt von der Schwere der Risiken für die geldpolitische Transmission ab. Die Ankäufe sind nicht von vornherein beschränkt.“

Anti-Krisen-Instrument kommt

Die Arbeiten an diesem neuen Anti-Krisen-Instrument hatte die EZB nach Unruhen an den Finanzmärkten Mitte Juni forciert. Der Renditeabstand – der Spread – zwischen Staatsanleihen aus Deutschland und denen höher verschuldeter Euroländer, insbesondere Italiens, hatte sich nach der EZB-Ankündigung einer ersten Zinserhöhung im Sommer ausgeweitet. Heißt: Für Länder wie Italien wird es teurer, sich frisches Geld zu besorgen. Das könnte für solche Staaten angesichts schon gewaltiger Schuldenberge zum Problem werden.

Doch die hartnäckig hohe Inflation zwingt die EZB zum Handeln. Der Prozess der Normalisierung der Geldpolitik werde „entschlossen und nachhaltig fortgesetzt werden“, hatte EZB-Präsidentin Christine Lagarde Ende Juni gesagt. Andere Notenbanken wie die US-Fed und die Bank of England haben ihre Zinssätze bereits mehrfach angehoben.

Inflation zwingt die EZB zum Handeln

Im Juni lagen die Verbraucherpreise im Euroraum um 8,6 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats. Die EU-Kommission rechnet für das Gesamtjahr 2022 mit durchschnittlich 7,6 Prozent Inflation im Währungsraum der 19 Länder. Das wäre ein historischer Höchstwert und weit über dem von der EZB angestrebten stabilen Preisniveau mit einer jährlichen Teuerungsrate von zwei Prozent. Eine höhere Inflation schmälert die Kaufkraft von Verbraucherinnen und Verbrauchern, weil sie sich dann für einen Euro weniger leisten können.

Treiber der Inflation sind seit Monaten deutlich gestiegene Energie- und Lebensmittelpreise. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat die Lage verschärft.

Neue Gefahr: TPI

„Die Entscheidung zeigt also, dass es im EZB-Rat doch Vertreter gibt, die bestrebt sind, nun rasch ein Stabilitätssignal zu setzen“, kommentiert Chefvolkswirt Dr. Thorsten Polleit die Entscheidung der EZB. Angesichts der Inflation der Konsumgüterpreise von zuletzt 8,6 Prozent im Juni 2022 lägen die Euro-Realzinsen (also Nominalzinsen abzüglich der Inflation) jedoch weiterhin weit unterhalb der Nulllinie. Für Sparer und Geldhalter gebe es daher keine Entwarnung.

Sofern die EZB ernst mache und die Zinsen weiter anhebt werde das zwar helfen, den künftigen Inflationsdruck abzusenken, gleichzeitig sind jedoch auch „starke Bremsspuren in der Produktion und Beschäftigung im Euroraum“ zu erwarten, so der Volkswirt und Finanzfachmann.

Der Grund ist, dass sich die Volkswirtschaften in den vielen Jahren des Nullzinses an niedrige Kreditkosten gewöhnt haben. Ein „echter“ Ausstieg aus der Nullzinspolitik werde daher zwangsläufig Output- und Arbeitsplatzverluste nach sich ziehen.

„Aber ein erster Zinsschritt ist eben nur ein erster Zinsschritt“, erinnert Polleit. „Worauf es nun ankommt, ist die Fortsetzung der Zinssteigerungen. Zudem ist es insbesondere erforderlich, die Staatsanleihekäufe einzustellen und die damit verbundene Geldmengenexpansion abzubremsen.“

Allerdings sei genau nicht wahrscheinlich, weil die EZB das neue Kaufprogramm „Transmission Protection Instrument“ beginnt. Alle Details des TPI sind noch nicht bekannt. „In der Praxis wird das TPI jedoch vermutlich darauf hinauslaufen, dass die EZB, wenn sie es als angemessen ansieht, Staatsanleihen von einzelnen Staaten (und zwar, wie EZB-Präsidentin Christine Lagarde bemerkte: in unbegrenzter Menge) aufkaufen und mit neu geschaffenen Euro bezahlen kann.“

Wenn das TPI in dieser Weise ausgestaltet werde, steige die Gefahr, dass ungeahnte Begehrlichkeiten geweckt werden und die EZB sogar in eine Monetisierung der Staatsschulden in ganz großem Stil gedrängt werden könnte. „Es muss nicht gesondert erklärt werden, dass das extrem negativ wäre für die Kaufkraft des Euro. Das TPI kann sich nur allzu leicht als eine neue Inflationsgefahr entpuppen.“

Weiterhin befürchtet Dr. Polleit, dass die EZB versucht sein werde, das Konjunktur- gegen das Inflationsziel auszuspielen – nach dem Motto: „Lieber etwas höhere Inflation als tiefe Rezession“, gerade im aktuellen geopolitischen und weltwirtschaftlichen Umfeld.

(dpa/mf)



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