Zweifel an Lauterbachs Krankenhausreform

Bundesgesundheitsminister Lauterbach will bis zur Sommerpause die Grundlage für eine große Reform der Krankenhäuser vorlegen. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft, Patientenschützer und manche Politiker befürchten, dass das Geld nicht ausreicht.
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Licht am Ende des Tunnels? Karl Lauterbach will eine große Reform für die Krankenhäuser durchsetzen.Foto: über dts Nachrichtenagentur
Von 7. Januar 2023

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sieht die Arbeiten für eine Reform des deutschen Krankenhaussystems auf einem guten Weg. „Wir stehen am Vorabend einer notwendigen Revolution im Krankenhaussektor“, sagte Lauterbach nach der ersten Zusammenkunft mit den Gesundheitsministern aus Bund und Ländern, die nach dem vierten Treffen der „Bund-Länder-Gruppe für die Krankenhausreform“ am 5. Januar 2023 anberaumt worden war.

Lauterbach kündigte an, in Zusammenarbeit mit den Bundesländern und den Fraktionen bis zur Sommerpause 2023 einen „Vorschlag zur neuen Vergütungs- und Planungsstruktur“ für die Krankenhäuser erarbeiten zu wollen. Daraus solle ein Gesetzentwurf entstehen, durch den das derzeit bestehende Fallpauschalensystem abgeschafft werden könne. Das Fallpauschalensystem sei „kein geeinigtes Mittel zur Krankenhausfinanzierung mehr“, stellte Lauterbach fest.

„Das Ziel wird es sein, auf der Grundlage der Vorschläge der ,Regierungskommission Krankenhaus‘ einen Reformentwurf […] entwickeln, mit dem wir das System der Fallpauschalen systematisch überwinden, wo Vorhaltekosten und Leistungskomplexe eine größere Rolle spielen und die Durchökonomisierung der Medizin vermieden wird“, erklärte Lauterbach laut Bundesgesundheitsministerium (BMG).

Ideen der Regierungskommission

Die Regierungskommission legte bislang drei Empfehlungen vor. Die Jüngste setzt sich mit dem Thema Krankenhausvergütung auseinander. In der ersten Empfehlung ging es um die „stationäre Vergütung für Pädiatrie, Kinderchirurgie und Geburtshilfe“, die zweite Empfehlung drehte sich um die „Tagesbehandlung im Krankenhaus zur kurzfristigen Entlastung der Krankenhäuser und des Gesundheitswesens“.

An Stelle der Fallpauschalen soll nach dem Vorschlag der Regierungskommission ein neues Vergütungssystem treten, das nach den drei Kriterien Vorhalteleistungen, Versorgungsstufen und Leistungsgruppen unterscheidet. So sollen künftig beispielsweise feste Beträge für das Vorhalten von Personal, von Notaufnahmen oder notwendiger Medizintechnik gezahlt werden – unabhängig von Zahl und Art der Fälle.

Die deutsche Krankenhauslandschaft soll zudem in drei Teile separiert und finanziell entsprechend differenziert unterstützt werden:

  • Grundversorgung – medizinisch und pflegerische Basisversorgung, zum Beispiel grundlegende chirurgische Eingriffe und Notfälle
  • Regel- und Schwerpunktversorgung – Krankenhäuser, die im Vergleich zur Grundversorgung noch weitere Leistungen anbieten
  • Maximalversorgung – zum Beispiel Universitätskliniken.

Interessenvertreter von Kliniken und Patienten und manche Politiker befürchten, dass das Budget des Gesundheitsministeriums nicht ausreichen wird, um die Reformpläne der Regierungskommission kostendeckend umzusetzen.

Droht ein „strukturelles Defizit“ von 15 Milliarden Euro?

Gerald Gaß, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) geht davon aus, dass die Reform „die aktuellen Mittel nur umverteilen“ werde. Er halte das Versprechen Lauterbachs, der Medizin den Vorrang vor der Ökonomie zu geben, bislang für ein „leeres Versprechen“, so Gaß im „T-online“-Interview. Die Reformpläne basierten auf einer „falschen Grundprämisse“.

Schon jetzt litten die meisten Krankenhäuser unter Geldmangel, beklagte Gaß: 60 Prozent der Kliniken rechneten schon für das abgelaufene Geschäftsjahr 2022 mit „zum Teil tiefroten Zahlen“. Die Kosten würden im Jahr 2023 voraussichtlich „doppelt so schnell steigen“ wie die staatlich festgelegten Vergütungen. Es werde zu einem „strukturellen Defizit“ von 15 Milliarden Euro kommen. Deshalb werde das Klinik-Sterben „voraussichtlich einen neuen Höhepunkt erreichen“.

Holetschek: Krankenhausplanung Sache der Länder

Auch der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) verlangt nach einem „Zeit-Artikel“ jedes Jahr zusätzliche 15 Milliarden Euro aus Bundesmitteln, um die Betriebskosten der Kliniken auszugleichen. Eine reine Umverteilung genüge nicht, notwendige Versorger in der Fläche müssten erhalten bleiben. Das Konzept der Reformkommission mit seinen detaillierten Vorgaben könne zu „massiven Fehlsteuerungen“ führen.

„Es kann nicht riskiert werden, dass durch zentralistische Planung von heute auf morgen bedarfsgerechte Versorgungsstrukturen zerstört werden“, sagte Holetschek. Die Abschaffung der Fallpauschalen sei aber grundsätzlich richtig. Holetschek erinnerte daran, dass die Krankenhausplanung laut Grundgesetz im Zuständigkeitsbereich der Länder liege.

Patientenschützer Brysch: „Das wird ohne Zweifel Geld kosten“

Eugen Brysch, der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, warnte im Gespräch mit der „Rheinischen Post“ ebenfalls vor einem Verschwinden der kleineren Krankenhäuser in ländlichen Regionen. Bessere Überlebenschancen hätten die großen Häuser in den Ballungszentren. „Viel zu oft haben Bund und Länder diesem Spiel freien Lauf gelassen“, kritisierte Brysch.

Im Mittelpunkt einer Krankenhausreform müsse der Patient stehen. Die geplanten Vorhaltekosten und Investitionen hätten diesem Ziel zu folgen. „Gerade im ländlichen Raum brauchen die Menschen passgenaue Angebote bei Schlaganfall, Herzinfarkt, Krebs-Therapie und Altersmedizin. Das wird ohne Zweifel Geld kosten“, so Brysch.

Der Sozialverband VdK hatte bereits vor den ersten Beratungen der Gesundheitsminister von Bund und Ländern gefordert, das Prinzip der Gewinnorientierung bei Krankenhäusern und die Fallpauschalen ad acta zu legen. VdK-Präsidentin Verena Bentele erklärte im Interview mit „T-online“, die bisherigen Pläne seien zwar ein „Schritt in die richtige Richtung“, das Gesundheitsministerium müsse „in seinen Plänen“ aber „noch deutlich radikaler sein“. Im Mittelpunkt aller Handlungen in den Krankenhäusern müsse das Wohl der Patienten stehen.

GKV: „Kluge Kombination macht Hoffnung“

Florian Lanz, der Sprecher des Spitzenverbandes der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen in Deutschland (GKV), sparte dagegen mit Kritik: „Das heute angekündigte breite Bündnis aus Bund und Ländern macht Hoffnung, dass künftig tatsächlich die Qualität der Patientenversorgung im Zentrum der Krankenhausversorgung steht“, so Lanz. „Die kluge Kombination aus Vorhaltepauschalen, Qualitätsstandards und Fallpauschalen kann der Schlüssel für eine qualitätsgesicherte und wirtschaftliche Krankenhausversorgung sein.“

Den Krankenhäusern fehlten allerdings Jahr für Jahr „Milliardenbeträge“, weil alle Bundesländer ihren Anteil an der Krankenhausfinanzierung innerhalb der letzten 20 Jahre halbiert hätten. Auch dieses Thema gehöre „auf den Tisch“, sagte Lanz.

Jeder dritte GKV-Euro für Kliniken

Nach Recherchen der „Tagesschau“ fließt rund jeder dritte Euro der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen in Deutschland in die Krankenhäuser. Im Jahr 2021 sei eine Summe von rund 85 Milliarden Euro geflossen. Vom 1. Januar bis zum 30. September 2022 hätten die Kassen rund 65 Milliarden Euro an die Kliniken überwiesen – gegenüber 63 Milliarden im gleichen Vorjahreszeitraum.

Von Beginn der Corona-Krise bis zum Juni 2022 habe der Bund den Krankenhäusern zudem 22 Milliarden für freigehaltene Betten, für Einnahmeausfälle wegen verschobener Operationen und für die Behandlung von Corona-Patienten zur Verfügung gestellt.

Lauterbach auf Reformkurs

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hatte im März 2022 angekündigt, eine große Reform der Krankenhauslandschaft in Deutschland angehen zu wollen. Im Mai war dafür die „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“ eingerichtet worden. Ihr gehören 17 „Expertinnen und Experten aus der Versorgung (Pflege und Medizin), der Ökonomie, der Rechtswissenschaften und ein an das BMG angebundenen Koordinator“ an. Die Kommission trifft sich nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums alle 14 Tage. Ihre Einrichtung war bereits im Koalitionsvertrag der rot-grün-gelben Bundesregierung beschlossen worden.

Anfang Dezember hatte Lauterbach bereits einige kleinere Reformen für die Krankenhäuser auf den Weg gebracht. Seit dem 1. Januar läuft eine Testphase, die den Kinderkliniken mehr Geld bringen, die Zahl der Übernachtungen verringern und die Pflegekräfte entlasten soll.

Abschied von der Fallpauschale

Die letzte große Krankenhausreform in der Bundesrepublik Deutschland hatte es in den Jahren 2003/04 mit der Einführung des DRG-Systems („Diagnosis Related Groups“) gegeben, einem System der pauschalen Kostenabrechnung je nach Krankheitsfall, kurz: Fallpauschalensystem. Es ersetzte die alte Regelung, nach der Krankenhäuser umso mehr Geld bekamen, je länger ein Patient stationär betreut wurde – unabhängig von der Schwere der Krankheit.

Eingeführt worden war die Reform pro Fallpauschale unter Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD). Beratend zur Seite stand ihr damals Karl Lauterbach – als Mitglied des „Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen“. Derselbe Lauterbach, der das Fallpauschalensystem heute als „kein geeinigtes Mittel zur Krankenhausfinanzierung mehr“ betrachtet. In einem Interview mit den „Tagesthemen“ erklärte Lauterbach die Diskrepanz damit, dass die Fallpauschale „sehr radikal eingeführt worden“ sei und sie „auch nicht unbedingt das“ gewesen sei, „was wir beratend vorgeschlagen“ hätten.

Beim Fallpauschalensystem wird je nach Schwere der Diagnose mehr oder weniger Geld verdient – unabhängig davon, wie lange ein Patient im Krankenhaus liegt. „Patienten rechnen sich – egal wie krank sie sind – vor allem, wenn an ihnen viele ,Prozeduren‘ durchgeführt werden können. Und je mehr ,Fälle‘ ein Krankenhaus im gleichen Zeitraum durchschleust, desto höhere Erlöse erzielt es“, brachte die Zeitschrift „Stern“ das grundsätzliche Problem auf den Punkt. Da Krankenhäuser dem Gewinnmaximierungsprinzip unterliegen, geht es in vielen Häusern also bis heute darum, möglichst viele Behandlungen abzurechnen, die Patienten aber so schnell wie möglich nach Hause zu schicken.



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