WHO soll globalen „Klima-Gesundheitsnotstand“ ausrufen

Aus der Debatte um den Klimawandel soll nun eine „Klimakrise“ mit „Gesundheitsnotstand“ werden. Dies fordern 13 Wissenschaftler, die einen Appell an die UN, Politiker und Gesundheitsexperten verfasst haben. Die WHO soll den globalen Gesundheitsnotstand noch möglichst vor ihrer Jahresversammlung im Mai 2024 ausrufen, so die Forderung. Der Aufruf wurde von über 200 Fachjournalen veröffentlicht.
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Die WHO soll nach Forderung von 13 Wissenschaftlern über einen „globalen Klimakrise-Gesundheitsnotstand“ entscheiden.Foto: iStock/Montage ET
Von 26. Oktober 2023

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In mehr als 200 Fachjournalen aus dem Gesundheitsbereich haben 13 Wissenschaftler einen Aufruf veröffentlicht. Dieser richtet sich an die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sowie an Staats- und Regierungschefs und Gesundheitsbehörden. Gegenstand des Appells ist der Klimawandel. Da dieser weltweit erhebliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit entfalte, solle die WHO einen globalen „Gesundheitsnotstand“ ausrufen.

Aufruf an die WHO für Gesundheitsnotstand ging vom BMJ aus

Initiator des Aufrufs ist der Chefredakteur des „British Medical Journal“ (BMJ), Kamran Abbasi. Anlass dafür ist die weltweite Vollversammlung der WHO, die im Mai des kommenden Jahres in Genf stattfinden wird.

Der Appell erschien als Leitartikel unter anderem im BMJ selbst, aber auch in „The Lancet“, JAMA, dem „Dubai Medical Journal“ und medizinischen Fachzeitschriften Indiens und Ostafrikas. Die Verfasser nehmen insbesondere daran Anstoß, dass der Klimawandel und dessen gesundheitliche Implikationen nicht gemeinsam diskutiert würden.

Im November wird in Dubai die 28. Weltklimakonferenz stattfinden, im nächsten Jahr steht die 16. UN-Vertragsstaatenkonferenz zur biologischen Vielfalt auf dem Programm. Gastgeber ist dabei die Türkei. Beide Veranstaltungen gehen von UNO-Organisationen aus, betreffen aber unterschiedliche Bereiche. In dem Text heißt es, die Klima- und Naturkrisen seien zu einer einzigen Krise zu erklären. Diese müsse „gemeinsam angegangen werden, um eine Katastrophe zu vermeiden“.

Was hat der Klimawandel mit der menschlichen Gesundheit zu tun?

Der Klimawandel sei demnach gleichermaßen die Ursache für Schäden an Natur und Artenvielfalt wie auch für Gefahren für die menschliche Gesundheit. Die Veränderungen am Klima brächten steigende Temperaturen, zunehmende Wetterextreme, aber auch Luftverschmutzung und die Ausbreitung von Infektionskrankheiten mit sich.

Umweltverschmutzung beeinträchtige die Wasserqualität, fördere die Versauerung der Meere, es komme zu mehr übertragbaren Krankheiten. Zudem litten die Qualität und Quantität von Meeresfrüchten. Überdurchschnittlich betroffen seien davon ärmere Länder und Bevölkerungsschichten.

Im Alltag bemerkbare Folgen des Verlusts der Biodiversität

Generell verschlechtere der Verlust der biologischen Vielfalt auch die Qualität der Ernährung. Ein weiter negativer Effekt zeige sich auch bei der Entwicklung aus natürlichen Wirkstoffen gewonnener Medikamente.

Gleichzeitig förderten Veränderungen in der Landnutzung bisher noch nicht vorhandene engere Kontakte von Zehntausenden Arten. Dies begünstige den Austausch von Krankheitserregern und in weiterer Folge das Auftreten neuer Krankheiten und Pandemien.

Die Wissenschaftler rügten auch die zunehmende Verstädterung, die eine Verbindung der Menschen zur Natur unterbinde. Dabei könne diese Stress, Einsamkeit und Depressionen reduzieren. Außerdem fehle es zunehmend an hochwertigen Grundflächen, die Luftverschmutzung filtern und Luft- und Bodentemperaturen senken könnten.

Im Dezember 2022 hatte die Biodiversitätskonferenz der UN-Mitgliedstaaten einen Beschluss zur effektiven Erhaltung von Naturräumen gefällt. Dieser bezieht sich auf mindestens 30 Prozent der weltweiten Landflächen, Küstengebiete und Ozeane bis 2030. Allerdings blieben die Verpflichtungen weiter von jenen der Klimakonferenz getrennt – und würden vielfach nicht eingehalten.

Gesundheitsexperten „genießen in der Öffentlichkeit großes Vertrauen“

Die Ausrufung eines globalen Gesundheitsnotstandes durch die WHO könne, so heißt es weiter, eine Harmonisierung der unterschiedlichen Prozesse der jährlich stattfindenden Welt-Klimakonferenz (auch Conference of the Parties, COP genannt) fördern. Die jeweiligen Konventionen müssten auf eine bessere Integration nationaler Klima- und Biodiversitätspläne drängen. Die WHO solle die Verkündung des globalen Gesundheitsnotstandes möglichst bereits vor ihrer Jahresversammlung im Mai 2024 ansetzen, so der Aufruf.

Der Sinn hinter dem Anliegen liege dabei nicht zuletzt darin, die Dringlichkeit des Anliegens mit der Autorität von Gesundheitsexperten zu untermauern. Diese „genießen in der Öffentlichkeit großes Vertrauen, und ihnen kommt eine zentrale Rolle zu, wenn es darum geht, diese wichtige Botschaft zu vermitteln“, erklärt Abbasi.

WHO hat bis jetzt keine Hoheitsgewalt – Pandemievertrag könnte das ändern

Die WHO hat seit 2005 die Möglichkeit, internationale Gesundheitsnotstände auszurufen. Mehr als 190 Mitgliedsländer hatten der UNO-Unterorganisation diese Ermächtigung gegeben. Anlass dazu waren der SARS-Ausbruch in den Jahren 2002 und 2003 und der Vogelgrippe-Ausbruch des Jahres 2004.

Liegt eine internationale gesundheitliche Notlage vor, ruft die WHO einen weltweiten Gesundheitsnotstand aus. Ist dies der Fall, treffen die Mitgliedsländer vor allem Melde- und Informationspflichten. Diese bestehen sowohl untereinander als auch gegenüber der WHO selbst.

Hoheitliche Verpflichtungen kann die WHO ihren Mitgliedsländern bis jetzt nicht auferlegen. Dies könnte sich mit dem geplanten WHO-Pandemievertrag ändern. Kritiker des für 2024 geplanten Abkommens äußern, die Änderungen würden es der WHO ermöglichen, nicht mehr wie bisher Empfehlungen für die Regierungen der Mitgliedsländer abzugeben, sondern Entscheidungen zu treffen, die als Gesetze gelten. Somit würden nationale Verfassungen und demokratische Parlamente ausgehebelt. Ebenso werden Einschränkung der Meinungsfreiheit durch die Ausweitung von WHO-Befugnissen befürchtet.

Allerdings regt sich Kritik an dem Vertragswerk. Vor allem ärmere Länder wollen ihre Souveränität nicht abgeben.

Bayern führte 2020 weitreichende Notstandsbestimmungen ein

Mehrere Staaten haben ihre Veranlassungen zu Quarantänemaßnahmen, Grenzschließungen, Reisewarnungen, Aufklärungsmaßnahmen oder Impfung auf WHO-Empfehlungen gestützt. Im – befristeten – Bayerischen Infektionsschutzgesetz (BayIfSG) vom 17.03.2020 wurde dem Ministerpräsidenten oder zuständigen Staatsminister das Recht eingeräumt, einen „Gesundheitsnotstand“ auszurufen.

Dieses Recht war zwar örtlich und zeitlich begrenzt, dennoch war es mit weitreichenden hoheitlichen Ermächtigungen verbunden. Behörden durften bei Bedarf Maßnahmen zur Sicherung der Materialvorsorgung und Personalkapazitäten durchsetzen. Dieses Recht reichte bis zu Beschlagnahmungen und Produktionsanordnungen an Firmen.

Kritiker der WHO werfen dieser vor, auch abseits eigener Hoheitsgewalt Staaten Rechtfertigungen für autoritäre Maßnahmen unter dem Deckmantel des Gesundheitsschutzes zu liefern. Auch Sozialkreditsysteme ließen sich auf die Empfehlungspraxis von Institutionen wie der WHO stützen.

Erster globaler Gesundheitsnotstand 2014 wegen Polio verkündet

Bislang hatte die WHO in einigen Fällen örtlich begrenzte oder internationale Gesundheitsnotstände ausgerufen. Der bekannteste war jener angesichts der Corona-Pandemie, der am 30. Januar 2020 verkündet wurde und bis Mai 2023 galt.

Einen globalen Gesundheitsnotstand rief die Organisation auch 2014 wegen der Kinderlähmung (Polio) aus. Aufgrund der geringen Bedeutung der Krankheit in Europa hatte dies in der EU kaum Konsequenzen.

Regionale Gesundheitsnotstände verkündete die WHO 2009 wegen der Schweinegrippe für Mexiko und die USA, 2014 in Westafrika wegen Ebola, 2016 wegen des Zikavirus in Lateinamerika und 2019 wegen Ebola in der DR Kongo aus.



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