Suizide: Lauterbach stellt nationale Strategie zur Prävention vor – Zahl geht seit 20 Jahren nicht zurück
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat am Donnerstag, 2. Mai, die erste nationale Suizidpräventionsstrategie der Bundesregierung vorgestellt. Im Vorfeld hatte er Fachleute aus Wissenschaft, Praxis und Politik mit deren Ausarbeitung beauftragt. Die Zahl der Suizide in Deutschland war bis in die 1980er-Jahre hinein signifikant höher als heute. Allerdings zeichnet sich bereits seit etwa 20 Jahren kein nennenswerter Rückgang mehr ab.
Mit etwa 10.000 Fällen liegt die Anzahl der Selbsttötungen in Deutschland verhältnismäßig stabil. Das sind pro Jahr mehr Todesfälle als durch Verkehrsunfälle, Gewalttaten, illegale Drogen und AIDS zusammen. Auf- und Abwärtsbewegungen gibt es in einzelnen Segmenten. So hat es phasenweise eine Zunahme von Fällen in der Zeit der Corona-Pandemie gegeben, vorwiegend während der zweiten Lockdownphase.
Corona hatte phasenweise die Zahlen bei jüngeren Menschen ansteigen lassen
Betroffen waren dabei auch Kinder und jüngere Menschen. Eine Studie der Essener Uniklinik aus dem Jahr 2022 hatte die Daten von 27 deutschen Kinderintensivstationen ausgewertet. Diesen zufolge wurden, wie „eltern.de“ berichtete, von März bis Mai 2021 dreimal so viele Patienten nach einem Suizidversuch eingeliefert wie im Vergleichszeitraum 2019. Die Rede war von einem unerwartet hohen Aufkommen von 450 bis 500 Aufnahmen.
Insgesamt bleiben die grundlegenden Entwicklungen bezüglich der Suizidzahlen hartnäckig und stabil. Demzufolge gibt es neben den etwa 10.000 vollendeten Selbsttötungen noch etwa das Zehnfache an Versuchen. Etwa 60.000 Menschen verlieren jährlich durch Suizid einen nahen Angehörigen. Zusätzlich betroffen sind häufig auch Menschen, die als Nichtbeteiligte in Handlungen dieser Art involviert sind – beispielsweise Lokführer oder Personen, die Opfer an öffentlichen Plätzen auffinden.
Lauterbach sieht Suizid nach wie vor stark tabuisiert
In drei Viertel aller Fälle sind es Männer, die Suizid verüben. Es gibt auch einen eindeutigen Trend hin zu einer höheren Selbsttötungsneigung mit ansteigendem Lebensalter. In einem Großteil der Fälle besteht ein Zusammenhang mit einer bereits zuvor vorhandenen psychischen Erkrankung. Zumeist verstärken Depressionen, Psychosen, Suchterkrankungen oder Persönlichkeitsstörungen die Suizidneigung.
Lauterbach sprach anlässlich der Vorstellung der Strategie von einem „gesellschaftlichen Tabu von Tod und Suizid“, das es zu überwinden gelte. Es sei erforderlich, psychische Erkrankungen zu entstigmatisieren und vorhandene Hilfsangebote besser zu bündeln. Die Strategie soll dafür sorgen, dass es mehr an „zielgenauen Hilfen und Vorbeugungsmaßnahmen“ gibt.
Der Bericht regt unter anderem an, eine zentrale und bundesweite Koordinierungsstelle für Suizidprävention zu schaffen. Diese soll über eine bundesweite Website vertiefte Informationen über Hilfen und Präventionsmaßnahmen für gefährdete Menschen, aber auch Angehörige und Fachkräfte bereitstellen.
Zugang zu Mitteln und Orten soll eingeschränkt werden
Geplant sind außerdem mittelfristig eine Aufklärungskampagne, spezielle Schulungen für Fachkräfte im Gesundheitswesen und der Pflege sowie die Schaffung einer zentralen Notrufnummer für Krisenfälle. Eine Rolle spielen sollen auch „methodenbegrenzende“ Maßnahmen.
Dazu gehören, wo dies als machbar erscheint, Beschränkungen im Zugang zu Mitteln und Orten, die für Suizidversuche eine Rolle spielen könnten. Die praktische Umsetzung dürfte in einigen Bereichen nicht einfach sein. Die meisten Suizide werden durch Erhängen begangen – die hierfür erforderlichen Hilfsmittel sind leicht verfügbar.
Verhältnismäßig besser unterbinden lässt sich beispielsweise der Zugang zu Medikamenten. Demgegenüber gibt es einige Orte in Deutschland, die aufgrund ihrer exponierten Lage Lebensmüde verstärkt zum Zweck eines Suizides durch Sturz anziehen. Nach acht Suiziden innerhalb von acht Monaten des Jahres 2002 wird etwa die Göltzschtalbrücke im sächsischen Vogtland verstärkt von der Bundespolizei überwacht.
Einige Vorstellungen über Suizid statistisch nicht zu bestätigen
Wie die „Tagesschau“ berichtet, gehen Experten von einem Bedarf von 20 Millionen Euro an Bundesmitteln aus, um die Vorschläge der nationalen Präventionsstrategie umzusetzen. Derzeit bestehende Angebote wie die Telefonseelsorge oder die Online-Suizidpräventionsseite für junge Menschen „U25“ seien notorisch überlastet.
Was die Entwicklung der Zahl der Suizide anbelangt, erweisen sich einige landläufige Annahmen als statistisch nicht verifizierbar. So gibt es keinen eindeutigen Überhang an Selbsttötungen in den Wintermonaten. Die Zahl der Fälle bleibt über die Monate hinweg verhältnismäßig gleich, in Monaten wie Mai oder August ist sie häufig sogar erhöht infolge eines höheren Handlungsdrangs. Auch Religion ist nicht in allen Fällen ein Faktor, der sich dämpfend auf die Selbstmordrate auswirkt.
Zwar waren 2021 die höchsten Suizidraten in den neuen Bundesländern Sachsen (16,1) und Thüringen (15,5) festzustellen, gefolgt von Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. Bereits an fünfter Stelle rangierte jedoch Bayern, während sich Berlin und Brandenburg im Mittelfeld fanden. Die niedrigsten Suizidraten hatten Niedersachsen, Bremen und Nordrhein-Westfalen.
Grundsätzlich war die Suizidrate im Deutschland der Nachkriegszeit hoch, während sie im Laufe der 1950er-Jahre nachließ. Stabilere Verhältnisse und Wohlstand könnten dabei eine tragende Rolle gespielt haben. Allerdings nahmen sich noch zu Beginn der 1980er-Jahre im Schnitt 50 Menschen pro Tag in Westdeutschland das Leben. Im Osten war das Thema mit einem hohen Tabu behaftet, sodass es kaum verlässliche offizielle Aufzeichnungen gibt. Einige der als streng vertraulich geführten Akten wurden erst nach 1990 veröffentlicht.
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