„Social Prescribing“: Menschlicher Kontakt auf Rezept
Musik, Poesie, Tanz und Kunst – all das spielte im Laufe der Geschichte eine wichtige Rolle für das geistige und körperliche Wohlbefinden der Menschen. So führt die „Teilnahme an künstlerischen Aktivitäten zu einer deutlichen Verbesserung der Gesundheit, die nicht nur das Selbstwertgefühl stärkt, sondern auch das Gefühl der Isolation und Ausgrenzung verringert“, heißt es dazu in einer Studie im Auftrag des britischen Ministeriums für Kultur, Medien und Sport.
Dank dieser Vorteile verschreiben Ärzte in Großbritannien seit den 90er-Jahren eine völlig andere Art von Rezepten: „Social Prescribing“ – soziale Verschreibung. Menschen, die sich einsam, deprimiert oder ängstlich fühlen, bekommen vielleicht eher einen Kunstkurs oder ein gemeinschaftliches Tanzprogramm verschrieben als ein Medikament.
Das National Health Service (NHS), das öffentlich finanzierte Gesundheitssystem Englands, beschäftigt derzeit mehr als 1.000 sogenannte „Link Worker“ (spezialisierte Fachkräfte mit Lotsenfunktion). Diese „Link Worker“ helfen den Menschen, die Ursachen ihrer Probleme zu erkennen und bieten auf der Grundlage dieses Wissens Ratschläge und Betreuung an, um ihre Bedürfnisse zu erfüllen. Sie stellen den Kontakt zu Gemeinschaftsgruppen, Freiwilligenagenturen und anderen Diensten her, die praktische und emotionale Unterstützung anbieten.
Eine altbewährte Therapie
Das Konzept des „Social Prescribing“ ist kaum revolutionär. Der therapeutische Wert von Kunst und der Unterstützung durch die Gemeinschaft wurde bereits 400 vor Christus nachgewiesen, als das griechische Theater von Epidauros als Pilgerstätte zu Ehren des Heilgottes Asklepios errichtet wurde. „Sie kamen, um ihre Seelen mit Heilwasser und Theater zu reinigen“, meinte ein Kommentator damals.
Musik, Poesie und Kunst spendeten schon immer in schwierigen Zeiten Trost. Tatsächlich befassen sich einige der beliebtesten Gedichtbände mit Themen wie seelischem Leid, Verlust und Trauer. Viele der größten künstlerischen Errungenschaften der Menschheit sind aus unserem Ringen um den Ausdruck komplexer Gedanken oder Gefühle entstanden.
Georgia O’Keeffe, eine der bekanntesten US-amerikanischen Malerinnen des 20. Jahrhunderts, sagte einmal: „Ich stellte fest, dass ich mit Farben und Formen Dinge ausdrücken konnte, die ich auf keine andere Weise sagen konnte – Dinge, für die ich keine Worte hatte.“
Das Schöne am kreativen Ausdruck als Heilmethode ist, dass er nicht von Talent abhängt. Selbst diejenigen, die glauben, keine natürlichen künstlerischen Fähigkeiten zu besitzen, können geistig, emotional und spirituell vom kreativen Prozess profitieren.
In Wirklichkeit bieten diese Aktivitäten einen Rettungsanker für Menschen, die akute Schwierigkeiten haben: Dazu gehören ältere Menschen, die unter lähmender Einsamkeit leiden, und Menschen, die an Demenz erkrankt sind. Viele Teilnehmer geben an, dass Aktivitäten und Gelegenheiten wie diese ihnen helfen, sich aus ihrer schlimmsten Depression zu befreien, ihr Gedächtnis aktiv zu halten und ein Gefühl der Sinnhaftigkeit wiederzuerlangen.
Der Nutzen von Programmen wie „Social Prescribing“ darf nicht unterschätzt werden, denn sie verbessern nicht nur die Statistik, sondern – was noch wichtiger ist – beugen Krankheiten vor und verbessern das allgemeine Wohlbefinden.
Eine Investition in die Gemeinschaft
Das NHS geht davon aus, dass in den nächsten zwei Jahren mehr als 900.000 Menschen Überweisungen im Sinne von „Social Prescribing“ erhalten werden. Ziel ist es, das Leben von mehr als 2,5 Millionen Menschen bis Ende 2024 zu verbessern. Dies ist die größte Investition eines nationalen Gesundheitsdienstes in das Konzept von „Social Prescribing“.
Es ist vielleicht nicht überraschend zu hören, dass ein großer Prozentsatz der Arztbesuche nicht auf gesundheitliche Probleme zurückzuführen ist. Vielmehr geht es dabei um soziale Probleme wie Schulden, Einsamkeit, emotionale Not und Isolation.
Die Kluft zwischen menschlichen Bedürfnissen und sozialer Unterstützung wächst seit Jahrzehnten, da viele nationale Dienste und Programme aufgrund schrumpfender Sozialhilfebudgets gekürzt werden. Gleichzeitig werden soziale Vereinsamung und schrumpfende persönliche Netzwerke zu bestimmenden Merkmalen des modernen Lebens.
Das NHS versucht mithilfe des „Social Prescribing“, diese Lücke zu schließen. Dadurch können lokale Behörden und Hausärzte Patienten an „Link Worker“ verweisen.
„Social Prescribing“ zeigte bei vielen verschiedenen Menschen Erfolg und half ihnen:
- psychische Probleme zu bewältigen oder ihnen vorzubeugen;
- mit einer oder mehreren bestehenden chronischen Krankheiten zu leben;
- aus der Vereinsamung herauszufinden;
- Stress und Ängste abzubauen;
- komplexe soziale Belange zu erfüllen, die ihre Gesundheit beeinträchtigten.
„Social Prescribing“ geht über Kunstprogramme hinaus. In London spielt „Social Prescribing“ eine entscheidende Rolle, um die Widerstandsfähigkeit der Gemeinschaft aufzubauen und zu fördern. Denn dank des Konzepts können Bedürftige an Unterstützungsdienste verwiesen werden, die ihnen bei der Suche nach einer Unterkunft oder Arbeit, bei Geldproblemen und bei der Sozialhilfe helfen können. Dieser Bedarf war noch nie so groß wie während der COVID-19-Pandemie, als eine große Zahl von Menschen buchstäblich über Nacht ihr Zuhause und ihre Arbeit verlor und völlig isoliert wurde.
Gruppenaktivitäten als Mittel gegen psychische Erkrankungen
Derzeit sind die meisten „Link Worker“ bei gemeinnützigen Organisationen angestellt, die die zahlreichen Lücken in der sozialen Betreuung zu schließen versuchen. Sie helfen Menschen dabei, therapeutische Möglichkeiten zu finden, zu denen unter anderem Gartenarbeit, Freundschaftsdienste, Kochkurse, Kunstunterricht, Musiktherapie, Beratung zu gesunder Ernährung, Sport und ehrenamtliche Tätigkeiten gehören.
Die Teilnahme an solchen Gruppenaktivitäten kann sich äußerst positiv auf die Patienten auswirken, insbesondere auf diejenigen, die an einer psychischen Erkrankung leiden oder bei denen ein Risiko für die Entwicklung psychischer Probleme festgestellt wurde. Eine Untersuchung des NHS ergab, dass Patienten, die ein Angebot des „Social Prescribing“ in Anspruch nahmen, im Durchschnitt 28 Prozent seltener zum Hausarzt gingen und 24 Prozent seltener die Notaufnahmen besuchten.
Damit soll nicht gesagt werden, dass die Künste eine Art medizinisches Allheilmittel sind. Sie können jedoch dazu beitragen, die Menschen von ihren persönlichen Problemen zu befreien: Sie geben ihnen die Möglichkeit, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten, die verstehen, was sie durchmachen.
Es gibt jedoch einige Forscher, die die Vorteile von „Social Prescribing“ bezweifeln. Dabei verweisen sie auf die geringe Anzahl kleiner Organisationen, die für eine Studie in Frage kommen und auf die Tendenz der Teilnehmer, die Ergebnisse bei der Befragung zu verzerren. Ungeachtet dessen wirkt „Social Prescribing“ – was anhand der NHS-Studie und der wachsenden Zahl von Berichten von Menschen, die von dieser Maßnahme profitierten, deutlich zu sehen ist.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Zeitschrift Radiant Life
Lorrie Kelly arbeitet seit über 25 Jahren als freiberufliche Journalistin in den USA und in Großbritannien. Ihre Fachgebiete sind Gesundheit und Medizin. Sie schrieb für solche Medien wie „The Sunday Times“, „Nursing Times“ und „Practical Patient Care“. Lorrie ist eine begeisterte Hobbyimkerin, die sich für den Erhalt von Bestäubern einsetzt.
Dieser Artikel erschien im Original auf The Epoch Times USA unter dem Titel: Healing Through Human Connection (deutsche Bearbeitung von as)
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