Nicaragua: Vom Revolutions- zum Urlaubstourismus
Nicaragua hat sich vom Pilgerziel für Revolutionsträumer, Linke und Christen
zum ruhigen Urlaubsland für Surffreaks, Wanderer und Kulturtouristen entwickelt. Nach sandinistischer Revolution und Contra-Krieg verzaubert es nun seine
Besucher mit rauchenden Vulkanen, traumhaften Sandstränden, kolonialen
Städten und revolutionären Denkmälern.
Einst reisten Scharen junger Menschen aus Westeuropa nach Nicaragua. Sie bauten dort in ihren Ferien Schulen, Krankenhäuser und Wasserleitungen. Auch viele deutsche Studentinnen, Schreiner, Lehrer, Ärztinnen und Theologen zimmerten Dachstühle, huben Brunnen aus oder halfen in dem kleinen mittelamerikanischen Land bei der Kaffeeernte. Das war in den 1980er Jahren, nachdem die sandinistische Befreiungsfront FSLN (Frente Sandinista de Liberación Nacional) den brutalen Diktator Anastasio Somoza gestürzt und 1979 selbst die Macht in Nicaragua übernommen hatte. Mit Daniel Ortega an der Spitze verteilten die linksgerichteten Sandinisten nach der Revolution Land an Kleinbauern, sie führten eine kostenlose Gesundheitsversorgung ein und senkten binnen zwei Jahren die Analphabetenrate von 65 auf zwölf Prozent. Die USA befürchteten, dass die Sowjetunion nach Kuba einen zweiten kommunistischen Stützpunkt in ihrem Hinterhof errichten würde. Mit Waffen und Geld statteten sie deshalb die Gegenbewegung der Contra aus, eine Söldnertruppe, die die sandinistische Regierung bekämpfte. Dem Aufruf Daniel Ortegas folgend, kamen internationale Brigaden nach Nicaragua, um die Errungenschaften der Revolution gegen die Contra-Rebellen zu verteidigen. Linke, Utopisten und Christen aus reichen Industrieländern solidarisierten sich mit dem nicaraguanischen Volk und protestierten gegen die Interventionspolitik der USA, indem sie in ihrem Urlaub Schulen, Krankenhäuser und Brunnen bauten. Die meisten trugen bei sich im Reisegepäck Träume vom besseren Menschen und einer gerechten Gesellschaftsform. Beides hofften sie, in Nicaragua zu finden. Zum Relaxen, Wandern oder Surfen flog damals niemand in das wunderschöne Land. Es herrschte ein brutaler Bürgerkrieg. Manch ein Solidaritätstourist verlor im Kampf für das revolutionäre Nicaragua sein Leben.
Dann kam der Umbruch. Das kriegsmüde nicaraguanische Volk wählte 1990 die Sandinisten ab und schenkte der rechtskonservativen Politikerin Violeta Chamorro das Vertrauen. Die internationale Solidaritätsbewegung war desillusioniert. Enttäuscht lösten sich weltweit Nicaraguakomitees auf. Der Revolutionstourismus kam zum Erliegen. Mit dem Machtwechsel beendeten die USA ihre Blockadepolitik und den Contra-Krieg. Seither ist es in Nicaragua ruhig und friedlich. Die ersten Rucksacktouristen bereisten das Land und entdeckten traumhafte Sandstrände, rauchende Vulkane, verschlungene Dschungelflüsse und tiefe Seen. Zunächst war alles sehr abenteuerlich, eine touristische Infrastruktur fehlte fast gänzlich.
Auf der Isla de Ometepe inmitten des riesigen Nicaragua-Sees erinnert sich der Kaffeebauer Don José an die ersten Urlaubsreisenden. Sie kamen auf die Insel, um den dicht bewaldeten Vulkan Maderas zu besteigen. Auf dem Weg zum Gipfel passiert man die Finca Magdalena. Einst im Besitz des Somoza-Clans, wird sie seit der Revolution von Kleinbauernfamilien bewirtschaftet. In der Kaffeekooperative erbaten die Wanderpioniere Wasser, Kaffee oder ein Bohnengericht, selbstverständlich gegen Bezahlung. Zunächst blieben die Kaffeebauern verwirrt zurück, da sie nicht wussten, dass es durchaus normal ist, mit dem Verkauf von Dingen und Dienstleistungen an Urlauber Geld zu verdienen. Seither hat sich vieles verändert. Die 24 Familien der Finca Magdalena bieten Reisenden seit 1997 einfache Übernachtungsmöglichkeiten, Verpflegung und geführte Vulkantouren an. Der Erlös aus dem Tourismus fließt in den wenig Profit bringenden Kaffeeanbau, in Erziehungsprojekte und in die Unterstützung kranker, mittelloser Menschen.
Auch in anderen Teilen Nicaraguas stößt man heute immer wieder auf gut funktionierende kommunale Tourismusprojekte. Von ihnen soll im zweitärmsten Land Lateinamerikas vor allem die Landbevölkerung profitieren. So auch in El Castillo, einem kleinen Regenwaldstädtchen, das man nur per Boot über den verwunschenen Dschungelfluss Río San Juan erreichen kann. Die lokale Touristeninformation hat 2002 in Kooperation mit dem Natur- und Umweltministerium neun junge Menschen aus dem Ort zu Touristenführern ausgebildet, die nun gemeinsam mit Urlaubern Ausflüge in Nicaraguas größtes Naturschutzgebiet, die Reserva Biológica Indio Maíz, unternehmen. Inmitten des grünen Dickichts des Regenwaldes machen die lizenzierten guías aufmerksam auf knallrotschwarze Pfeilgiftfrösche, Riesenjagdameisen, Brüllaffen, Heilkräuter und kuriose Bäume, die – auf der Suche nach Licht – selbständig ihren Standort wechseln. Wer sich dagegen mehr für das Leben der Landbevölkerung interessiert, kann Doña Josefa besuchen. Auf ihrem bescheidenen Bauernhof bringt sie Touristen bei, wie man Kühe melkt, aus Milch Käse macht und das nicaraguanische Hauptnahrungsmittel tortilla (Maisfladen) zubereitet.
Weniger volkstümlich, dafür nordamerikanischer und cool geht es in San Juan del Sur an der Pazifikküste zu. Das ehemalige Fischerdorf hat sich seit Ende des Bürgerkrieges zu einem der touristischen Hauptorte Nicaraguas entwickelt. Seine traumhaften Sandstrände, gigantischen Wellen und perfekten Sonnenuntergänge locken vor allem Bade- und Surffreaks aus den USA an. Darüber hinaus haben US-amerikanische Familien und Rentner den Ort entdeckt. Sie erwerben hier relativ preisgünstig Feriendomizile beziehungsweise ihren Alterswohnsitz. Mehr Immobilienmakler als in San Juan del Sur finden investitionsfreudige Ausländer nur in Granada, wo der Tourismus seit 1990 in noch stärkerem Maße floriert. US-Amerikaner, manchmal auch Europäer, kaufen die prachtvollen Kolonialhäuser der wunderschönen Stadt und eröffnen in ihnen Hotels mit internationalem Standard. Trotz Internetcafes, Sprachschulen, schicker Restaurants und eleganter Boutiquen hat Granada seinen kolonial-romantischen Charme bewahrt. Im Schatten des erloschenen Vulkans Mombacho gelegen, verzaubert es seine Besucher mit Blattgold verzierten Kirchen, farbenfrohen Adobehäusern, engen Straßen und Pferdekutschen, die hier noch immer ein ganz gewöhnliches Verkehrsmittel sind.
Die ständige Rivalin Granadas ist das ebenfalls koloniale León, wo die größte Kathedrale Mittelamerikas steht. Im Befreiungskampf der Sandinisten hat die linksintellektuelle Universitätsstadt eine herausragende Rolle gespielt. Politisch interessierte Reisende können deshalb in León zahlreiche Museen und Denkmäler mit Revolutionsbezug besichtigen, wie auch in Matagalpa, der Geburtsstadt von Carlos Fonseca Amador. Er war Mitbegründer der sandinistischen Befreiungsfront FSLN, die 1961 ihren Kampf gegen die grausame Diktatur des Somoza-Clans begann. In seinem Geburtshaus befindet sich ein kleines Museum mit Fotos aus seiner Jugend-, Studien- und politischen Widerstandszeit. Carlos Fonseca Amador wurde 1976 von Somozas Nationalgarde erschossen. Seine Geburtsstadt konnten die Sandinisten drei Jahre später, am 17. Juli 1979, befreien. Das war zwei Tage vor dem endgültigen Sieg der Revolution. Auf welchem Weg Somozas Schergen aus Matagalpa in die umliegenden Berge flohen, lässt sich heute im Rahmen einer vierstündigen Wanderung nachvollziehen. Die detaillierte Beschreibung dieser und vier weiterer Wanderrouten ist im Centro Girasol erhältlich. Die Nichtregierungsorganisation unterhält eine Rollstuhlwerkstatt und unterstützt mit dem Erlös aus dem Wanderkartenverkauf Familien mit behinderten Kindern. Berühmtheit hat außerdem Matagalpas Friedhof erlangt, wo man sich die Gräber von Kriegsopfern betrachten kann. Am Eingang warten arbeitslose Jugendliche auf die heutigen Urlaubstouristen. Für ein paar Pesos zeigen sie ihnen die letzten Ruhestätten der im Contra-Krieg verstorbenen deutschen, spanischen und französischen Brigadisten. www.lobOlmo.de
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