Müller, Mühle und Modellbau: Ein Tag in Europas größtem Mühlenmuseum
Strahlend blauer Himmel, leuchtende Ähren, die sich im Wind auf den Feldern wiegen. Bei schönstem Ausflugswetter lohnt es sich, die Schönheiten unseres Landes zu erkunden. Wie wäre es mit einer Reise nach Gifhorn, wo Anabela, Natascha und Viktoria schon auf Ihren Besuch warten? Die drei „Damen“ stehen mit festen Beinen auf dem Boden – und das ist auch gut so, schließlich handelt es sich um Windmühlen.
Wie unterschiedlich Mühlen sein können, ist nur den wenigsten Menschen bewusst. Was als Steckenpferd im kleinen stillen Kämmerchen des Designers Horst Wrobel begann, entwickelte sich zu einer echten Leidenschaft, deren wahres Ausmaß sich im Internationalen Wind- und Wassermühlenmuseum Gifhorn widerspiegelt.
Aus Liebe zur Mühle
Der Samen für die Liebe zur Mühle war Wrobel nicht etwa in die Wiege gelegt, sondern entstand durch eine prägende Begegnung mit dem damals 67-jährigen Müllermeister Erich Röhl. In akribischer Kleinarbeit baute der Designer dessen Abbenroder Bockwindmühle im Maßstab 1:25 nach. Es sollte nicht seine letzte sein.
Der Mühlenmodellbauer begann, sich intensiv mit der Geschichte der Mühlen, unterschiedlichen Bauarten und -materialien zu beschäftigen. Er reiste umher, machte Fotos und trug Informationen aus aller Welt zusammen. Auch die Medien wurden auf Wrobels Bastlerleidenschaft aufmerksam und sorgten für Schlagzeilen wie „In Abbenrode packte ihn plötzlich der Mühlen-Tick“ oder „In seinem Schlafzimmer klappern die Windmühlen“.
Seit dem plötzlichen „Mühlen-Tick“ sind fast 60 Jahre vergangen. Im Laufe der Jahre hat Wrobel seine Mühlensammlung mit internationaler Unterstützung ständig erweitert. Doch die Kosten waren enorm. Im Jahr 2021 verkaufte Wrobel sein Lebenswerk für über zwei Millionen Euro an die Stadt Gifhorn samt Areal nebst Glockenpalast, Basilika und Freiheitsglocke.
Start in die neue Mühlensaison
Nach eineinhalb Jahren umfangreichen Sanierungsarbeiten wurde das Internationale Mühlen- und Wassermuseum pünktlich zum Mühlentag zu Pfingsten 2023 wiedereröffnet. Wrobel selbst konnte an der Eröffnung nicht teilnehmen. Er starb am 1. September 2022.
Auf dem rund 16 Hektar großen Freigelände am Gifhorner Mühlensee kann man heute 13 originale oder originalgetreu nachgebaute Mühlen aus verschiedenen Ländern bestaunen. Sie stammen aus Griechenland, Spanien, Portugal, Frankreich, Russland, Korea und natürlich aus Deutschland.
In einer Halle mit über 800 Quadratmetern bieten rund 50 kleine Mühlenmodelle den Besuchern Einblicke in ihre Vielfalt, darunter eine Holzsägemühle aus Koog, Niederlanden, sowie eine alte Ölmühle aus Isfahan, Iran, eine persische Mühle mit senkrecht stehender Welle. Jede Mühle und jedes Modell für sich ist ein kleines Kunstwerk.
In der Halle können sich auch kleine und große Besucher auf ganz traditionelle Weise mithilfe von Mahlstein oder Kornreibe in der Kunst des Mahlens ausprobieren. Aber auch für das leibliche Wohl ist auf dem Mühlengelände gesorgt. Der Dorfplatz mit seinen Fachwerkhäusern samt Biergarten, Bäckerei und Räumen für bis zu 750 Gäste ist eintrittsfrei erreichbar. Für den Zugang zum gesamten Museum zahlen Erwachsen zehn Euro, für Kinder gibt es je nach Alter gestaffelte Preise bis maximal fünf Euro.
Was der Flügelstand aussagt
„Hat man Korn, so fehlt’s am Winde, hat man Wind, so fehlt das Korn“, wusste bereits Wilhelm Busch. Wissenswertes über Mühlen gibt es indes nicht nur in literarischen Werken. In der Vergangenheit waren es die oft auf Hügeln gelegenen Mühlen selbst, die Geschichten erzählten: Von der Hochzeit bis zum Todesfall über den Protest gegen die Obrigkeit oder eben auch wann der Müller arbeitet und Kunden, so sie den Korn bringen, umgehend bedient werden.
Als einziges „Schriftzeichen“ der Mühlensprache dienen dabei die Flügel, weshalb sie auch Flügelsprache heißt. Wie bei Dialekten üblich, kann die Bedeutung jedoch regional variieren. Mitunter unterscheidet sie sich zudem nur durch die Besegelung beziehungsweise die Stellung der Flügelklappen.
Andreaskreuz
Bilden die Windmühlenflügel ein Andreaskreuz, zeigen also auf 01:30 Uhr, 04:30 Uhr, 07:30 Uhr und 10:30 Uhr, ist grundlegend davon auszugehen, dass die Mühle außer Betrieb ist. Dies setzte der Müller beispielsweise zum Feierabend und während des Urlaubs. Auch Wartungsarbeiten wurden durch ein unbesegeltes Kreuz signalisiert.
Standen die Flügel im Kreuz und waren besegelt, warnte der Müller das Umland. Trugen alle (vier) Flügel Tuch, ging die Gefahr von der Obrigkeit aus und der Müller tat seinen Protest kund. Ein halbbesegeltes Kreuz verwies dagegen auf eine andere Gefahr – bis hin zu kriegerischen Auseinandersetzungen, wobei die Mühle generell auf den Ort des Geschehens ausgerichtet war.
Eine Sonderstellung ist das unbesegelte, aber geschmückte Mühlenkreuz an einem Feiertag.
Griechisches Kreuz
Im Gegensatz zum Andreaskreuz zeigte ein griechisches Kreuz mit den Flügeln auf drei, sechs, neun und zwölf Uhr den Betrieb der Mühle an. Jedoch musste auch hier unterschieden werden: Mit Besegelung war das Signal gern gesehen, denn Kunden werden unverzüglich bedient.
Ohne Besegelung deutete es auf eine (kurze) Pause hin, sodass der Weg zur Mühle dennoch lohnen könnte. Regional deutete diese Stellung auch eine Versammlung an und rief die umliegenden Bewohner auf, sich zu treffen.
Freuden- und Trauerschere
Auch wichtige Familienereignisse der Müllerfamilie verkündete die Mühle. Die sogenannte Freudenschere (01:00 Uhr, 04:00 Uhr, 07:00 Uhr und 10:00 Uhr) setzte der Müller beispielsweise bei einer Geburt, Hochzeit oder anderen glücklichen Anlässen. Die Trauerschere (02:00 Uhr, 05:00 Uhr, 08:00 Uhr und 11:00 Uhr) zeigte hingegen eine Beerdigung oder Ähnliches an.
Weitere Bedeutungen kommen der Trauerschere zu, die auch eine abgewendete militärische Gefahr anzeigen kann oder etwas weiter in Richtung Andreaskreuz gedreht, dass die Mühlsteine geschliffen werden.
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