Mit dem Rucksackboot durch Fluss und Forst – Freiheit in Schweden
Vor Beginn eines Naturerlebnisses im wundervollen Schweden steht die alles entscheidende Frage: Die Schönheit der Landschaft bei einer Wanderung genießen oder doch mit Kanu oder Kajak hydrophile Perspektiven einfangen?
Beides hat seinen Charme, weshalb ich vermutlich auch in etwa gleich vielen Einheimischen auf dem Wasser und auf dem Wanderweg begegne.
Obwohl ich persönlich zur Fortbewegung mit dem Paddel tendiere, gefällt mir die Vorstellung, nicht an ein schweres und sperriges Kajak gebunden zu sein. Wie kann also eine Route mit einem Höchstmaß an Flexiblität bestimmt werden? Hier kommt ins Spiel, was neue Freiheit verspricht: das Packraft. Hinter diesem Neudeutschen Begriff verbirgt sich nicht weniger als ein ultra-leichtes und dennoch strapazierfähiges Rucksackboot. Doch wie ich noch erfahre, ist es mehr als nur ratsam, ausreichend Flickzeug greifbar zu haben. Beinahe strande ich an einer unglücklichen Stelle.
Sechs Tage autark
Am Morgen ist es frisch. Geschätzte 11 bis 13 Grad Celsius lassen die Hände deutlich frösteln, trotzdem ist es insgesamt eine wohlige Atmosphäre. Mit Merinokleidung und Lodenjacke perfekt akklimatisiert, lasse ich den Blick über die Landschaft gleiten, während letzte Regentropfen des Vorabends die Gräser schmücken und sich seichter Nebel zwischen Schilf, Wasser und Bäumen mit den ersten Sonnenstrahlen auflöst.
Mit sorgfältiger Vorbereitung der Ausrüstung geht es los: Bei allen Gegenständen versuche ich, den optimalen Kompromiss aus Gewicht, Packvolumen und Funktionalität zu finden. Und das gilt natürlich umso mehr beim Packraft: möglichst leicht und wendig, auch für spritzigeres Gewässer und zudem geeignet, Ausrüstung und Verpflegung für sechs autarke Tage zu tragen.
Geschultert mit diesen insgesamt 25 gut ausbalancierten Kilogramm beginne ich meine Route auf einem Wanderweg, der parallel zum ersten See beginnt. Die Luft wärmt sich vormittags mit den ersten Sonnenstrahlen nach und nach auf. Die morgendliche Kälte an den Händen ist längst vergangen, das Wandern im Halbschatten ist gut temperiert und der frische Duft des Mischwaldes führt zu einer Dopamin-geladenen ersten Wandererfahrung. Lediglich längere Lichtungsabschnitte lassen erahnen, welche Kraft die Sonne noch entfalten wird: Nach circa 200 Metern mit direkter Lichteinstrahlung fängt es an, auf der Haut zu brennen. Dabei ist es noch nicht einmal Mittag.
Das Packraft habe ich ohne Falte länglich aufgerollt, so passt es exakt in eine abnehmbare Seitentasche meines Rucksacks. Allerdings merke ich schnell, dass meiner Planung ein entscheidender Faktor fehlt.
Dass das Seengebiet von Felsen und Hügeln umgeben ist, ist natürlich nichts Neues. Womit ich zu Beginn jedoch nicht rechne ist, dass der Abschnitt extrem stark von Aufs und Abs geprägt ist. Die Ausrüstung in voller Montur auf ebener Fläche zu tragen ist zwar nicht entspannt, aber 10 Kilometer ohne Pause am Stück traue ich mir durchaus zu. Allerdings sieht es jetzt auf dieser Strecke bedeutend anders aus.
Hallo, Kreislauf
Es gibt kaum grade Wegstrecken, ein Hügel folgt dem nächsten. Höhenunterschied: 10 bis 20 Meter. Nach drei Aufs und Abs spüre ich deutlich meinen Puls, dessen Schlag meinen ganzen Körper durchdringt – überdurchschnittliches Schwitzen gekoppelt an ein glühendes Gefühl im Kopf – da wird mir klar, dass ich voller Tatendrang nicht gefrühstückt habe. Kreislauf auf nüchternen Magen. Volle Kanne. Hinsetzen. Erstmal Pause.
Schnell zwei Nuss-Früchte- und einen Proteinriegel mit gefiltertem Seewasser genossen, geht es dann direkt wieder. Ich ertappe mich bei dem Gedanken, das nächste Mal auf Höhe des Wasserpegels das Packraft zum Einsatz zu bringen und die mittelschweren Steigungen damit für heute hinter mir zu lassen. Doch sollte ich so schnell meine selbstgesteckten Ziele aufgeben? Keinesfalls. Zähne zusammenbeißen. Durchziehen, mit zwei zusätzlichen Pausen. Als ich mein Tagesziel erreiche, belohnt mich nicht nur der Stolz es geschafft zu haben, sondern auch ein verwunschener Lagerplatz: Feuerstelle direkt am Wasser und ein Unterstand umgeben von Felsen.
Aufgeblasen nicht öffnen!
Nach einer doch recht kalten Nacht kommt jetzt bei leichtem Nieselregen das Packraft endlich zum ersten Einsatz. Bevor das Gefährt mit einem ultraleichten Luftsack aufgeblasen wird, muss allerdings zuvor das Equipment verstaut werden: Diese Rucksackboot-Version hat zwei sogenannte Schlauchbeutel, sogenannte „Tube Bags“ . Bedeutet, innerhalb des Luftschlauches sind zwei Taschen eingebaut, die jeweils 70 Liter fassen und damit so raffiniert wie elegant die Ausrüstung im inneren des Schlauchbootes verschwinden lassen.
Links und rechts des Sitzes ist damit ein Großteil meines Gepäcks in dem kleinen Boot von nur gut 2,30 Meter Wasserlinie verstaut. Die Tube Bags werden in dem mit Luft gefülltem Schlauch stark komprimiert und vollständig entlüftet. „Do NOT open while inflated“ ist unbedingt zu beachten. Würde man in aufgeblasenem Zustand jetzt den Schlauch öffnen, würde der Druck aus dem Luftschlauch die Ausrüstung herausschleudern und das Boot erheblich beschädigen.
Das bedeutet zugleich, dass man natürlich als erstes die Luft aus dem Boot lassen muss, bevor man an die verstaute Ausrüstung kommt. Ohne Kompromiss geht es hier also nicht. Dinge für den Tagesbedarf im Schnellzugriff wie Erste-Hilfe-Set, Kamera oder Verpflegung können aber in wasserdichte Packsäcke komfortabel vorn und hinten am Boot befestigt werden.
Achtung: Nicht unzerstörbar!
Der erste Paddeltag ist schnell vorüber. Das Fahrverhalten begeistert mich überwiegend: Wendig, spritzig, absoluter Spaßfaktor, aber weniger einladend gegen die Strömung.
Am folgenden Morgen sitze ich nach wärmendem Kaffee am Ufer, möglichst nah an einer Felsengruppe im Wasser, die etwas hysterische Möwen ihr Zuhause nennen. Dass ich so nah gekommen bin, gefällt ihnen offensichtlich nicht. Immerhin verstehen sie nicht, dass ich lediglich auf der Jagd nach Schnappschüssen ihrer Flug- und Landekünste bin. Plötzlich raschelt es neben mir, das Laub bewegt sich.
Mich verzückt, die erste flinke Maus zu sehen. Nachdem sie mich kurz erblickt, rast sie blitzschnell wieder durch ihre Pfade davon. Noch ahne ich nicht, dass dies nicht der letzte Mauskontakt am Vormittag sein sollte – sehr wohl aber der mit Abstand erfreulichste.
„DAS KANN DOCH NICHT SEIN!“ Neben Stofffetzen und Krümeln kommt mir das Trauerbild eines gut vier Zentimeter runden Lochs im Boden des Bootes entgegen. Ganz klar zu sehen sind die tüchtigen Spuren des Nagers. Mit mich durchdringendem Schrecken merke ich, dass ich über Nacht meine Protein-Riegel-Snacks im Packraft vergessen habe.
Was bedeutet das jetzt? Ist das Packrafting bereits gescheitert? Der Landweg meines aktuellen Standorts ist von hier so abgelegen, dass ich vermutlich zwei zusätzliche Tage brauchen würde. Und die angeknabberten Riegel bedeuten zu allem Überfluss auch noch, dass meine aufgrund des Gewichtsmanagements streng abgezählten Lebensmittel nicht einmal mehr für die regulär verbleibenden Tage reicht.
Hoffentlich ist das nur die einzige Stelle. Hastig suche ich das gesamte Boot nach weiteren Schäden ab. „Glück“ gehabt. Erstmal wieder zur Ruhe kommen. Die Selbstvorwürfe zur Seite schieben. Was ist mit dem Flickzeug? Ist das eher für Kratzer und Pieckser ausgelegte Notfallset diesem Schaden gewachsen? Probieren geht über studieren.
Erstmal alles reinigen. Dann bringe ich an beiden Seiten das transparente Flick-Klebeband auf. Ob das hält?
Untergehen sollte ich jedenfalls nicht damit. Zur Not wenigstens bis zum anderen Ufer, das würde mir schon etwas aus dem „Standortschlamassel“ raushelfen. Also ab aufs Wasser. Doch erstmal natürlich ohne beladene „Tube-Bags“ und Packsäcke. Testen, ob das Provisorium hält, was es verspricht.
Nicht wirklich glücklich über den Schaden, aber immerhin etwas erleichtert stelle ich nach ausgiebigem Test fest, dass der Flicken tatsächlich hält und kein Wasser eindringt. Ich kann die Route offenbar wie geplant fortsetzen. Doch nicht mehr heute. Das Reinigen, Flicken und Testen hat einige Zeit gedauert, sodass ich mein heutiges Tagesziel nicht mehr erreichen kann.
So entschließe ich mich, heute keine Strecke mehr zurückzulegen und eine weitere Nacht am Ort des Trauerspiels zu bleiben. Von jetzt an hängt das Packraft außerhalb des Wassers allerdings konsequent am Baum. Und ich prüfe immer doppelt, dass ich nicht auch nur ein kleines Bisschen interessant Duftendes darin vergesse.
Den restlichen Tag verbringe ich damit, in der wärmenden Nachmittagssonne auf einem wie dafür geschaffenen Felsvorsprung zu meditieren und mich mit meinen inneren Vorgängen zum Geschehen auseinanderzusetzen. Nach und nach entstehen tiefe Ruhe, Zuversicht und Dankbarkeit.
Flexible Nussschale mit Abstrichen
Den Tag empfinde ich nicht als verloren. Wohl aber nehme ich ihn als Anlass, die geplante Route über Bord zu werfen. Glücklicherweise hält die Reparatur problemlos auch bis zum Ende der sechs Tage. Aus der geplanten Route entsteht ein intuitives Draußen-sein. Stellenweise komme ich zu unbefahrbaren Abschnitten mit scharfkantigen Felsen, die knapp unter der Wasseroberfläche lauern oder gerade so darüber hinausgehen. Auch mit einem Kajak oder Kanu ist hier kein Weiterkommen, Umtragen ein Muss. Hier zeigt das Packraft naturgemäß eine seiner Stärken.
Die hohe Flexibilität des komprimierbaren Rucksackbootes ermöglicht es zudem, auch etwas entlegene Gewässer abseits der normalen Route zu erkunden. Teils lasse ich die Ausrüstung im Lager, um eine längere Strecke mit leichtem Gepäck zu Fuß zurückzulegen und später wieder ins aktuelle Lager zurückzukehren.
Allerdings offenbart das wendige Ultraleichtboot klare Nachteile. Als der Gegenwind an zwei Tagen heftiger wird, macht das Paddeln absolut keinen Spaß. Insgesamt kommen hier die voll beladenen Tube Bags dem Fahrverhalten zwar zugute, da es mehr Gewicht im Boot bietet und damit etwas stabiler fährt.
Doch das hilft nur bedingt. Das Packraft ist immer noch sehr leicht und bietet viel Angriffsfläche für den Wind. Es hat nahezu keinen Tiefgang. Teilweise komme ich mir vor wie in einer Nussschale auf hoher See.
Bei normalen Bedingungen kann ich mit einiger Kraftanstrengung im Packraft mit einem zwei-Mann-Kanu über gut 4 Kilometer die Geschwindigkeit halten und teils übertreffen. Bei Gegenwind hingegen ist davon keine Spur mehr. Je stärker der Wind wird, desto mehr Kraft kostet es. Dann beginnt ein Kampf, überhaupt vorwärts zu kommen und nicht Spielball der windigen See zu werden.
Auch bei gemäßigten Bedingungen, Rückenwind oder stiller See ist es keine Option, das Paddeln kurzzeitig einzustellen und sich wie mit einem Kajak einfach etwas treiben zu lassen. Aufgrund der geringen Wasserlinie im Vergleich zum Kanu oder Kajak verliere ich sehr schnell die Richtung. Immer wieder kommt mir die Bezeichnung „Nussschale“ in den Sinn. Allerdings nicht zwangsweise abwertend. Denn auch etwas stärkere Wellen machen enorm Spaß. Die Bauweise ermöglicht ein selbstbewusstes, stabiles und wendiges fahren und lässt eine reale Stärke in spritzigem Gewässer erkennen.
Insgesamt profitiere ich in den sechs Tagen enorm davon, ungebunden zu sein. Doch noch viel mehr, als ich mich von der geplanten Route verabschiede und auf intuitive Erkundung gehe. Das Loslassen der vorherigen Erwartung an die geplante Strecke eröffnet mir die Freiheit, mich per Bauchgefühl fortzubewegen. Jetzt gibt es kein geplantes Tagesziel mehr, keinen inneren Druck, einen Zeitplan einzuhalten. Ich nehme mir Zeit, mit mehr Achtsamkeit auch kleine Details zu genießen. Diese Entschleunigung belohnt mich zum Beispiel mit den ersten kleinen und noch versteckten wilden Blaubeeren des Jahres. Und immer, wenn mich mein Weg querfeldein führt, muss ich auch nicht zwangsweise zu einem sonst gezwungenermaßen zurückgelassenen Kajak zurückkehren.
Ob also geplant oder dann doch mehr spontane Intuition, die Kombination aus Wandern und flexiblem Umstieg auf den Wasserweg eröffnet neue Horizonte. Sie verspricht einzigartige und unvergessliche Erfahrungen in der Natur. Flickzeug nicht vergessen.
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