Guatemala: Zu Gast im Reich der Maya
Auf den Boden der kleinen Hütte hat Avelino einen Opferkreis aus roten, gelben, weißen und lilafarbenen Blütenblättern gelegt. Er ist Priester in der Maya-Kekchí-Gemeinde Quehueche und wird heute ein jahrtausende altes Ritual zelebrieren. Frauen, Männer und Kinder sind zusammengekommen. Sie stehen am Hüttenrand und schauen gebannt in die flackernden Flammen der Kerzen auf dem Lehmboden. Sechs Dorfbewohnerinnen haben traditionelle Festtagstrachten an. Sie tanzen um den Blütenblätterkreis herum und schwenken dabei tönerne Weihrauchgefäße. Nach drei Umrundungen gehen sie in die Nacht hinaus, um den Schöpfergott, aber auch den Mais-, Berg-, und Erdgott und den Gott der Christen in die Hütte einzuladen. Als Maya-Priester stellt Avelino nun die Verbindung zu den Gottheiten her. In seiner kehligen Kekchí-Sprache bittet er um Schutz, eine gute Ernte, gesunde Tiere und das Wohlergehen der Touristen, die seine Gemeinde besuchen.
Es ist gar nicht so einfach, nach Quehueche zu gelangen. Zunächst muss man im Boot über den Río Dulce fahren und dann einen zweistündigen Fußmarsch durch den tropischen Regenwald auf sich nehmen. 50 Familien leben in dem kleinen Dorf, wobei sich ihr Alltag kaum von dem ihrer Vorfahren unterscheidet. Mit Machete und Pflanzstock bauen die Männer mitten im Wald Mais, Bohnen und etwas Gemüse an. Währenddessen kümmern sich die Frauen zu Hause um die kleinen Kinder. Sie kochen über dem offenen Feuer, waschen im Fluss die Wäsche von Hand und versorgen die Haustiere. Natürlich kam es auch hier in den vergangenen Jahren zu einigen Veränderungen. In Eigenleistung haben die Dorfbewohner eine Stromleitung nach Quehueche verlegt und ein Ökotourismusprojekt gegründet. Noch immer kommen sehr wenige Fremde hierher.Diese aber erhalten einen authentischen Einblick in die Kultur der Maya-Kekchí, ihre alltäglichen Aktivitäten, religiösen Riten und Glaubensvorstellungen. Für die Gäste steht ein schönes, mit Palmblättern bedecktes Holzhaus bereit. Bekocht werden sie von Frauen aus der Gemeinde, die kaum Spanisch (die Landessprache Guatemalas) verstehen. Über die Hälfte der guatemaltekischen Bevölkerung gehört dem Volk der Maya an, das sich in 21 Stämme mit jeweils eigener eigener Sprache untergliedert. Wie Avelinos Stamm wohnen die meisten Maya auf dem Land und leben von dem, was ihnen Mutter Erde schenkt. Armut, Unterdrückung und Ausgrenzung kennzeichnen den Alltag vieler Indígenas.
Die ersten Maya besiedelten das Gebiet des heutigen Guatemala vor mehr als 4.000 Jahren. Sie waren zwischen 200 und 900 n. Chr. auf dem Höhepunkt ihrer Macht. Damals erschien ihr Reich paradiesisch. Die bedeutendste historische Maya-Anlage ist Tikal. Inmitten der Urwälder des Petén gelegen, gehört die Ruinenstadt zum Pflichtprogramm eines jeden Guatemala-Reisenden. Am frühen Morgen sollte man den 65 Meter hohen „Tempel der doppelköpfigen Schlange“ besteigen. Er überragt das Blätterdach des Regenwaldes und ermöglicht im Licht der aufgehenden Sonne einen magisch-überwältigenden Blick auf Tikal. Die Spitzen von vier weiteren Pyramiden durchbrechen das endlos grüne Meer der Baumriesen. In deren Ästen verteidigen Brüllaffen schreiend ihr Revier, während Nasenbären auf dem Waldboden herumtollen und metallisch-schimmernde Kolibris durch die feuchte Morgenluft schwirren.
Einst lebten 90.000 Menschen in Tikal, darunter Astronomen, Krieger, Architekten, Handwerker und Sklaven. Die Maya waren das am höchsten entwickelte Volk im prähispanischen Amerika. Sie erfanden den Kalender, beherrschten die Mathematik, besaßen eine Schrift und bauten ohne Eisenwerkzeug und Rad gigantische Pyramiden. Den Mittelpunkt von Tikal bildet die Gran Plaza, die vom steilen „Tempel des Großen Jaguar“, dem kunstvollen „Tempel der Masken“ und zwei Akropolen eingerahmt ist. Mehrere Jahrhunderte führten Priester in den Sakralbauten ihre heiligen Zeremonien durch. Außerdem lebten und regierten hier die Herrscherfamilien, bis Tikal um 900 n. Chr. aus unbekannten Gründen von seinen Bewohnern verlassen wurde.
Jahrtausende alte Maya-Riten haben nicht nur in Quehueche, sondern auch in vielen anderen Orten überlebt. Zum Beispiel in Chichicastenango, wo die Spanier 1540 die Kirche Santo Tomás auf den Stufen eines Maya-Tempels errichteten. Auf den prähispanischen Treppen finden sich täglich Maya-Quiché ein. Sie beauftragen Schamanen, eine Verbindung zu ihren Göttern herzustellen. In kleinen Feuern werden Kopalharz und Kerzen verbrannt. Die Mittelsmänner streuen Rosenblätter aus, besprenkeln die Opfergaben mit Schnaps und murmeln Gebete. Nach vollbrachter Maya-Zeremonie betreten die Gläubigen die Kirche Santo Tomás. Sie knien vor einem der Altäre nieder und bitten katholische Heilige um Mithilfe bei der Verwirklichung ihrer Anliegen. Die Vermischung von Maya- und christlichen Riten ist in Guatemala normal. Seit der spanischen Eroberung sind die Maya formal katholisch, haben aber nie ihre eigenen Götter aufgegeben.
Donnerstags und sonntags findet in Chichicastenango Guatemalas größter und farbenprächtigster Markt statt. Im Morgengrauen bauen die Händler ihre Stände auf, während immer mehr Maya-Quiché aus dem Umland ankommen. In gebückter Haltung schleppen sie auf Kopf und Schultern riesige Säcke voller Gemüse, Obst und Kunsthandwerk. Zwiebeln, Tomaten, Ananas, Melonen, getrocknete Fische und Koriander werden auf Planen ausgebreitet. Zu kaufen gibt es außerdem gewebte Stoffe, Tonschüsseln, Gürtel, bemalte Holzmasken, Vasen, Plastikpüppchen, Schuhe und gebrauchte Handys. Besonders schön sind die handbestickten Huipiles – traditionelle Blusen, die die Maya-Frauen noch heute zu handgewebten Röcken tragen. Die Maya-Männer dagegen haben ihre herkömmlichen Trachten gegen Jeans und T-Shirts eingetauscht.
Am Atitlán-See kann man Maya-Cakchiquel-Frauen beim Weben ihrer Kleidung zuschauen. Auf Hüft- oder Trittwebstühlen stellen sie Blusen, Röcke, Gürtel und Tücher her, wobei sich die Trachten von Dorf zu Dorf unterscheiden: In San Antonio etwa leuchten die Huipiles blau-weiß-gestreift, während sie in Santa Catarina türkis bestickt und in Santiago Atitlán farbenfroh mit Blumenmustern verziert sind. Um den Atitlán-See gruppieren sich insgesamt 14 Gemeinden, in denen die Maya vom Gemüseanbau, Fischfang und dem Tourismus leben. Panajachel ist der Hauptanziehungspunkt. Neben Adobehäusern und engen Gassen gibt es hier gute Hotels, Speiselokae und einen spektakulären Blick auf den See. Malerisch ist er von den mächtigen Vulkanen Atitlán, Tolimán und San Pablo umrahmt. Im Schatten der einst feuerspeienden Berge fahren die Fischer frühmorgens auf den See hinaus und gleiten in ihren Einbäumen lautlos über das eiskalte Wasser. Bei Sonnenaufgang ist es am Ufer friedlich und ruhig. Man hat das Gefühl, die Zeit würde stillstehen. Und doch nähert sie sich unaufhaltsam dem 21. Dezember 2012. An diesem Tag endet nach mehr als 5.000 Jahren die Zählung des Maya-Kalenders. Ob dann etwas Fabelhaftes, Unangenehmes oder gar nichts geschehen wird, wissen nur die Götter. www.lobolmo.de
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