Nicht ohne mein Handy: Warum wir nicht mehr „ohne“ sein wollen

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Das Handy piept, klingelt, vibriert oder spielt den neuesten Hit ... Zeichnung: Christian Schlierkamp

Nicht ohne mein Handy: Warum wir nicht mehr „ohne“ sein wollen und weshalb eine Trennung auf Zeit sehr heilsam sein kann

Die EPOCH TIMES veröffentlicht in der Rubrik Gesundheit jede Woche einen Artikel von Sandra Maxeiner und Hedda Rühle, deren munteres Buch „Dr. Psych’s Psychopathologie, Klinische Psychologie und Psychotherapie“ als „Lehrbuch mit der Lustformel“ gerade die Charts emporklettert. So ist dafür gesorgt, dass Lebensnähe und Verständlichkeit bei der Beschreibung von psychischen Problemen garantiert sind.

Wer kennt das nicht? Das Handy piept, klingelt, vibriert oder spielt den neuesten Hit. Gebannt starren wir nur wenige Sekunden später aufs Display, ganz egal, ob wir gerade beim Essen mit unserem Liebsten im Restaurant sitzen, an der Tankstelle oder auch an der Kasse im Supermarkt stehen. Immer mehr Deutsche zeigen ein bedenkliches Verhalten in Bezug auf ihr Smartphone. Und mal ganz ehrlich: Wer von Ihnen kann auch mal ein paar Stunden auf sein Smartphone verzichten und schaltet es konsequent abends aus?

Vor ein paar Stunden las ich auf dem Flug nach Zürich Arianna Huffingtons Buch „Die Neuerfindung des Erfolgs“. Immer wieder musste ich beim Lesen innehalten und so manches Mal auch schmunzeln, als Huffington beispielsweise unvermittelt fragte, welche Ereignisse und Eigenschaften es denn eigentlich seien, die bei Grabreden hervorgehoben werden?

Nein, es ist nicht die Tatsache, dass jemand rund um die Uhr erreichbar war, jede Nacht hunderte von Mails beantwortet oder bis zur Erschöpfung gearbeitet hat, um ein Projekt noch fristgerecht fertigzustellen. Und es sind auch nicht Erfolg, Geld, Statussymbole oder Macht – Dinge, denen viele von uns noch immer nachjagen, weil sie glauben, diese seien die Erfüllung ihrer Träume. Nein, in diesen Reden geht es um das, was den Menschen wirklich ausgemacht hat. Es geht um Mitgefühl, Hilfsbereitschaft, um Leidenschaften, um liebenswerte Macken, um Liebe oder das Engagement für schwache oder Hilfsbedürftige.

Es geht um wahre Werte, um Menschlichkeit und darum, wie der Mensch in unseren Herzen weiterlebt – und nicht um das Streben nach Erfolg, was wir häufig mit dem Sinn des Lebens verwechseln. Keinesfalls geht es darum, ständig erreichbar zu sein, denn ein Handy nutzt ein paar Meter unter der Erde nichts mehr. 

Wagen Sie doch einmal ersten kleinen Schritt auf dem Weg zu einer Trennung auf Zeit und aktivieren Ihr Handy nicht sofort nach einem Flug. Oder versuchen Sie abends, bevor Sie zu Bett gehen, nicht noch einen flüchtigen, letzten Blick auf die Mails zu werfen und auch morgens ihren Tag nicht damit zu beginnen, sofort aufs Display zu starren, weil Sie das Gefühl nicht loswerden, etwas verpasst zu haben.

Die Erde dreht sich weiter – auch wenn wir nicht ständig online sind. Versuchen Sie, sich kleine Auszeiten vom Allzeit-Bereit-Modus zu gönnen und bewusst innezuhalten. Suchen Sie sich einen ruhigen Platz ohne Fernsehen, Musik im Hintergrund, Computer oder Laptop. Seien Sie mit sich selbst für fünf Minuten allein – und Sie werden feststellen, wie lang fünf Minuten werden können und wie schwierig es ist, einfach dazusitzen und nichts anderes zu tun. Denn gerade unsere ständige Erreichbarkeit und unser permanenter „Stand-by-Modus“ sind es, die uns daran hindern, mit uns selbst in Kontakt zu kommen.

Was ist „Handy-Sucht“?

Normalerweise denken wir bei dem Wort „Sucht“ an Drogen, Glücksspiel oder Alkohol. Doch wissenschaftliche Studien belegen, dass auch unsere Mobilfunk-Nutzung außer Kontrolle geraten kann. So sehr, dass Psychologen und Mediziner von einer Abhängigkeit sprechen.

Ergebnisse einer Studie der Baylor-University in Waco zeigen beispielsweise, dass sich mehr als 60 Prozent der 19- bis 22-jährigen Studienteilnehmer selbst als „handysüchtig“ bezeichneten. Hinzu kommt, dass viele der Befragten auch eine direkte Beeinflussung ihrer Entwicklung und Lebensqualität wahrnehmen.

Eine andere Studie der Universität Bonn, die das Telefonverhalten von 50 Studenten über einen längeren Zeitraum untersuchte, hat ergeben, dass ein Viertel von ihnen ihr Telefon mehr als zwei Stunden pro Tag nutzte. Im Schnitt aktivierten die Studenten 80 mal täglich ihr Telefon – tagsüber durchschnittlich alle zwölf Minuten. Bei einigen Probanden fielen diese Zahlen gar doppelt so hoch aus.

Aber ab wann ist man nun eigentlich „handysüchtig“? Geht es dabei lediglich um die Zeit, die man täglich mit seinem Handy verbringt, oder ist da noch mehr?

Dr. Sandra Maxeiner, Autorin von Dr. PsychDr. Sandra Maxeiner, Autorin von Dr. Psych’s Psychopathologie.Foto: Jerry Media Verlag

Sind Sie „handysüchtig“?

Weil es sich bei der „Handy-Sucht“ um eine bislang nicht offiziell anerkannte Sucht handelt, gibt es auch noch keine festgelegten Diagnose-Kriterien, die sie eindeutig identifizieren. Da eine „Handy-Abhängigkeit“ jedoch einer Internetabhängigkeit durchaus ähnelt, kann man ihr mit Hilfe einer Kriterien-Liste auf die Spur kommen, die die Amerikanerin Kimberly Young für Internetabhängigkeit aufstellte.

Denn genau wie die Internet- und die Glücksspielsucht ist auch die Smartphone-Sucht eine sogenannte „nicht stoffgebundene Abhängigkeit“. Das heißt, das Suchtmittel ist hier kein natürlicher oder chemisch hergestellter Stoff wie Alkohol und Drogen sondern etwas nicht-stoffliches, beispielsweise eine Tätigkeit wie das Glücksspielen, das Internetsurfen oder eben das „Smartphonesurfen“. In Anlehnung an Youngs Kriterien sollten mindestens fünf der folgenden Punkte zutreffen, um die Diagnose „Handy-Abhängigkeit“ stellen zu können.

Mögliche Diagnosekriterien einer „Handy-Abhängigkeit“

 

1.

Ständige gedankliche Beschäftigung mit dem Smartphone, auch wenn man es gerade nicht benutzt: Die Gedanken kreisen um vorherige oder zukünftige Smartphone-Aktivitäten wie das Checken von E-Mails, Versenden von SMS oder Whats-App-Nachrichten oder die Nutzung von Facebook und anderen Apps

2.

Zwanghafte Ausdehnung der mit dem Smartphone verbrachten Zeiträume: Man greift immer häufiger zum Handy und ist immer weniger bereit, es wegzulegen

3.

Ruhelosigkeit, Launenhaftigkeit, Depressivität oder Reizbarkeit bei dem Versuch, den Smartphone-Gebrauch zu reduzieren oder gar für einige Zeit zu stoppen

4.

Auch wenn man sich vornimmt, die Zeit am Smartphone zu begrenzen, nutzt man es doch regelmäßig länger als ursprünglich intendiert, weil man nicht aufhören kann

5.

Die Smartphone Nutzung wird zur wichtigsten Aktivität des Tages, der alles andere untergeordnet wird. Auch soziale Kontakte werden vernachlässigt und sogar enge Beziehungen wegen des zwanghaften Smartphone-Gebrauchs aufs Spiel gesetzt

6.

Familienmitglieder, Therapeuten oder andere werden belogen, um das wahre Ausmaß der Smartphone-Aktivitäten zu verbergen

7.        Mit dem Smartphone online zu gehen wird zum Weg, Problemen auszuweichen oder unangenehme Gefühle zu vermeiden

 

Tabelle: Diagnosekriterien Handy-Abhängigkeit

Oft stellen sich regelrechte Entzugserscheinungen ein, wenn Smartphone-Süchtige ihr Gerät nicht benutzen können. Die Betroffenen werden unruhig und nervös, wippen mit den Beinen oder sie sind reizbar und übellaunig bis hin zu aggressiven Ausbrüchen. Andere geraten dagegen in eine trübsinnige, depressive Stimmung oder haben sogar Angstzustände. Einige zeigen körperliche Anzeichen wie Schwitzen oder Zittern.

Was hilft, um das eigene Nutzungsverhalten richtig einzuschätzen?

Zunächst können Sie Ihr Verhalten anhand der oben aufgeführten sieben Kriterien nach Kimberly Young, die wir für die Handy-Abhängigkeit abgewandelt haben, überprüfen. Weil es aber häufig schwerfällt, das eigene Verhalten selbst richtig einzuschätzen, hilft Ihnen zusätzlich eine App der Universität Bonn. Sie wertet aus, wie oft Sie Ihr Handy aktivieren und wie häufig Sie Ihr Telefon tatsächlich sperren. Außerdem registriert die App, welche Programme und Funktionen Sie nutzen und mit welchen Personen Sie wie oft kommunizieren. Die App namens „Menthal“ kann man aus dem Google Play Store oder direkt von menthal.org kostenlos herunterladen.

Was können Sie tun, wenn Sie glauben, handysüchtig zu sein?

Wer seine tägliche Beschäftigung mit dem Handy reduzieren will, kann dies mit einfachen Regeln versuchen, wie etwa das Smartphone nicht mehr gemütlich auf dem Sofa oder gar im Schlafzimmer zu nutzen, sondern nur noch auf einem unbequemen Stuhl oder im Büro. Auch in Situationen, in denen man mit nahestehenden Menschen zusammen ist – wie etwa beim Abendessen oder einer Geburtstagsfeier – sollte das Smartphone tabu sein. Weitere Möglichkeiten sind Smartphone-freie Tage oder das regelmäßige Ausschalten des Handys ab 19 Uhr, wenn es nicht aus wirklich zwingenden Gründen benutzt werden muss.

Und wenn Sie wirklich einmal eine Auszeit nehmen wollen, um Abstand zu gewinnen und zu sich selbst zu kommen, wäre auch ein Aufenthalt im Kloster eine Alternative. Denn die meisten von uns werden von den Anforderungen des täglichen Lebens derartig in Beschlag genommen, dass sie ganz vergessen, auf das zu achten, was in ihrem eigenen Geist, Körper und Herzen vor sich geht.

Ein Wochenende lang in einer reizfreien Umgebung innehalten, ohne Handy, Fernsehen oder Laptop, einfach nur meditieren, störende Gedanken, die Ihren Kopf blockieren, ausblenden, und sich aufs Wesentliche zu konzentrieren, kann Wunder wirken und eine sehr heilsame Erfahrung sein.

Literatur: Sandra Maxeiner, Hedda Rühle (2014), Dr. Psych’s Psychopathologie, Klinische Psychologie und Psychotherapie, Band 2, Kapitel 13, Jerry Media Verlag



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