Opfer oder Täter: Welche Rolle spielt der Mensch bei der Übertragung von Zoonosen?

Der Mensch ist täglich in Kontakt mit Tieren und Viren – teils mit schweren gesundheitlichen Folgen. Eine neue Studie aus England zeigt, dass der Mensch deutlich mehr virale Erreger an Tiere weitergibt, als er von ihnen bekommt. Noch gefährlicher kann es werden, wenn es zu einem Bumerangeffekt kommt.
Menschen geben mehr Viren an Tiere weiter, als sie bekommen
Menschen geben etwa doppelt so oft Viren an andere Tiere weiter als umgekehrt.Foto: iStock
Von 8. April 2024

Menschen geben mehr Krankheiten an Nutz- und Wildtiere weiter, als sie von ihnen bekommen. Das ist das Ergebnis einer umfassenden Analyse von Virusgenomen durch Forscher des University College London (England).

Das Team analysierte hierfür alle öffentlich zugänglichen Genomsequenzen von Viren, um Überträger und Empfänger der Krankheiten zu ermitteln.

Dabei stellten die Wissenschaftler fest, dass dem Menschen mehrheitlich nicht die Rolle des „Opfers“ zuteilwird, sondern vielmehr die des „Täters“. Doch einmal verteilt, können auch die Täter zu Opfern werden.

12 Millionen Spuren

Die Übertragung von Krankheiten kann auf unterschiedlichen Wegen und durch verschiedene Auslöser erfolgen. In den letzten zehn Jahren wurde am häufigsten über die sogenannten Zooanthroponosen berichtet – also Krankheiten, die von Tieren auf den Menschen übertragen werden.

Als Erreger kommen neben Bakterien oder Parasiten vor allem Viren infrage, die beispielsweise mit Tollwut oder Ebola zu einzelnen oder zahlreichen Ausbrüchen weltweit führen können.

Angesichts der enormen Auswirkungen der Zoonosen auf die öffentliche Gesundheit wurde der Mensch im Allgemeinen eher als Empfänger denn als Quelle (der sogenannte Wirt) betrachtet. Folglich schenkte die Forschung den von Menschen an Tieren übertragenen Krankheiten – den sogenannten Anthropozoonosen – weit weniger Aufmerksamkeit.

Übertragung von Viren zwischen Menschen und Tieren

Viren können von Menschen an Nutz- und Wildtiere (Anthropozoonosen) übertragen werden sowie von den Tieren auf Menschen (Zooanthroponosen) und so verschiedene Krankheiten auslösen. Foto: ger/Epoch Times

Mit ihrer aktuellen Studie wollten die Forscher um Professor François Balloux vom University College London diese Lücke schließen. Hierfür analysierten Balloux und seine Kollegen fast 12 Millionen virale Genome, die bisher in öffentlichen Datenbanken existieren.

Die meisten Proben stammten aus den USA und China, während Länder in Afrika, Zentralasien, aber auch Südamerika und Osteuropa „stark unterrepräsentiert“ waren.

Anhand von rund 60.000 geprüften Datensätzen aus 32 Virusfamilien rekonstruierten sie schließlich die Entwicklung der Viruskrankheiten sowie deren Wirtswechsel. Außerdem wollten sie herausfinden, welche Teile der viralen Genome bei Wirtswechseln zu Mutationen führen.

Liste der untersuchten Viren

Übersicht der 32 untersuchten Virusfamilien, einschließlich ausgewählter Viruserkrankungen (in Klammern). Foto: ger/Epoch Times

Tiere bekommen doppelt so viele Viren

Das Ergebnis: Es fanden etwa doppelt so viele Wirtssprünge von Menschen auf Tiere statt als umgekehrt – ein Muster, das bei den meisten untersuchten Virusfamilien gleich war. Noch mehr Wirtssprünge fanden die Forscher allerdings von Tier zu Tier.

Obwohl die genomische Überwachung auf den Menschen ausgerichtet ist, waren lediglich bei 21 Prozent aller mutmaßlichen Wirtssprünge unsere Spezies betroffen.

Das zeigt „die große Vielfalt von Tierviren im globalen viralen Netzwerk“ und deren Ausbreitung, heißt es in der Studie. Die Ergebnisse unterstreichen jedoch auch die ebenfalls unterschätzte Tatsache, dass der Mensch eine erhebliche Rolle bei der Übertragung von Viren auf Wild- und Nutztiere spielt.

Die höchste Anzahl von Mensch-zu-Tier-Übertragungen fanden die Forscher bei SARS-CoV-2, MERS-CoV und Influenza-A. Allein auf SARS-CoV-2 entfielen insgesamt fast 70 Prozent aller Genome. Bei den restlichen 30 Prozent wird deutlich, dass der Mensch die Hauptquelle der Krankheitsübertragung ist.

Der Mensch überträgt deutlich mehr Viren an Tiere als umgekehrt

Die Untersuchung der Viren (ausgenommen SARS-CoV-2) ergab, dass der Mensch deutlich häufiger Krankheiten an Tiere übertragt als umgekehrt. Foto: Tan et al. (Nat. Ecol. Evol. 2024), CC BY 4.0 Deed; Übersetzung: ger/Epoch Times

Professor François Balloux ergänzte in diesem Zusammenhang:

Wir sollten den Menschen als einen Knotenpunkt in einem riesigen Netzwerk von Wirten betrachten, die endlos Krankheitserreger austauschen, und nicht als eine Auffangstelle für zoonotische Erreger.“

„Indem wir die Übertragung von Viren zwischen Tieren und Menschen in beide Richtungen untersuchen und überwachen, können wir die Entwicklung von Viren besser verstehen. Somit können wir hoffentlich gezielter auf künftige Ausbrüche und Epidemien neuartiger Krankheiten vorbereitet sein, während wir uns gleichzeitig um die Erhaltung der Artenvielfalt bemühen“, so Balloux weiter.

Wie ein Bumerang

Außerdem zeigen die Forschungsergebnisse, dass sich das Genom der Viren deutlich verändern oder mehr Mutationen aufweisen kann, wenn ein Wirtssprung erfolgte. Dies belege, dass sich die Viren anpassen müssen, um ihre neuen Wirte besser zu nutzen, so die Forscher.

Das muss jedoch nicht immer der Fall sein. So zeigen Viren, die bereits viele verschiedene Tiere infizierten, schwächere Ausprägungen dieses Anpassungsprozesses. Diese könnten also von Natur aus fähiger sein, eine Vielzahl von Wirten zu infizieren, während andere Viren möglicherweise umfangreichere Anpassungen an einen neuen Wirt benötigen.

„Wenn sich Tiere mit Viren von Menschen infizieren, kann dies nicht nur dem Tier schaden und möglicherweise eine Bedrohung für die Erhaltung der Art darstellen, sondern auch neue Probleme für den Menschen verursachen. Es könnte sich beispielsweise auf die Nahrungsmittelsicherheit auswirken, wenn eine große Anzahl von Tieren getötet werden muss, um eine Epidemie zu verhindern“, erklärt Cedric Tan, Hauptautor der Studie.

Und selbst wenn ein unter Menschen übertragener Virus beim Menschen ausgerottet sei, könne dieser durch einen Bumerangeffekt für ihn erneut zu einer Gefahr werden.

„Wenn ein vom Menschen übertragenes Virus eine neue Tierart infiziert, könnte das Virus auch dann weiter gedeihen, wenn es beim Menschen ausgerottet ist. Es könnte sogar neue Anpassungen entwickeln, bevor es wieder zum Menschen übergeht und ihn infiziert“, ergänzt Tan.

Übergriffige Viren stoppen

Um dies zu verhindern, müssen die Wissenschaftler jedoch zunächst Ursachenforschung betreiben. „Wir müssen verstehen, wie und warum sich Viren so entwickeln, dass sie über den gesamten Lebensbaum hinweg auf verschiedene Wirte übergreifen. So können wir schließlich herauszufinden, wie neue Viruserkrankungen bei Menschen und Tieren entstehen“, sagt Tan.

Der Eintritt in eine Zelle wird im Allgemeinen als der erste Schritt angesehen, mit dem ein Virus einen Wirt infiziert. Das Team fand jedoch heraus, dass viele der Anpassungen, die mit Wirtssprüngen verbunden sind, nicht in den viralen Proteinen zu finden sind.

Bislang ging die Forschung davon aus, dass diese Proteine es ermöglichen, sich an Wirtszellen anzulagern und in sie einzudringen. In Wahrheit scheint die virale Wirtsanpassung ein deutlich komplexerer Prozess zu sein, der noch nicht vollständig verstanden ist.

„Die wichtigste Herausforderung für die Zukunft besteht darin, das Wissen und die Instrumente aus verschiedenen Disziplinen wie Genetik, Epidemiologie und Ökologie zu integrieren, um unser Verständnis von Wirtssprüngen zu verbessern“, sagte Mitautorin Dr. Lucy van Dorp abschließend.

Die Studie erschien am 25. März 2024 im Fachjournal „Nature Ecology & Evolution“.



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