Neurologin: 45 Prozent der „Patienten mit Hirnverletzungen hätten überlebt“

Laut einer Studie von US-amerikanischen Forschern hätten Patienten mit traumatischen Hirnverletzungen überleben können, wenn die lebenserhaltenden Maßnahmen nicht zu früh eingestellt worden wären. Sie plädieren daher für ein vorsichtigeres Vorgehen und warnen vor zu frühen Entscheidungen.
Zu früh aufgegeben: „Patienten mit Hirnverletzungen hätten überlebt ...“
Laut einer Studie von US-amerikanischen Forschern hätten Patienten mit traumatischen Hirnverletzungen überleben können, wenn die lebenserhaltenden Maßnahmen nicht zu früh eingestellt worden wären.Foto: Motortion/iStock
Von 21. Juni 2024

Schwere traumatische Hirnverletzungen (TBI) sind eine der Hauptursachen für Krankenhausaufenthalte und Todesfälle auf der ganzen Welt. Jedes Jahr sind mehr als fünf Millionen Menschen davon betroffen.

Welche Folgen eine derartige Hirnverletzung für den Patienten hat und wie seine Überlebenschancen sind, sind schwer beurteilbar. Dennoch müssen Familien und Angehörige häufig innerhalb weniger Tage eine lebenswichtige Entscheidung treffen: Die lebenserhaltenden Maßnahmen einstellen oder nicht?

Dieses schnelle Vorgehen wird nun von US-amerikanischen Forschern des Forschungskrankenhauses Mass General Brigham kritisiert. Ihre Arbeit zeigt, dass in vielen Fällen (45 Prozent) nicht nur ein Überleben, sondern auch eine Genesung (13,5 Prozent) möglich gewesen wäre.

Familien und Angehörige unter Druck

In ihrer Studie untersuchten die Neurologin Yelena Bodien und ihre Kollegen die möglichen klinischen Ergebnisse von Patienten mit Schädel-Hirn-Verletzungen, bei denen die lebenserhaltenden Maßnahmen eingestellt wurden.

Laut Bodien hätten einige dieser Patienten ihre Verletzung überleben und nach mehreren Monaten ein gewisses Maß an Unabhängigkeit wiedererlangen können. Somit könne ein Aufschub der Entscheidung über das Abstellen von Maschinen für einige Patienten von Vorteil sein.

Angehörige sind häufig aufgefordert, innerhalb von 72 Stunden nach einer Hirnverletzung die Entscheidung über das Einstellen lebenserhaltender Maßnahmen – wie beispielsweise der mechanischen Beatmung – zu treffen. Der häufigste Grund für ein Abstellen sind die negativen Prognosen der Ärzte.

Derzeit gibt es jedoch keine medizinischen Leitlinien oder präzisen Algorithmen, um zu bestimmen, welche Patienten mit schweren Schädel-Hirn-Verletzungen wahrscheinlich wieder gesunden.

Vier von neun Patienten überleben

Um beurteilen zu können, ob Patienten überlebt hätten, erstellten die Forscher ein mathematisches Modell. Dieses fütterten sie mit den Daten von 1.392 Patienten mit schweren Schädel-Hirn-Traumata, deren Maschinen abgestellt wurden.

Danach errechneten sie die Wahrscheinlichkeit, mit der die Patienten hätten überleben können. Sie berücksichtigten dabei Eigenschaften wie demografische und sozioökonomische Faktoren sowie die Verletzungsmerkmale. Zum Schluss verglichen sie diese Daten mit jenen von Patienten, bei denen die lebenserhaltenden Behandlungen nicht abgebrochen wurden und die einen ähnlichen Modellwert hatten.

Auf der Grundlage der Nachbeobachtung hätten 45 Prozent der Patienten nach sechs Monaten überlebt. Davon wiederum 30 Prozent hätten laut Studie eine gewisse Unabhängigkeit bei den täglichen Aktivitäten wiedererlangt.

Errechnete Wahrscheinlichkeit, dass Patienten eine Hirnverletzung überlebt hätten

Bodien und ihre Kollegen haben errechnet, mit welcher Wahrscheinlichkeit Hirntrauma-Patienten überlebt hätten, wenn die lebenserhaltenden Maßnahmen nicht bereits nach drei Tagen eingestellt worden wären. Foto: ger/Epoch Times nach Sanders et al. (2024); Barks_japan, tacktack, ArnaPhoto, SpicyTruffel, jittawit.21/iStock

Darüber hinaus stellte das Forschungsteam fest, dass ein Verbleib im Wachkoma sechs Monate nach der Verletzung unwahrscheinlich war.

Bei den untersuchten Patienten handelte es sich lediglich um Menschen mit der Diagnose einer Hirnverletzung und nicht um jene, die Ärzte für hirntot erklärten. Deshalb seien diese Ergebnisse der Studie nicht auf den Hirntod übertragbar.

Selbst erfüllende Prophezeiung der Ärzte

Den Autoren zufolge deuten die Ergebnisse darauf hin, dass häufig eine zyklische, sich selbst erfüllende Prophezeiung stattfindet. So gingen viele Ärzte davon aus, dass es Patienten mit schlechten Daten und Prognosen nicht schaffen werden. Diese Annahme führt dazu, dass die lebenserhaltenden Maßnahmen eingestellt werden, was wiederum die Rate der schlechten Ergebnisse erhöht und zu noch mehr Abschaltungen führt.

Bodien und ihre Kollegen schlagen daher vor, weitere Studien mit größeren Stichproben durchzuführen, um die unterschiedlichen Überlebenschancen und Genesungsverläufe der Patienten mit Hirnverletzung zu verstehen.

„Unsere Ergebnisse sprechen für eine vorsichtigere Herangehensweise bei frühen Entscheidungen über den Abbruch der lebenserhaltenden Maßnahmen“, erklärt Yelena Bodien vom Massachusetts General Hospital.

„Ein Schädel-Hirn-Trauma ist eine chronische Erkrankung, die eine langfristige Nachbeobachtung erfordert, um die Ergebnisse der Patienten zu verstehen. Die Verzögerung von Entscheidungen über lebenserhaltende Maßnahmen kann gerechtfertigt sein, um Patienten, deren Zustand sich verbessern könnte, besser zu identifizieren“, so Bodien abschließend.

Die Studie erschien am 13. Mai 2024 im Fachmagazin „Journal of Neurotrauma“.



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