Laborthese vor Gericht: Die Urteilsbegründung zu „Drosten gegen Wiesendanger“

Der Virologe Christian Drosten verklagte den Physiker Roland Wiesendanger. Der dürfe nicht mehr behaupten, Drosten habe die Öffentlichkeit gezielt getäuscht, als er die Laborthese als Verschwörungstheorie bezeichnete. Epoch Times liegt die Urteilsbegründung exklusiv vor.
Der Berliner Virologe erzielt vor Gericht einen Erfolg gegen Behauptungen von Roland Wiesendanger.
Fünfzig-Fünfzig heißt es am Ende zwischen Drosten und Wiesendanger.Foto: Kay Nietfeld/dpa
Von 31. Januar 2023

Prof. Roland Wiesendanger, prominenter Verfechter der Laborthese, sprich der Freisetzung eines menschengemachten Coronavirus, hält seit ein paar Tagen die Begründung eines Urteils des Hanseatischen Oberlandesgerichts in den Händen, die den vorläufigen Endpunkt einer vor Gericht gelandeten fachspezifischen Auseinandersetzung zwischen zwei Wissenschaftlern markiert.

Prof. Christian Drosten hatte Wiesendanger auf Unterlassung diverser in einem Magazin-Interview gemachter Aussagen verklagt. Das Verfahren ging über mehrere Instanzen.

Ein deutsches Sprichwort lautet: „Die Mühlen der Justiz mahlen langsam.“ In der Geschwindigkeit der Ereignisse des echten Lebens kann es danach durchaus passieren, dass vor Gericht über etwas gestritten wird, das bei Urteilsverkündung bezogen auf den Gegenstand der Auseinandersetzung längst überholt erscheint.

Was hat Wiesendanger dem Magazin „Cicero“ über Drosten gesagt, das Letzterem nicht passte, dass es oder wie es gesagt wurde?

Zusammengefasst geht es um Drostens Rolle bei der von Wiesendanger behaupteten Unterdrückung der „Laborthese“, der Behauptung, dass COVID-19 aus einem Labor in Wuhan, China, und nicht einer Zoonose via Fledermaus entstammt.

Aber warum ist es für jemanden bedeutsam, sich überhaupt darum zu streiten? Zunächst einmal steht mit der Laborthese der gewichtige Vorwurf im Raum, dass Laborwissenschaftler dieses Virus mit allen schon bekannten und noch unbekannten Folgen für die Menschheit freigesetzt haben.

Tiermarkt oder Labor – Wuhan ist der Schlüssel

Es geht hier um Verantwortung, Rechenschaft und Wiedergutmachung, wie die mediale Debatte gerade der letzten Wochen um möglicherweise ungerechtfertigte Lockdowns, nicht notwendige Einschränkungen der Grundrechte und mögliche Schäden der mRNA-Impfungen gezeigt hat.

In den ersten Monaten der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ausgerufenen Pandemie setzte sich zunächst die These durch, dass Corona einer Fledermaus-Zoonose entstammt, zufällig freigesetzt mutmaßlich auf einem Tiermarkt in Wuhan.

Zusammengefasst vertrat Prof. Wiesendanger demgegenüber die Ansicht, dass das Virus nicht zufällig von Wuhan aus in die Welt gelangt, sondern aus dem Virologie-Institut von Wuhan (WIV) entwichen sei. Wiesendanger untermauerte seine These unter anderem mit der Beschaffenheit des Virus und seiner spezifischen Merkmale, die für ihn auf eine Laborentstehung hinweisen.

Roland Wiesendanger war hier ein Pionier. Schon vor über zwei Jahren hatte er seine Thesen vorgelegt, die allerdings vielfach auf wenig Zustimmung stießen. Das Portal von Roland Tichy begründete diese Ablehnung im Februar 2022 folgendermaßen: „Vor allem Christian Drosten sorgte dafür, dass solche Theorien in Deutschland pauschal als ‚Verschwörungstheorie‘ abgestempelt wurden.“

Lange stand Wiesendanger mit seinen Ergebnissen isoliert da. Aber mittlerweile bekräftigten weitere relevante wissenschaftliche Arbeiten seine These. Die unabhängige US-Rechercheorganisation ProPublica etwa meint, dass das Virus einem Labor entstammen könnte. Und auch ein Forscherteam um Dr. Valentin Bruttel, der an der Universität Würzburg arbeitet, behauptet, wichtige Indizien für die Laborthese gefunden zu haben. Weitere Fachleute schlossen sich an, wie der„Focus“ berichtete.

Das ist zusammengefasst die Vorgeschichte hin zum Interview, das Prof. Wiesendanger dem Magazin „Cicero“ am 2. Februar 2022 gab. Bald nach Erscheinen mahnte Drosten Wiesendanger ab und erwirkte am 14. März 2022 eine einstweilige Verfügung beim Landgericht Hamburg.

Eine Sprecherin der Berliner Charité hatte im Namen von Drosten Anfang März Magazin und Wissenschaftler aufgefordert, „falsche Behauptungen zu unterlassen, dass Professor Drosten die Öffentlichkeit über den Ursprung des Virus getäuscht und sich an angeblichen Vertuschungsaktionen beteiligt habe“.

In erster Instanz konnte sich Drosten nicht umfänglich gegen Wiesendanger durchsetzen. Die Aufteilung des Streitwertes von 70.000 Euro fiel zu 67 Prozent auf Drosten und zu 33 Prozent auf Wiesendanger. Und von den ursprünglich neun strittigen Aussagen im Interview bleiben nach der Berufung letztlich zwei Aussagen Wiesendangers über, die vom Hanseatischen Oberlandesgericht als „unzulässig“ bestätigt wurden.

Nach der Berufung lag die Verteilung des Streitwertes bei etwa Fünfzig-Fünfzig. Von einem Sieg Drostens, wie ihn etablierte Zeitungen berichteten, konnte kaum die Rede sein. Epoch Times liegt exklusiv die Begründung des Urteils durch das OLG Hamburg vor. Hier befasst sich das Gericht intensiv mit der Bedeutung der deutschen Sprache und der Auslegung von Begrifflichkeiten. Entlang seiner Analysen liest sich das Urteil absatzweise wie einem Proseminar für Germanistik entliehen.

Das Gericht fast zunächst zusammen, um was es eigentlich geht: In der Frage, woher Corona eigentlich stammt, ständen sich „im Wesentlichen zwei Thesen gegenüber, zum einen die, dass das Virus natürlichen Ursprungs sei und von Fledermäusen auf den Menschen übergegangen sei, zum anderen die, dass das Virus in einem Labor künstlich erzeugt worden und von dort entwichen sei“.

Drosten favorisiere die erste These, so das Gericht, Wiesendanger die zweite. Was hier diskutiert wird, ist im Prinzip die Frage, ob Drosten seine These wider besseres Wissen verbreitet und Wiesendangers Laborthese mutwillig unterdrückt hat.

Das Gericht weist in seinem Urteil darauf hin, dass Drosten „jedenfalls zeitweilig“ an einer „internationalen Telefonkonferenz mehrerer Virologen zur Frage der Herkunft des Corona-Virus am 1 . Februar 2020“ teilgenommen hat.

Außerdem wird erwähnt, dass Christian Drosten einer der Corona-Experten war, die die Laborthese öffentlich als „Verschwörungstheorie“ bezeichnet haben:

„Am 19. Februar 2020 wurde ein offener Brief internationaler Corona-Experten – unter ihnen auch der Antragsteller – in dem Wissenschaftsjournal ‚The Lancet‘ veröffentlicht, in dem es unter anderem heißt (im Original in englischer Sprache): ‚Wir stehen zusammen und verurteilen auf das Schärfste Verschwörungstheorien, die besagen, dass COVID-19 keinen natürlichen Ursprung hat.'“

Weiter stellte das Gericht fest, dass Prof. Drosten zu einem Zeitpunkt vor der Veröffentlichung des Wiesendanger-lnterviews die Erklärung einer Gruppe von Wissenschaftlern mit dem Namen ,,Scientists for Science“ unterzeichnet habe, „die sich für biomedizinische Forschung auch an potentiell gefährlichen Krankheitserregern unter bestimmten Bedingungen einsetzt“.

In der Urteilsbegründung steht auch, dass Christian Drosten behauptet hat, der Anlass für die Veröffentlichung in „The Lancet“ – hier wurde festgeschrieben, dass die Laborthese eine Verschwörungstheorie ist – sei gewesen, dass man damit chinesische Laborwissenschaftler vor Anfeindungen schützen wollte. Diese hätten „das Virus jedenfalls nicht erzeugt“ und seien „redlich bemüht gewesen […], die Pandemie zu bekämpfen“.

Wie aus Drostens „Verschwörungstheorie“ eine Möglichkeit wird

Nun hat Drosten nachweislich spätestens ab Mitte Juni 2021 in mehreren Publikationen die Laborthese demgegenüber als eine vage Möglichkeit betrachtet. Da war die Laborthese als Verschwörungstheorie allerdings schon länger als Grundrauschen in den Medien etabliert.

Prof. Roland Wiesendanger bekam in der Hauptverhandlung teilweise Recht, aber das genügte ihm offensichtlich nicht. Er legte Berufung ein, zu der jetzt das Urteil vorliegt.

Wiesendangers Berufung richtete sich gegen drei Punkte, für die in der Hauptverhandlung eine Unterlassung gegen ihn bestätigt wurde. Drei Punkte wollte er zu seinen Gunsten im Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 14. März 2022 abgeändert haben.

Tatsächlich wurde dann aber lediglich in einem Punkt abgeändert:

„Auf die Berufung des Antragsgegners wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 20. Mai 2022, A2.324 O 88122, abgeändert und […] neu gefasst.“ Die einstweilige Verfügung wurde hier in Punkt 1.2. aufgehoben. Weiter heißt es im Urteil: „Im Übrigen wird die einstweilige Verfügung bestätigt.“

Der Streitwert der Berufungsverhandlung wird hier vom Gericht zu einem Drittel auf Drosten gelegt und zu zwei Drittel auf Wiesendanger. In der Hauptverhandlung mit deutlich höherem Streitwert war das noch andersherum verteilt.

Prof. Wiesendanger darf weiterhin nicht sagen, Prof. Drosten habe die Öffentlichkeit gezielt getäuscht, indem er die Laborthese als Verschwörungstheorie hingestellt habe (als Unterzeichner in „The Lancet“).

Fakt bleibt hier aber weiterhin, dass der „Focus“ Mitte Mai 2020 einen Artikel mit der Schlagzeile „,Kompletter Unsinn‘: Drosten widerlegt Labor-Theorie und bügelt Nobelpreisträger nieder“ veröffentlichte.

Der Virologe damals gegenüber dem „Focus“:

„Was ich höre, auch von scheinbaren Fachleuten, das entbehrt einfach jeder Grundlage.“ Damit stärke man wirklich gefährlichen Verschwörungstheoretikern, die auch zum Teil politische Agenden haben, den Rücken. Das sei unverantwortlich.

Christian Drosten blieb nicht dabei. Beispielsweise hieß es im Februar 2022 in der „Frankfurter Rundschau“:

„Deutschlands Top-Virologe Christian Drosten schließt einen unnatürlichen Corona-Ursprung nicht aus – vor allem wegen fragwürdiger Experimente in Wuhans Laboren. […] ‚Es wurden in Wuhan durchaus Sachen gemacht, die man als gefährlich bezeichnen könnte.’“

Wiesendangers Behauptung einer Täuschung sei zulässig gegen Drosten, „wenn sie wahr wäre“. Das sei, so das Gericht, allerdings nicht der Fall, hier sieht es die Belegpflicht bei Wiesendanger. Erstaunlich bleibt, wie tief das Gericht hier in die Analyse von Sprache und ihrer Bedeutung gegangen ist, wie folgende Beispiele in der Begründung zum Urteil zeigen:

„Die Täuschung, die der Antragsgegner damit zu belegen sucht, könnte danach zum einen darauf bezogen werden, dass der Antragsteller positiv gewusst habe, dass das Virus im Labor entstanden sei und jetzt öffentlich behaupte, dass es definitiv nicht im Labor entstanden sei, zum anderen darauf, dass der Antragsteller gewusst habe, dass das Virus zumindest möglicherweise im Labor entstanden sei, und jetzt in diesem Wissen gegenüber der Öffentlichkeit definitiv behaupte, dass feststehe, dass es nicht im Labor entstanden sei.“

Wissenschaftler hacken sich gegenseitig kein Auge aus

Nun hatte Drosten den offenen Brief zweifellos unterzeichnet, der die Laborthese eine „Verschwörungstheorie“ nennt. Das bezweifelt nicht einmal Drosten selbst. Dem misst das Gericht aber keine Bedeutung bei, weil es schon in der Überschrift des Artikels geheißen habe: „Statement zur Unterstützung der chinesischen Wissenschaftler“.

Das wiederum mache laut Hamburger OLG deutlich, „dass es eine Verteidigungsschrift zugunsten der die Pandemie bekämpfenden Wissenschaftler in China und nicht eine wissenschaftliche Abhandlung sein sollte“.

Oder anders: Die Behauptung der Laborthese als „Verschwörungstheorie“ wird hier vom OLG Hamburg als eine Art Schutzfunktion gedeutet, um die chinesischen Kollegen zu schützen.

Wiesendanger darf also weiterhin nicht behaupten, Drosten habe gelogen, als er die „Verschwörungstheorie“ unterzeichnete, und das, obwohl das Gericht gerade festgestellt hat, dass „Verschwörungstheorie“ in dem Zusammenhang  nur eine Art Notbehauptung gewesen sei, um die chinesischen Kollegen zu schützen.

Wenn das Virus dem Labor entwichen ist, dann ist dieses Labor mutmaßlich Verursacher der Pandemie mit all ihren Folgen. Dementsprechend wären hier nicht ausschließlich die Wissenschaftler des Labors verantwortlich, sondern insbesondere auch die verantwortlichen Betreiber des Instituts für Virologie Wuhan.

Die hier von einem deutschen Gericht als eine Art Solidaritätserklärung für die chinesischen Wissenschaftskollegen auch von Drosten unterzeichnete Verschwörungstheorie-Zuweisung schützt demnach automatisch auch die Kommunistische Partei Chinas, die US-Regierung und die US-Gesundheitsbehörde National Institutes of Health, die dem Labor ein millionenschweres Forschungsstipendium gewährte, Frankreich, das ein komplettes Virenlabor lieferte, und weitere Unterstützer oder Partner des Instituts für Virologie Wuhan.

Geirrt, gezielt getäuscht oder einfach nicht gewusst

Ein solcher menschengemachter Laborunfall zöge unweigerlich eine monströse Verantwortung nach sich. Das deutsche Gericht hat es sich nicht leicht gemacht. Die Urteilsbegründung ist umfangreich bis dahingehend, dass hier Grenzen der Bedeutung von Sprache ausgelotet werden.

Für Drosten und Wiesendanger ging dieses Verfahren gemessen am Streitwert 50 zu 50 aus. Gemessen an jenen Punkten, die Wiesendanger nicht mehr sagen darf, schlägt das Pendel allerdings deutlich für ihn aus, dann, wenn man jedem einzelnen Punkt die gleiche Bedeutung für Drosten zuweisen würde.

Das allerdings wird schon von der Intensität der Erörterung in der Urteilsbegründung widerlegt, wo dem Punkt, ob Drosten wider besseres Wissen die Laborthese als “Verschwörungstheorie“ bezeichnet hat, besondere Bedeutung beigemessen wird:

„Bei der Äußerung, der Antragsteller habe sich nicht geirrt, sondern gezielt getäuscht, handelt es sich dagegen, wie ausgeführt gerade nicht um eine Bewertung der Haltung des Antragstellers, sondern um die definitive Behauptung, dass er objektiv und wissentlich die Unwahrheit gesagt habe.“



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