Gesetzliche Krankenversicherung für alle?
Die gesetzliche Krankenversicherung wird im dualen System mit der privaten Krankenversicherung laut einer neuen Studie finanziell schwer belastet. Pro Jahr entstehen Kosten bis zu 145 Euro je Mitglied. Das ergab eine am Montag (17.2.) veröffentlichte Untersuchung des Beratungsinstituts IGES im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung.
Laut der Studie könnte die gesetzliche Krankenversicherung jährlich ein Plus von rund neun Milliarden Euro erzielen – falls alle Bundesbürger gesetzlich versichert wären, zitiert dpa. In der Untersuchung wurde simuliert, wie sich Einnahmen und Ausgaben der GKV entwickeln würden, wenn alle bisher privat Versicherten in die gesetzliche Krankenversicherung einbezogen wären.
Beamtenbund, Bundesärztekammer und Privatversicherungen weisen die Berechnungen zurück und verteidigten das bestehende System.
Die Studie basiert auf den Daten aus dem Jahr 2016, einer jährlich durchgeführten Wiederholungsbefragung von rund 12.000 Haushalten. 2016 – wie auch aktuell – waren rund 8,8 Millionen Menschen privat versichert. Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) zählte 2016 rund 70,4 Millionen Versicherte, derzeit sind es vor allem zuwanderungsbedingt gut 73,2 Millionen, sagte Stiftungsexperte Stefan Etgeton dem „Spiegel“. Neuere Daten sind noch nicht verfügbar.
Krankenversicherung: Studie fordert Solidarität
Der Beitragssatz kann bei einer generellen gesetzlichen Krankenversicherung um 0,2 bis 0,6 Prozentpunkte sinken, erklärte die Stiftung. Jedes GKV-Mitglied und sein Arbeitgeber könnten demnach zusammen pro Jahr im Schnitt 145 Euro an Beiträgen sparen. Würden die durch den Wegfall der privaten Krankenversicherung (PKV) anfallenden Honorarverluste der Ärzte ausgeglichen, wären es „noch 48 Euro Ersparnis im Jahr, für GKV-Mitglied und Arbeitgeber jeweils etwa 24 Euro“, so Studienautor Dr. Richard Ochmann.
Privatversicherte zahlen höhere Beiträge, weil sie im Schnitt 57 Prozent mehr verdienen. Zudem sind Privatversicherte meist gesünder. „Sie sind seltener pflegebedürftig, erwerbsgemindert oder schwerbehindert. Sie sind zudem weniger von weit verbreiteten Krankheiten wie Gelenkerkrankungen, Depressionen oder chronischen Rückenschmerzen betroffen“, schreibt IGES.
In Europa leiste sich nur Deutschland ein duales System. „Nur wenn sich alle Versicherten unabhängig vom Einkommen zusammentun, um die Risiken zwischen Gesunden und Kranken auszugleichen, kann eine tragfähige Solidargemeinschaft entstehen“, sagt Stiftungsvorstand Brigitte Mohn laut Mitteilung in Gütersloh. Das duale System schwäche den sozialen Zusammenhalt.
Florian Reuther: „Rechenexempel im luftleeren Raum“
Die Studie zur Vereinheitlichung des Krankenversicherungssystems stößt auch auf Kritik vonseiten der Bundesärztekammer und des Verbandes der Privaten Krankenversicherung. Bundesärztekammer-Präsident Klaus Reinhardt bemängelt die Angabe von 145 Euro Entlastung.
Das sind mehr als zweifelhafte Zahlenspielereien, mit denen erneute Forderungen nach der Einführung einer Einheitsversicherung auf die politische Agenda gedrückt werden sollen“, so der Präsident weiter.
Klaus Reinhardt sprach von einem „Griff in die ideologische Mottenkiste“, wie dpa schrieb. In den Niederlanden oder in Großbritannien lasse sich beobachten,
dass Einheitssysteme zu Rationierung, Wartezeiten und Begrenzungen in den Leistungskatalogen führen“.
Der Direktor des Verbands der Privaten Krankenversicherung, Florian Reuther, bezeichnete die Studie als „Rechenexempel im luftleeren Raum“. Die angebliche Ersparnis von 145 Euro ginge „voll zu Lasten der ärztlichen Versorgung“. Was die Versicherten sparten, werde den Arztpraxen genommen. Er sagt:
Damit gingen jeder Arztpraxis in Deutschland im Schnitt über 54.000 Euro pro Jahr verloren – wodurch sich die Wartezeiten und die Versorgungsqualität für alle Patienten drastisch verschlechtern würden.“
Ulrich Silberbach, Vorsitzender des Beamtenbunds, verteidigte gegenüber dpa das bestehende System als „Garant für eine sehr hohe Qualität der medizinischen Versorgung aller Menschen“. Der Mehrumsatz, den Ärzte mit Privatversicherten erzielten, komme allen zugute. Der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Steffen Kampeter, forderte ebenfalls einen Erhalt des dualen Systems.
Grüne und Linke begrüßen die Studie
Die Sprecherin für Gesundheitspolitik, Maria Klein-Schmeink (Grüne), äußerte sich ebenfalls zu der Studie. „Das Nebeneinander von gesetzlicher und privater Krankenversicherung macht die Krankenversicherung insgesamt teurer. Es ist höchste Zeit, die Scheuklappen abzulegen und die Voraussetzungen zu schaffen für eine solidarische, gesetzliche Krankenversicherung, die alle Bürgerinnen und Bürger umfasst.“
Klein-Schmeinks Vorstellung nach könne man die GutverdienerInnen und Menschen mit geringeren Krankheitsrisiken aus der Solidarität nicht mehr entlassen.
Die Linkspartei äußerte sich gleichfalls positiv zu der Studie und fordert eine einheitliche und solidarische Gesundheitsversicherung: „Wir müssen uns endlich von der privaten Krankenversicherung verabschieden und ein einheitliches solidarisches Krankenversicherungssystem schaffen, in das auch Besserverdiener einzahlen“, erklärt Achim Kessler, gesundheitspolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke.
Kessler begrüßt die Studie, die „in die richtige Richtung geht“, fordert aber radikal die direkte Abschaffung der Privaten Krankenversicherung. „Die PKV ermöglicht es Besserverdienenden, Beamten und Selbständigen, sich der Solidargemeinschaft zu entziehen und legt die ganze Finanzierungslast auf die mittleren und unteren Einkommen. Die Linke fordert deshalb seit langem, die Abschaffung der PKV zugunsten der Einführung einer solidarisch finanzierten Gesundheits- und Pflegeversicherung.“
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