Schutz vor Long COVID begünstigt Long COVID?

Corona-Impfungen verringern das Risiko von Long COVID, so eine neue Studie. Dieselben Daten belegen zugleich, dass Impfdurchbrüche die Wahrscheinlichkeit erhöhen. Heißt das, der Schutz vor Long COVID begünstigt Long COVID?
Hirnnebel
Neue Studien untersuchen die Wahrscheinlichkeit von Long-COVID.Foto: iStock
Von 16. Januar 2024

Es erscheint paradox: Trotz Impfungen und zunehmend milderen Varianten von SARS-CoV-2 steigen die Belastungen durch Long COVID in der Bevölkerung kontinuierlich an. Schätzungen gehen davon aus, dass weltweit inzwischen über 65 Millionen Menschen an Long COVID leiden. Allein in Deutschland könnten mehr als zweieinhalb Millionen Menschen betroffen sein.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach räumt der Erforschung von Long COVID mittlerweile einen besonderen Stellenwert ein. Nach dem zweiten runden Tisch zu Long COVID in Berlin kündigte er an, dass das Bundesgesundheitsministerium 150 Millionen Euro für die Erforschung dieser rätselhaften Erkrankung bereitstellen werde. Damit verlagert sich der Schwerpunkt der klinischen SARS-CoV-2-Forschung weiter von der akuten Phase der Infektion auf die langfristigen Komplikationen.

Wiederholte COVID-19 Infektionen steigern Long-COVID-Risiko

Das kumulative Long-COVID-Risiko steigt mit jeder neuen Infektion. Davor warnt auch Kathryn Hoffman, Leiterin der Abteilung Primary-Care der medizinischen Universität in Wien. Sie erklärte unlängst in einem viel beachteten Artikel: „Was alle brauchen, ist guter Infektionsschutz vor einer erneuten SARS-CoV-2 Infektion.“

Frau Hoffmann spricht sich daher dafür aus, Luftfilter flächendeckend einzusetzen, insbesondere in Schulen und anderen Orten, an denen viele Menschen zusammenkommen. Bis dieses Ziel erreicht ist, empfiehlt sie das Tragen von „qualitativ hochwertigen Masken“ und die Einrichtung guter Testmöglichkeiten. Auffrischungsimpfungen finden in Frau Hoffmanns kürzlicher Stellungnahme jedoch keine Erwähnung.

Bundesgesundheitsminister Lauterbach rät zwar weiterhin zur Impfung, um das Risiko einer Long-COVID-Erkrankung zu reduzieren, allerdings konnten bisherige Untersuchungen keine überzeugenden Belege dafür liefern, dass Corona-Impfungen die Risiken von Long-COVID-Erkrankungen tatsächlich deutlich senken würden.

Obwohl in den vergangenen Jahren Fortschritte bei der Aufklärung der pathophysiologischen Ursachen von Long COVID gemacht wurden, sind Fragen zur Vermeidung der Erkrankung noch weitgehend ungeklärt. Auch das Robert Koch-Institut erklärt daher, die Frage, ob eine Impfung Schutz vor Long COVID bietet, sei wissenschaftlich noch nicht eindeutig geklärt.

Neue Studie: Impfung reduziert Long-COVID-Wahrscheinlichkeit

Eine neue Studie in „The Lancet Respiratory Medicine“ scheint nun zu belegen, dass COVID-19-Impfungen das Risiko von Long-COVID-Symptomen signifikant reduzieren können. In einer umfangreichen Kohortenstudie analysierte ein internationales Team von Wissenschaftlern Gesundheitsdaten aus Großbritannien, Spanien und Estland. Dabei wurden insgesamt vier Datenbanken verglichen, die zwischen den Jahren 2021 und 2022 mehr als 10 Millionen geimpfte und zehn Millionen ungeimpfte Personen erfassten.

Die Wissenschaftler identifizierten Long-COVID-Fälle anhand von 25 typischen Symptomen, wobei für eine Einstufung als Long COVID Patienten mindestens eines dieser Symptome zwischen 90 und 365 Tagen nach dem Datum eines positiven PCR-Tests oder einer klinischen Diagnose von COVID-19 auftrat.

In allen untersuchten Datenbanken zeigte sich, dass eine Impfung mit einem beliebigen COVID-19-Impfstoff mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit verbunden war, Long-COVID-Symptome zu entwickeln. Die Forscher kamen zu dem Schluss, dass die Impfungen mit einer Wirksamkeit zwischen 29 und 52 Prozent das Risiko von Long COVID reduzieren.

Impfdurchbrüche erhöhen Long-COVID-Risiko

Allerdings unterscheidet sich der Ansatz dieser Arbeit in einem wichtigen Punkt von vielen vorherigen Forschungsstudien. In den meisten Untersuchungen zur Wirksamkeit von Impfstoffen gegen Long COVID wurden nur Menschen eingeschlossen, die tatsächlich eine COVID-19-Diagnose hatten. Es wurde also verglichen, mit welcher Häufigkeit geimpfte und ungeimpfte Personen nach einer Infektion wirklich Long-COVID-Symptome entwickelten.

Ein Schwachpunkt, meinen die Autoren der neuen Studie, denn dabei wurde nicht berücksichtigt, dass die Impfung auch vor der eigentlichen Ansteckung mit SARS-CoV-2 schütze und dadurch helfe, Komplikationen nach COVID-19 zu verhindern.

Tatsächlich zeigt die Analyse der Daten aus Großbritannien, Spanien und Estland, dass die Zahl der nachgewiesenen COVID-19-Infektionen unter den geimpften Personen niedriger war als unter den Ungeimpften. Daher ist auch die Häufigkeit von Long-COVID-Symptomen unter den Geimpften insgesamt geringer, da Symptome nur bei Patienten berücksichtigt wurden, die vorher eine COVID-19-Infektion hatten.

Interessanterweise weisen die Daten der Wissenschaftler jedoch darauf hin, dass bei Personen, bei denen trotz Impfung eine COVID-19-Infektion festgestellt wurde, das Risiko von Long-COVID-Symptomen sogar erhöht war. Das bedeutet, dass im Beobachtungszeitraum bei Geimpften zwar seltener eine COVID-19-Infektion nachgewiesen wurde. Wenn jedoch eine Infektion auftrat, führte sie mit höherer Wahrscheinlichkeit zur Entwicklung von Long-COVID-Symptomen.

Die Rekrutierung und Beobachtung der Studienteilnehmer begann im Januar 2021, also am Anfang der weltweiten Impfkampagne. Die festgestellten Corona-Infektionen fanden also vornehmlich vor Omikron statt – jener Phase, als die Alpha- und Delta-Wellen von SARS-CoV-2 das Infektionsgeschehen dominierten. Seitdem hat sich die Infektiosität nachfolgender Virusvarianten deutlich erhöht – und der Impfschutz verschlechtert.

Impfungen erhöhen die Wahrscheinlichkeit von COVID-Infektionen

Inzwischen belegen zahlreiche Studien, dass die Corona-Impfstoffe lediglich für einige Wochen oder Monate einen begrenzten Schutz vor SARS-CoV-2-Infektionen bieten. Es wurde sogar in vielen Fällen gezeigt, dass die Impfstoffe langfristig eine möglicherweise negative Effektivität aufweisen können. Das bedeutet, dass sich die Wahrscheinlichkeit einer COVID-19-Infektion nach einer Impfung sogar erhöhen kann.

Zum Beispiel wurde in einer US-amerikanischen Untersuchung mit 50.000 Teilnehmern festgestellt, dass die angepassten bivalenten COVID-19-Impfstoffe von Pfizer nur einen geringen Schutz gegen Infektionen mit der BA.4/5-Linie boten. Bei den später auftretenden XBB-Linien konnte überhaupt kein Schutz durch diese Impfstoffe mehr nachgewiesen werden. Das Risiko für eine COVID-19-Infektion stieg dabei auch mit der Anzahl der erhaltenen Impfdosen, wobei Menschen mit drei Impfungen das höchste und diejenigen ohne Impfung das geringste Infektionsrisiko aufwiesen.

Ähnliche Resultate ergab eine retrospektive Kohortenstudie mit über zwei Millionen Menschen aus Katar, die ebenfalls in „The Lancet“ veröffentlicht wurde. In dieser fiel die Effektivität einer dritten Impfung gegenüber der zweiten von 61 Prozent in weniger als einem Jahr auf einen negativen Wert von minus 45 Prozent. Laut einer aktuellen Forschungsarbeit im European Journal of Clinical Investigation ist das Infektionsrisiko bei Personen, die vier Impfungen erhalten haben, im Vergleich zu jenen mit drei oder weniger Impfungen sogar noch weiter erhöht.

Schutz vor Long COVID begünstigt Long COVID?

Long-COVID-Symptome können unabhängig vom Verlauf einer Corona-Infektion auftreten. Einige Studien deuten jedoch darauf hin, dass schwerere Krankheitssymptome mit einer höheren Wahrscheinlichkeit zur Entwicklung von Langzeitkomplikationen beitragen könnten. Falls Impfungen das Auftreten schwerer COVID-19-Verläufe reduzieren, könnten sie also möglicherweise auch eine gewisse Schutzwirkung gegen Long COVID entwickeln.

Ob eine hypothetische Reduzierung schwerer Verläufe die Gefahr durch eine erhöhte Infektionswahrscheinlichkeit kompensieren würde, lässt sich gegenwärtig jedoch nicht beantworten.



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion