„Organspende ist gelebte Solidarität“: So werden Schüler zu Organspendern gemacht

„Als Organspender kommt man sowieso nur in Frage, wenn man am Hirntod gestorben ist“, so lautet eine Erklärung aus einem Schulfilm über Organspende. Dass der Hirntod nicht unbedingt mit dem biologischen Tod gleichzusetzen ist wird nicht erwähnt.
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In einer breiten Kampagne werden Schüler mit dem Thema Organspende konfrontiert.Foto: iStock
Von 6. Januar 2020

Unabhängig von der ganzen Debatte um Widerspruchslösung oder Zustimmung bemüht sich das Bundesministerium für Gesundheit um die Erhöhung der Anzahl der Organspender mit den Worten: „Organ- und Gewebespende ist gelebte Solidarität“. Schließlich könne jeder selbst „jederzeit in die Situation geraten, auf eine Organ- oder Gewebespende angewiesen zu sein“.

Mit seinem sozialen Ansatz wendet sich die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) gezielt an Oberschüler. Unter dem Titel „Organspende macht Schule“ erfolgt seit 2013 eine vermeintliche Aufklärung zum gleichnamigen Thema.

In einem umfangreichen Arbeitsheft mit insgesamt 19 Arbeitsblättern werden Schüler durch das Thema Tod und Organspende geleitet. Auf Folie 9 werden die Schüler beispielsweise unter anderem darauf hingewiesen, dass Kritiker das „Hirntod-Konzept“ – eine notwendige Voraussetzung für die Organentnahme – immer wieder aufnehmen würden.

Die Kritiker würden das in den 1960er-Jahren entwickelte Konzept, das „als fest definierte, wissenschaftlich nachgewiesene und abgesicherte Grundlage für die Entnahme und Transplantation von Organen und Geweben“ gelte, bestreiten.

Obwohl die Aufklärungsbroschüre der BZgA kurz anschneidet, dass das Thema „Hirntod“ kontrovers diskutiert würde und einige neurologische Studien bewiesen hätten, dass der Körper nach der Feststellung des Hirntodes „teilweise länger funktioniert als bisher angenommen“, wird in der Broschüre nicht näher auf die entsprechenden Konsequenzen eingegangen. Auch der Umstand, dass hinter der Organspende längst eine milliardenschwere Transplantationslobby steht, bleibt den zukünftigen jungen Organspendern verborgen.

In dem Unterrichtsfilm „Organspende macht Schule“ heißt es beispielsweise: „Als Organspender kommt man sowieso nur in Frage, wenn man am Hirntod gestorben ist.“

Dass der Hirntod nicht unbedingt mit dem biologischen Tod gleichzusetzen ist wird nicht erwähnt. Gesetzlich sei es so, dass der Patient mit dem festgestellten Hirntod „gestorben“ sei, erklärt auch Intensivmediziner Dr. Stefan Kluge den Schülern in dem Film. Die Tatsache, dass zwei Ärzte, die nichts mit einer Transplantation zu tun haben, den Hirntod unabhängig voneinander feststellen, soll Vertrauen schaffen und den Schülern eine etwaige Angst vor einem frühzeitig erklärten Tod nehmen.

Selbsthilfevereine werben in Schule

Über die Kampagne, in der das Thema Organspende in Schulen diskutiert wird, berichtet auch „RT Deutsch“. Die „Selbsthilfe für Organtransplantierer NRW“ veranstaltete demnach Anfang Dezember in einer Schule in Nordrhein-Westfalen eine Diskussion zum Thema Organspende. Das erklärte Ziel der Veranstaltung sei „nicht die Beeinflussung der Schüler, sondern eine kritische Fragehaltung und eine reflektierte Entscheidung“, hieß es laut „RT Deutsch“ seitens der Schule.

Bei der Diskussion wurde die ausschlaggebende Frage, ab wann ein Mensch als tot gilt, jedoch überhaupt nicht besprochen. Der Verein aus NRW wies die Schüler jedoch darauf hin, dass sie bereits im Alter von 14 Jahren eine Erklärung zur Organspende abgeben könnten. Dies könnte dazu beitragen, dass die Eltern dem Wunsch ihrer Kinder entsprechen.

Stark beeindruckt von dem Vortragenden – und damit ausschlaggebend für die Meinungsbildung der Jugendlichen – dürfte der Umstand gewesen sein, dass es sich bei dem Referenten um einen Mann gehandelt hat, der nach einer langen Leidensgeschichte dank einem gespendeten Herz ein neues Leben führen kann. „Es wurde ein positives Bild anhand des Schicksals eines ehemals Schwerkranken gezeichnet, welches die Jugendlichen berührte“, schreibt „RT Deutsch“.

Schauspieler unterstützt Organspende

„Organspende ist überaus wichtig, für alle“, sagte Schauspieler Jürgen Vogel in einem Interview mit der „Frankfurter Rundschau“. Seit Jahren engagiert sich der 51-Jährige für den Verein „Junge Helden“, der sich „für ergebnisoffene Aufklärung über Organspende“ einsetzt und sich dabei vor allem an Jugendliche und junge Erwachsene wendet.

Der Schauspieler selbst berichtet, dass er seiner Schwester vor knapp 30 Jahren Knochenmark gespendet habe.

„Meine Schwester hatte Leukämie, hat erst Chemo bekommen und all das, dann brauchte sie das. Damals wurde es noch unter Vollnarkose gemacht, die Ärzte haben einen Liter Knochenmark aus meinem Becken herausgeholt, und das bekam sie dann. Und das hat auch funktioniert, sie lebt und es geht ihr gut“, sagte Vogel.

Nach seiner Auffassung sei die von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn angestrebte Widerspruchslösung „die perfekte Lösung für alle“. So könnte der Wunsch „der großen Mehrheit derer, die Organe spenden wollen“  im Falle eines Hirntodes sicher erfüllt werden.  Und alle, die sich nicht zu einer Organspende bereit erklären, könnten eine entsprechende Erklärung abgeben.

Und auch zum Thema Hirntod hat der Schauspieler eine ganz klare Auffassung: „Was ist man denn, wenn das ganze Gehirn tot ist, außer tot? Wir müssen endlich Schluss machen mit dieser Märchenstunde.“ Wer trotzdem Zweifel hege oder „Verschwörungstheorien“ anhänge, die bei „Facebook und sonst wo kursieren“, der könne schließlich einer Organspende widersprechen, so Vogel.

Bischof-Brief gegen Widerspruchslösung

Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck stellt sich laut „Radio Essen“ gegen die Widerspruchslösung. Die Organspende sei eine „freiwillige Gabe“ und „keine Selbstverständlichkeit“. Jeder müsse seine Entscheidung bewusst offen halten können.

In einem Brief bat der Geistliche die Bundestagsabgeordneten aus Essen und dem übrigen Ruhrbistum, gegen die Widerspruchslösung zu stimmen. Die von Bundesgesundheitsminister Spahn und dem SPD-Politiker Lauterbach eingebrachte Widerspruchslösung schränke die Freiheit ein, kritisierte Overbeck.

In einer Stellungnahme, die aus einer gemeinsamen Beratung des Bischofs mit Mitgliedern des Rates für Gesundheit und Medizinethik Katholische Akademie „Die Wolfsburg“ entstand, heißt es:

  1. Der Mensch ist Person mit einer unveräußerlichen und unbedingten Würde. Sein Recht auf Selbstbestimmung umfasst auch die Möglichkeit, eine Entscheidung nicht treffen zu müssen. Aus christlicher Sicht halten wir es jedoch für jeden einzelnen Menschen geboten, sich intensiv mit der eigenen Spendenbereitschaft auseinanderzusetzen.
  2. Das Sterben ist ein individueller Prozess, der von Mensch zu Mensch unterschiedlich gedeutet, bewertet und erlebt wird. Jeder Mensch hat die Freiheit, den Hirntod nicht mit dem Tod gleichsetzen zu müssen. Über die Debatte um das Hirntodkriterium hinaus gibt es weitere begründungs- und diskursfähige Perspektiven, die verdeutlichen, dass es eine einzige, definitive und damit absolute Todesdefinition nicht gibt. Die Widerspruchslösung birgt die Gefahr in sich, dass das Hirntodkriterium in der Gesellschaft als einzige mögliche Todesdefinition missverstanden werden könnte.
  3. Die Organspende behält nur dann ihren Spendencharakter, wenn sie mit der freiwilligen Entscheidung für eine Spende verbunden ist.
  4. Eine Steigerung der Spendenbereitschaft in der Bevölkerung ist zu erwarten, wenn das gestörte Vertrauen der Menschen in das deutsche Transplantationswesen wieder wächst. Dafür sollten die Informationskampagnen deutlich erweitert werden.
  5. Im Sinne der Spenderinnen und Spender, der Empfängerinnen und Empfänger von Organen und deren Angehörigen soll im Transplantationswesen für klare Regeln und Verantwortlichkeiten, effektive Prozesse und sinnvolle Strukturen gesorgt werden.


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