Nicht nur Cholesterin: Medizinische Mythen, die Patienten schaden – und warum Ärzte daran festhalten

Dr. Marty Makary warnt in seinem Buch „Blind Spots“ vor den gefährlichen Denkgewohnheiten vieler Ärzte, die trotz neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse an überholten Behandlungsmethoden festhalten.
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Medizinische Mythen im Fokus.Foto: stefanamer/ iStock
Von 1. November 2024

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Viele Patienten sorgen sich vor chirurgischen Fehlern oder Fehldiagnosen. Doch laut Dr. Marty Makary, Chirurg und Professor an der renommierten Johns Hopkins University, liegt das eigentliche Risiko tiefer: in den Denkgewohnheiten vieler Ärzte. In seinem neuen Buch „Blind Spots“ (derzeit nur auf Englisch erhältlich) warnt Makary vor einer gefährlichen kognitiven Blockade, die das Gesundheitssystem in veralteten Praktiken gefangen hält.

Makary erklärt, dass kognitive Dissonanz – der innere Konflikt, der entsteht, wenn neue Erkenntnisse alte Überzeugungen infrage stellen – oft dazu führt, dass Ärzte an überholten Behandlungsmethoden festhalten. Das Ergebnis: ineffektive oder sogar schädliche Behandlungen. „Einige medizinische Praktiken beruhen auf soliden Daten, andere jedoch werden zur bloßen Folklore“, so Makary in einem Interview mit The Epoch Times. Besonders gefährlich sei die Tatsache, dass sich solche überholten Ansätze trotz wissenschaftlicher Fortschritte hartnäckig hielten.

Das Problem liegt tief in einem System verwurzelt, das auf Traditionen und Konventionen basiert. Selbst erfahrene Ärzte hätten laut Makary Schwierigkeiten, sich von Methoden zu trennen, die sie über Jahre hinweg angewandt hätten. „Es erfordert Demut, zuzugeben, dass das, was wir einst für wahr hielten, heute überholt ist“, betont der Autor. Hinzu kommt das Phänomen des „Gruppendenkens“, bei dem etablierte medizinische Ansätze selten hinterfragt werden, einfach weil sie zur Norm geworden sind.

Diese Kombination aus kognitiver Dissonanz und Gruppendenken führt dazu, dass dringend notwendige Änderungen im medizinischen Bereich nur schleppend umgesetzt werden. Während die Wissenschaft immer neue Erkenntnisse liefert, bleiben viele Ärzte und Krankenhäuser den alten Wegen treu – oft zum Nachteil der Patienten.

Makary fordert in seinem Buch einen mutigen Wandel: Mediziner müssten sich verstärkt auf aktuelle Daten stützen und alte Dogmen über Bord werfen. Nur so könne die medizinische Versorgung wirklich auf dem neuesten Stand gehalten und das Risiko für die Patienten minimiert werden.

Dieser zögerliche Fortschritt in der Medizin sei, so Makary, eine Gefahr, die bisher viel zu wenig Beachtung finde. „Das menschliche Gehirn kann erstaunliche Dinge leisten“, schreibt er. „Aber wenn es darum geht, neue Informationen zu verarbeiten, die den alten widersprechen, ist es oft erstaunlich faul.“

Drei medizinische Mythen, die trotz gegenteiliger Beweise bestehen bleiben

Makary nennt mehrere langjährige medizinische Empfehlungen, die durch neue Forschungsergebnisse widerlegt wurden, aber weiterhin die Patientenversorgung beeinflussen.

1. Erdnussallergien

In den frühen 2000er-Jahren empfahl die Amerikanische Akademie für Pädiatrie (AAP) Kinderärzten in den USA, die Einführung von Erdnüssen in die Ernährung von Kindern bis zum dritten Lebensjahr zu verschieben, um Allergien zu verhindern. Doch wie Makary erklärt, führte diese gut gemeinte Richtlinie nicht zur Verhinderung von Erdnussallergien, sondern löste eine Epidemie aus. Erdnussallergien, die einst selten waren, nahmen nach der Verbreitung dieser Empfehlung stark zu, wobei schwere Fälle häufiger wurden.

In den letzten zwei Jahrzehnten haben sich die Fälle von Erdnussallergien mehr als verdreifacht und betreffen 1–2 Prozent der Kinder in Europa und den USA.

Trotz steigender Beweise, dass ein frühzeitiger Kontakt mit Erdnüssen das Risiko der Entwicklung von Allergien verringert, hielten viele Experten lange am Abstinenzansatz fest. Dies änderte sich erst, als der Kinderallergologe Dr. Gideon Lack eine Studie durchführte, die zeigte, dass israelische Kinder, die im Kleinkindalter routinemäßig erdnusshaltige Snacks erhielten, weitaus weniger Erdnussallergien entwickelten als ihre britischen Altersgenossen. Seine Forschung zeigte, dass eine frühzeitige Erdnusszufuhr das Allergierisiko drastisch senken kann.

Allerdings dauerte es mehr als ein Jahrzehnt, bis die US-Gesundheitsbehörden die falsche Empfehlung der AAP korrigierten.

2. Antibiotika-Überverschreibung

Antibiotika haben unzählige Leben gerettet, indem sie bakterielle Infektionen behandelten, aber ihr übermäßiger Einsatz hat zu unbeabsichtigten Konsequenzen geführt. Makary erklärt, dass Antibiotika wie TNT auf das Mikrobiom des Körpers wirken, das empfindliche Bakterien-Ökosystem im Darm, das für die Verdauung, die Immunfunktion und sogar die psychische Gesundheit von entscheidender Bedeutung ist.

Insbesondere die Überverschreibung von Antibiotika bei Kindern wurde mit langfristigen gesundheitlichen Problemen in Verbindung gebracht.

Makary verweist auf eine in den „Mayo Clinic Proceedings“ veröffentlichte Studie, die zeigte, dass Kinder, die vor dem zweiten Lebensjahr Antibiotika erhielten, deutlich häufiger an Kombinationen von Asthma, Fettleibigkeit und entweder Neurodermitis oder ADHS erkrankten. Basierend auf Studien mit Mäusen können Antibiotika in entscheidenden Entwicklungsphasen das Bakteriengleichgewicht im Darm, das sogenannte Mikrobiom, stören und langfristige gesundheitliche Folgen nach sich ziehen.

„Man erbt nicht nur Gene“, wurde Makary von einem Experten bei der Recherche für sein Buch gesagt, „man erbt auch sein Mikrobiom“. Der übermäßige Einsatz von Antibiotika, oft für Krankheiten, die keine erfordern, könnte zur Zunahme chronischer Erkrankungen beitragen.

3. Der Cholesterin-Mythos

Über Jahrzehnte hinweg wurde geraten, cholesterinreiche Lebensmittel wie Eier und Butter zu meiden, da Ärzte glaubten, dass Cholesterin in der Nahrung direkt Herzkrankheiten verursache. Diese Annahme ging auf die Arbeit von Dr. Ancel Keys zurück, dessen „Sieben-Länder-Studie“ in den 1950er-Jahren einen Zusammenhang zwischen dem Konsum von gesättigten Fetten und Herzkrankheiten nahelegte.

Doch wie Makary erklärt, war Keys‘ Studie von Grund auf fehlerhaft—er wählte Länder gezielt aus, die seine Hypothese unterstützten, und ignorierte andere, wie Frankreich und die Schweiz, wo fettreiche Diäten mit niedrigen Raten von Herzkrankheiten einhergingen. Trotz zahlreicher Folgestudien, darunter das Minnesota Coronary Experiment und die Framingham Heart Study, die Keys‘ Behauptungen nicht stützten, blieb die Botschaft vom niedrigen Cholesterin erhalten.

Im Jahr 2015 revidierte die Amerikanische Herzgesellschaft ihre Richtlinien und erkannte an, dass Cholesterin in der Nahrung nicht der Schuldige ist, für den es lange gehalten wurde. Trotzdem meiden viele Menschen weiterhin Lebensmittel wie Eier und Vollfettmilchprodukte, während die eigentlichen Probleme—Zucker und verarbeitete Kohlenhydrate—oft übersehen werden.

„Menschen, die aktiv daran arbeiten, offen und objektiv zu bleiben, sind beeindruckend“, schreibt Makary. „Sie springen nicht auf jeden Trend auf, ohne überzeugende Beweise zu haben. Und sie haben den Mut, Annahmen infrage zu stellen und gegen den Strom zu schwimmen.“

Mit anderen Worten: Die besten Ärzte haben keine Angst davor, den Status quo zu hinterfragen, auch wenn dies bedeuten würde, sich gegen weitverbreitete Praktiken zu stellen. Makary betont jedoch, dass es bewusste Anstrengung erfordert, offen für neue Informationen zu bleiben.

„Es ist wichtig, unserer natürlichen Tendenz zu widerstehen, Informationen abzulehnen oder umzudeuten, damit sie in unsere bestehenden Denkmuster passen. Dies stärkt auch den Charakter“, schreibt er. Diese Denkweise sei besonders im medizinischen Bereich entscheidend, wo Leben auf dem Spiel stehen und klinische Entscheidungen auf den neuesten und zuverlässigsten Beweisen basieren müssen.

Das bedeute jedoch nicht, dass Ärzte klinische Erfahrung und Weisheit über Bord werfen sollten. Makary rät zu einem Gleichgewicht zwischen klinischer Intuition und evidenzbasierter Medizin.

„Es ist in Ordnung, klinische Weisheit zu nutzen, um Lücken zu füllen, wo noch nicht geforscht wurde“, betont er. Aber es sei entscheidend, zwischen Meinung und evidenzbasierten Empfehlungen zu unterscheiden.

„Empfehlungen ohne ausreichende wissenschaftliche Grundlage sollten als Meinung und nicht als wissenschaftlicher Beweis anerkannt werden“, sagt er.

Dieser Artikel ersetzt keine medizinische Beratung. Bei Gesundheitsfragen wenden Sie sich bitte an Ihren Arzt oder Apotheker.
Zuerst erschienen auf theepochtimes.com unter dem Titel „Not Just Cholesterol: 4 Health Myths That Persist Despite Evidence, Says Johns Hopkins Professor“. (deutsche Bearbeitung kr)



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