Chronischer Groll: Ein unterschätzter Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Groll ist mehr als nur ein emotionaler Ballast – er hinterlässt tiefe Spuren in unserem Herzen und beeinträchtigt nachweislich unsere körperliche Gesundheit. Neueste Studien zeigen, wie anhaltender Ärger die Funktion unserer Blutgefäße stört und das Risiko schwerer Herzkrankheiten erhöht.
Titelbild
Emotionen unter der Lupe: Groll als Risikofaktor für das Herz.Foto: Illustration The Epoch Times
Von 20. Dezember 2024

Ein bekanntes Gleichnis erzählt von einem Jungen mit einem aufbrausenden Temperament. Sein Vater gab ihm einen Sack Nägel und wies ihn an, jedes Mal einen Nagel in den Gartenzaun zu schlagen, wenn er wütend oder nachtragend war. Der Junge hämmerte fleißig und bald war der Zaun mit Nägeln übersät. Schließlich bat der Vater ihn, die Nägel einzeln wieder herauszuziehen. Als der Junge dies tat, bemerkte er die Löcher, die zurückblieben.

„Diese Löcher sind wie die Narben, die dein Groll hinterlässt“, erklärte der Vater. „Der Ärger und der Schmerz mögen vergehen, aber die Narben bleiben.“

Groll hinterlässt Spuren in unseren Herzen – nicht nur emotional, sondern auch physisch. Doch es gibt sowohl Heilung als auch Prävention.

Die Belastung des Herzens durch Groll

Eine Studie von Robert Enright, Professor für Bildungspsychologie an der US-amerikanischen University of Wisconsin-Madison und Vergebungsforscher, untersuchte die Auswirkungen von Groll und Vergebung auf das Herz. Dafür wurden 17 männliche Herzpatienten beobachtet.

Enright forderte sie auf, sich an vergangene Ungerechtigkeiten zu erinnern, die sie noch nicht vergeben hatten. Während sie von ihren Erfahrungen erzählten, zeigten medizinische Messgeräte, dass sich die Arterien, die Blut zum Herzen transportieren, verengten, was den Blutfluss reduzierte. Diese körperliche Reaktion spiegelt laut dem Forscher das metaphorische „Verschließen“ wider, das geschieht, wenn wir Groll hegen.

Die Ergebnisse legen nahe, dass das Loslassen von Groll das Herz schützen und möglicherweise Brustschmerzen sowie das Risiko eines plötzlichen Todes bei Herzpatienten reduzieren kann, erklärte Enright in einem Interview mit Epoch Times.

Auch bei gesunden Menschen, die zu Wut und Feindseligkeit – den Kernmerkmalen des Grolls – neigen, besteht ein 19 Prozent höheres Risiko für koronare Herzkrankheiten. Das ergab eine Studienübersicht, die im „Journal of the American College of Cardiology“ veröffentlicht wurde. Bei Menschen mit bestehenden Herzproblemen stieg dieses Risiko auf 24 Prozent. Eine aktuelle Studie aus dem Jahr 2024 bestätigt diese Erkenntnisse und zeigt, dass anhaltende Wut zu Funktionsstörungen der Blutgefäße führt.

Enright erinnert sich auch an den Fall einer Frau in ihren 80ern, die er in der Hospizpflege kennengelernt hatte. Diese Frau hatte über 40 Jahre lang Groll gegen ein Familienmitglied wegen einer ungelösten Ungerechtigkeit gehegt. „Stellen Sie sich das vor“, sagte Enright. „Das beeinflusst die Person, die die Ungerechtigkeit verursacht hat, gar nicht.“ Stattdessen raubte die anhaltende Bitterkeit der Frau Hoffnung und Lebensfreude in ihren letzten Jahren.

Bleibende Wirkung

Im Gegensatz zu einem aufflammenden Ärger, der schnell vergeht, wirkt Groll wie ein schleichendes Gift.

Wenn wir ungerecht behandelt werden, reagieren wir oft spontan mit Empörung, da wir glauben, uns dadurch vor weiterem Schaden schützen zu können. Diese Reaktion kann kurzfristig sogar das Gefühl vermitteln, stark und unantastbar zu sein.

Doch Groll bleibt meist viel länger und entwickelt sich zu einem belastenden und unwillkommenen Begleiter im Herzen.

Der englische Wort für „Groll“, resentment, leitet sich vom altfranzösischen „resentir“ ab, was „nochmals fühlen“ oder „eine starke Empfindung erneut erleben“ bedeutet. Diese Wortherkunft illustriert ein zentrales Merkmal des Grolls: das ständige Grübeln.

Menschen, die Groll empfinden, neigen dazu, das erlebte Unrecht ständig in ihren Gedanken zu durchleben. Dabei wiederholen sie schmerzhafte Erinnerungen an Demütigungen, Beleidigungen und Verletzungen immer wieder, bis die Bitterkeit dieser Erlebnisse ihnen fast vertraut oder gar reizvoll erscheint, erklärt die Philosophin Amélie Rorty.

Grübeln durchdringt unseren Körper und versetzt uns in einen chronischen Zustand erhöhter Anspannung. Diese Anspannung führt zu erhöhten Cortisol- und Adrenalinspiegeln, die das Immunsystem schwächen und uns somit anfälliger für Krankheiten machen. Darüber hinaus kann Grübeln Depressionen, verstärkte Wut, aggressives Verhalten und sogar suizidale Neigungen hervorrufen.

„Da Groll eine festgefahrene Emotion ist, wird er zu einem Magneten für weitere Grollgefühle, während er wächst und gärt“, schreibt Dr. Kerry Howells in ihrem Buch „Untangling You: How Can I Be Grateful When I Feel So Resentful?“ (Deutsch etwa „Entwirrung: Wie kann ich dankbar sein, wenn ich so voller Groll bin?“). „Nachts wachzuliegen und über einen aktuellen Groll nachzudenken, führt oft dazu, dass weitere, völlig unzusammenhängende Grollgefühle ins Bewusstsein treten.“

Dr. Ann Corson, eine Ärztin für integrative Medizin, die physische und emotionale Heilungsansätze vereint, erklärt, dass Menschen mit tief verwurzeltem Groll häufig in unterschiedlichen Lebensbereichen von Unzufriedenheit geplagt werden – sei es im Beruf, in zwischenmenschlichen Beziehungen oder mit dem eigenen Körper. Dies löst einen negativen Rückkopplungseffekt aus, der langfristig die Gesundheit beeinträchtigt.

Im Laufe der Zeit entwickelt sich Groll zu einer persönlichen Weltanschauung. Er verführt uns dazu, andere Menschen als Gegner und die Welt an sich als ungerecht zu betrachten. Mitunter richtet sich dieser Groll jedoch nicht gegen eine konkrete Person, sondern gegen unsere Lebensumstände. Wir hinterfragen, warum uns bestimmte Belastungen oder Herausforderungen widerfahren sind, und entwickeln ein tief empfundenes Gefühl der Ungerechtigkeit über unser persönliches Schicksal.

Dieser Groll wird schließlich ein fester Bestandteil unseres Wesens, sodass es selbst für uns schwierig wird, ihn als solchen zu erkennen, wie Enright anmerkt.

Die Auswirkungen von Groll beschränken sich jedoch nicht auf das Individuum; sie können ganze Familien und Gemeinschaften erfassen. „Groll wird oft von einer Generation zur nächsten weitergegeben“, erklärt Enright. „Eltern, die ihn ausleben und vor ihren Kindern vorleben, tragen dazu bei, dass dieser Kreislauf weiterbesteht.“

Wege, sich vom Groll zu lösen

Ryan Blackstock, Professor und klinischer Psychologe mit Spezialisierung auf Suchttherapie, hebt hervor, dass der erste Schritt im Umgang mit Groll darin liege, diesen genau zu analysieren und zu verstehen. Dabei solle man sich fragen, woher der Groll stamme und welche Situation ihn ausgelöst habe. Besonders entscheidend sei jedoch die Überlegung, welchen Zweck der Groll aktuell erfülle, da jede Form von Groll eine spezifische Funktion habe.

Enright präsentiert einen vierphasigen Vergebungsprozess, um den Umgang mit Groll zu erleichtern: die Aufdeckungsphase, die Entscheidungsphase, die Arbeitsphase und die Entdeckungsphase.

In der Aufdeckungsphase liegt der Fokus darauf, die eigenen Gefühle zu verstehen, den erlittenen Schmerz anzuerkennen und ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, wie stark der Groll unser Leben beeinflusst und durchdrungen hat.

Enright schilderte den Fall einer Frau, die durch ihren Vater tiefes Leid erfahren hatte. Sie erkannte, dass der über Jahre hinweg genährte Groll alle Bereiche ihres Lebens beeinträchtigt hatte – von zwischenmenschlichen Beziehungen über ihr Selbstwertgefühl hin zu ihrer Zukunftsperspektive, die von Dunkelheit überschattet war. Indem sie sich ihren Emotionen stellte, begann sie zu begreifen, wie sehr die Bitterkeit sie in ihrer Freiheit einschränkte.

In der Entscheidungsphase traf sie schließlich die bewusste Wahl, zu vergeben – nicht, um ihren Vater von der Verantwortung für sein Handeln freizusprechen, sondern um sich selbst von den Fesseln der Bitterkeit zu befreien. Sie erkannte, dass das Festhalten am Zorn ihr Leid nur weiter verlängerte.

Vergebung, so Enright, sei eine Art „Heilmittel“ gegen die Krankheit des Grolls.

Als Gegenpol zum Groll ist Vergebung mit einem verbesserten Cholesterinverhältnis verbunden – einem wichtigen Indikator für das Risiko einer koronaren Herzkrankheit. Darüber hinaus zeigten Menschen, die Vergebung praktizieren, niedrigeren Blutdruck und eine positivere Herzreaktion auf Stress.

Doch über die Entscheidung zur Vergebung hinaus erfordert die Arbeitsphase eine tiefgreifende Veränderung der Perspektive.

Die Frau begann, sich mit der Vergangenheit ihres Vaters auseinanderzusetzen, und entdeckte dabei die Härten und Traumata, die sein Leben geprägt hatten. Diese Erkenntnisse rechtfertigten sein Handeln keineswegs, doch sie trugen dazu bei, die Schärfe ihres Grolls zu mildern. Diese neu entstehende Empathie ließ Mitgefühl in ihr wachsen, was es ihr ermöglichte, „den Groll Stück für Stück abzutragen“, wie Enright erklärte.

In der abschließenden Entdeckungsphase begann sie, in ihrem Leid eine tiefere Bedeutung zu erkennen. In einem Akt von Gnade entschloss sie sich, ihren sterbenden Vater zu pflegen und ihm in seinen letzten Tagen sogar Nahrung zu reichen.

„Nach dem Tod ihres Vaters sagte sie: ‚Ich bin sehr dankbar, dass ich das getan habe, denn schließlich ist er mein Vater; hätte ich ihm nicht vergeben, würde ich heute Trauer und Hass in meinem Herzen tragen. Jetzt empfinde ich nur noch Trauer‘“, berichtete Enright.

In vielen vergleichbaren Fällen, so Enright, könne Vergebung den Betroffenen ihr Leben zurückgeben.

Laut Corson eröffnet das Überwinden von Groll dem Geist, dem Körper und der Seele die Möglichkeit, Heilung zu erfahren.

Die Kraft der Dankbarkeit

Während Vergebung dazu imstande ist, Groll zu heilen, stellt Dankbarkeit eine nachhaltige Prävention dar. Wie die Autorin und Dankbarkeitsforscherin Dr. Howells erklärt: „Dankbarkeit und Groll existieren und entfalten sich innerhalb der Beziehungen unseres Lebens.“

Wir neigen oft dazu zu glauben, dass Dankbarkeit nur unter günstigen Bedingungen möglich sei. Doch Howells betont, dass Dankbarkeit nicht von perfekten Umständen abhängig ist.

Für die Lebensbereiche, die von Groll geprägt sind, empfiehlt Howells, einen Schritt zurückzutreten und die eigene Perspektive zu verändern. „Wenn wir den Einfluss des Grolls lockern, fällt es uns leichter, Dankbarkeit in Bereichen zu finden, die uns zuvor verschlossen blieben“, erklärt sie gegenüber Epoch Times.

Dankbarkeit in anderen, vom Groll unbeeinflussten Lebensbereichen zu entwickeln, kann uns Stärke und Resilienz verleihen, um Groll aktiv und bewusst zu überwinden, führt Howells weiter aus.

„Betrachten Sie Ihre emotionale und psychologische Energie wie ein Tortendiagramm“, erläutert Blackstock. „Der Platz innerhalb der Torte ist begrenzt.“ Je mehr Raum der Groll einnimmt, desto weniger bleibt für andere Aspekte des Lebens.

Die bewusste Kultivierung von Dankbarkeit kann verhindern, dass Groll die positiven Emotionen im Leben verdrängt.

„Dankbarkeit entfaltet ihre transformative Kraft durch aktives Handeln“, sagt Howells. Sie plädiert dafür, Dankbarkeit zu einem festen Bestandteil des Alltags zu machen. „Finden Sie ein oder zwei Dinge, für die Sie leicht Dankbarkeit empfinden können, und lassen Sie diese Gefühle in Ihrem Herzen wachsen, indem Sie ihnen regelmäßig Aufmerksamkeit schenken, sie aufschreiben, sich bewusst bedanken und die Dankbarkeit in Ihrem Inneren spüren.“

„Wer Groll hegt, kann niemals wirklich Heilung erfahren“, betont Corson.

Enright regt dazu an, bewusst über das Vermächtnis nachzudenken, das man hinterlassen möchte.

Er erklärt, dass es dabei zwei grundlegende Wege gibt: Entweder gibt man seine Wut weiter und schafft damit womöglich einen Kreislauf der Negativität für kommende Generationen oder man entscheidet sich, das Geschenk der Liebe weiterzugeben und Wärme sowie Freundlichkeit in die Herzen der Familie zu pflanzen.

Dieser Artikel ersetzt keine medizinische Beratung. Bei Gesundheitsfragen wenden Sie sich bitte an Ihren Arzt oder Apotheker.
Zuerst erschienen auf theepochtimes.com unter dem Titel „Resentment: The Unhealthy Guest in the Human Heart“. (deutsche Bearbeitung kr)



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion