Existenzielle Ängste im Alltag? Studie zeigt, dass Doomscrolling daran schuld sein kann
Das unablässige Scrollen durch sensationslüsterne Nachrichten und negative Beiträge in den sozialen Medien, bekannt als „Doomscrolling“, kann dazu führen, dass Menschen den Sinn und Zweck ihres Lebens infrage stellen. In einer wegweisenden Studie haben Forscher erstmals nachgewiesen, dass diese digitale Angewohnheit in engem Zusammenhang mit existenzieller Angst steht.
Die Studie, die Daten von 800 iranischen und amerikanischen Universitätsstudenten untersuchte, die allesamt aktive Nutzer sozialer Medien sind, zeigt, dass Doomscrolling in beiden Kulturen trotz unterschiedlicher Perspektiven das Risiko erhöht, Symptome existenzieller Angst zu entwickeln.
„Die existenziellen Aspekte des Nachrichtenkonsums, insbesondere im Hinblick auf negativ gefärbte Berichterstattung, sind bislang ein vergleichsweise wenig erforschtes Gebiet in der Psychologie des Medienkonsums“, erklärte der Hauptautor der Studie, Reza Shabahang, in einem E-Mail-Interview mit der Epoch Times. „Mit unserer Studie wollten wir erste Erkenntnisse in diesem bislang vernachlässigten Bereich liefern.“
Doomscrolling: Eine moderne digitale Epidemie
In einer Zeit, in der digitale Medien allgegenwärtig sind, gewinnt die Forschung von Reza Shabahang an besonderer Bedeutung. Während negative Berichterstattung an sich kein neues Phänomen darstellt, hat sich unsere Art, damit umzugehen, dramatisch verändert.
Diese Veränderung wurde besonders während der COVID-19-Pandemie deutlich, als der Begriff „Doomscrolling“ geprägt wurde, um die zunehmende Obsession zu beschreiben, ständig nach neuen Nachrichten-Updates zu suchen — eine Obsession, die oft mit Angstzuständen, Depressionen und einem Gefühl der Überforderung einhergeht.
Psychologen wie Ehab Youssef berichten seitdem von einem Anstieg dieser Phänomene in ihren Praxen.
„Viele meiner Patienten haben das Gefühl, die Last der Welt auf ihren Schultern zu tragen, ständig überflutet von schlechten Nachrichten, die alles düster erscheinen lassen“, so Youssef in einem Interview mit der Epoch Times. „Einige fühlen sich in einem Kreislauf gefangen — sie wissen, dass der ständige Nachrichtenkonsum ihnen schadet, aber sie können einfach nicht damit aufhören.“
Die American Psychological Association warnt, dass dieser fortwährende Zyklus ein Phänomen hervorrufen kann, das als medieninduzierte posttraumatische Belastungsstörung bekannt ist. Dabei erleiden Menschen, die wiederholt mit traumatischen Berichten anderer konfrontiert werden, ähnliche psychologische Auswirkungen, als hätten sie die Ereignisse selbst erlebt.
Sorgen um das Leben? Der Nachrichtenzyklus trägt Mitschuld
Die ständige Flut an negativen Nachrichten könnte einer der Hauptgründe sein, warum immer mehr Menschen in eine Spirale des sogenannten Doomscrollings geraten. Doch nicht nur die Weltgeschehnisse allein treiben uns in diese Sucht nach schlechten Nachrichten — auch die Funktionsweise unseres Gehirns spielt eine entscheidende Rolle. Negative Nachrichten wirken wie ein Alarm, der unsere Aufmerksamkeit stärker fesselt als positive Meldungen.
Dieses Phänomen, bekannt als „Negativitätsverzerrung“ (umgangssprachlich auch „Schwarzmalerei“), verleitet uns dazu, gerade jene Nachrichten zu suchen, die uns in Unruhe versetzen. Ein Artikel, die 2023 in Nature Human Behavior veröffentlicht wurde, zeigt, dass „jedes zusätzliche negative Wort in einer durchschnittlich langen Schlagzeile die Klickrate um 2,3 Prozent erhöht“, während positive Wörter die Wahrscheinlichkeit eines Klicks um ein Prozent verringern. Zudem führten negative Inhalte zu mehr Engagement in den sozialen Medien, darunter mehr geteilte Beiträge und Reaktionen.
Nachrichtenportale und soziale Netzwerke haben zunehmend begonnen, Inhalte zu bevorzugen, die solches Engagement fördern und die Nutzer dazu verleiten, weiter zu scrollen. Der Forscher Shabahang und seine Kollegen beobachteten, dass in der heutigen Medienlandschaft „emotional neutrale Nachrichten zurückgegangen sind und ein beträchtlicher Teil der Berichterstattung nun von Emotionen wie Wut, Angst, Ekel und Traurigkeit geprägt ist.“
Diese ständige Konfrontation mit Negativität kann grundlegend Überzeugungen erschüttern und Menschen dazu bringen, die Natur der Menschheit und den Sinn des Lebens infrage zu stellen. Sie kann das Gefühl verstärken, dass das Leben zerbrechlich ist, die Welt unberechenbar und Gerechtigkeit sowie Wohlwollen in der Gesellschaft abhandengekommen seien.
„Vor dieser ständigen Konfrontation, so meine ich, war es einfacher zu glauben, dass Menschen im Allgemeinen gut sind und die Menschheit wohlwollend ist“, erklärte Dr. Stacey Rosenfeld, lizenzierte Psychologin und Direktorin des Gatewell Therapy Centers, in einem Interview mit Epoch Times. „Heute werden wir verstärkt mit Inhalten konfrontiert, die uns dazu bringen, zu hinterfragen, was eigentlich in der Welt vor sich geht.“
Diese Gedanken sind typisch für Existenzangst — das Gefühl, dass das Leben keinen letztendlichen Sinn hat. Paradoxerweise kann, wie ein Artikel im Guardian aus dem Jahr 2022 berichtete, diese existenzielle Angst dazu führen, dass wir noch intensiver nach Nachrichten „doomscrollen“, in der Hoffnung, etwas zu finden, was das Gefühl der Hoffnungslosigkeit lindern könnte.
Doch da Algorithmen Inhalte bevorzugen, die eine hohe Klickrate erzeugen, laufen wir Gefahr, immer wieder auf Geschichten zu stoßen, die unsere negativen Gedanken weiter verstärken.
Die Frage nach dem Sinn des Lebens
Unsere Anfälligkeit für existenzielle Ängste könnte teilweise auf einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel zurückzuführen sein: Ein Wandel, der uns von einem gemeinsamen Glauben an objektive Wahrheiten hin zu Existenzialismus und Postmodernismus führt.
Der Existenzialismus, so beschreibt es die Stanford Encyclopedia of Philosophy, lehnt absolute moralische Werte, eine universelle Bedeutung und eine feste menschliche Natur ab. Stattdessen propagiert er die Auffassung, dass der Einzelne seinen eigenen Sinn und seine Identität autonom definieren muss.
In ähnlicher Weise behauptet der Postmodernismus, dass die Realität selbst ein Konstrukt des Menschen sei und nichts objektiv erkennbar sei. Beide philosophischen Strömungen können ein Gefühl der Sinnlosigkeit hervorrufen, das existenzielle Ängste verstärkt. Dennoch scheint eine wachsende Zahl von Menschen diese relativistischen Weltanschauungen anzunehmen.
Dr. George Barna, Forschungsdirektor am Cultural Research Center der Arizona Christian University, betont in der „American Worldview Inventory 2024“: „Junge Erwachsene neigen dazu, ihre Weltanschauung primär durch Gefühle und persönliche Erfahrungen zu formen, anstatt durch Logik und Fakten.“ Eine Untersuchung des Pew Research Centers zeigt zudem, dass der Anteil der Menschen ohne religiöse Zugehörigkeit von fünf Prozent im Jahr 1972 auf 29 Prozent im Jahr 2021 angestiegen ist.
Dieser Rückgang des Glaubens an universelle Wahrheiten könnte die negativen Auswirkungen des sogenannten „Doomscrolling“ verstärken. Ohne ein festes Fundament, das die menschliche Natur und den Zustand der Welt erklärt, könnten sich viele Menschen in einer endlosen Suche nach Antworten verlieren, die in den zunehmend negativen Inhalten, denen sie begegnen, nicht zu finden sind.
„Diese Ungewissheit kann das Gefühl existenzieller Bedrohung verstärken und die Welt noch chaotischer und unvorhersehbarer erscheinen lassen“, bemerkt Youssef.
Menschen mit einem objektiven Fundament, fügt er hinzu, würden hingegen oft mit größerer Leichtigkeit durch die Flut von Informationen navigieren. Sie sind besser in der Lage, glaubwürdige Quellen von Sensationsmacherei zu unterscheiden und so der Unsicherheit zu entgehen, die zu existenziellen Sorgen führen kann.
Wie Sie Ihre Nachrichtenquellen gezielt auswählen können
Um den Kreislauf des Doomscrollings zu durchbrechen und unsere Ängste zu mildern, heben Shabahang und seine Kollegen die Bedeutung eines reflektierten und bewussten Umgangs mit Nachrichten und sozialen Medien hervor.
Die Ergebnisse ihrer Studie deuten darauf hin, dass eine gezielte und überlegte Auswahl negativer Nachrichten hilfreich sein kann, um unerwünschte existenzielle Empfindungen zu vermeiden.
Zur Förderung dieser Achtsamkeit können folgende praktische Schritte ergriffen werden:
- Entfernen Sie Apps, die oft zum endlosen Scrollen verleiten, wie Nachrichtenaggregatoren oder soziale Medien.
- Wählen Sie gezielt Nachrichtenquellen aus, anstatt passiv durch Feeds zu scrollen.
- Legen Sie Ihr Smartphone nachts in einen anderen Raum, um der Versuchung des abendlichen Scrollens zu widerstehen.
- Setzen Sie sich ein tägliches Zeitkontingent für die Nutzung von Nachrichten und sozialen Medien.
- Geben Sie zwischenmenschlichen Beziehungen und realen Aktivitäten den Vorrang, sei es, indem Sie Zeit mit Freunden verbringen, spazieren gehen oder produktive Hobbys nachgehen.
Beim Konsum von Medien rät Shabahang dazu, stets über die Beweggründe für unser Medienverhalten nachzudenken und die Auswirkungen auf unser emotionales Befinden zu reflektieren. „Wir sollten uns der Motive hinter unserem Medien- und Nachrichtenkonsum bewusst sein“, erklärt er. „Das Bewusstsein darüber, wie sich unsere Gedanken und Gefühle durch den Medienkonsum verändern, kann uns helfen, diesen gezielter zu steuern und eine gesündere Perspektive zu wahren.“
Sollten Sie trotz einer Reduktion Ihres Nachrichtenkonsums anhaltende Gefühle von Angst, Beklommenheit oder Depressionen verspüren, ist es empfehlenswert professionelle Unterstützung in Anspruch zu nehmen.
Dieser Artikel ersetzt keine medizinische Beratung. Bei Gesundheitsfragen wenden Sie sich bitte an Ihren Arzt oder Apotheker.
Zuerst erschienen auf theepochtimes.com unter dem Titel „Struggling With Existential Anxiety? Study Shows Doomscrolling May Be to Blame“. (deutsche Bearbeitung kr)
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