Epidemiologe Stöhr: H5N1 könnte Pandemie auslösen – China belog schon 2005 die WHO

Epidemiologe Klaus Stöhr warnt in einem Interview vor H5N1 als Auslöser einer möglichen weiteren Pandemie. Zudem erhebt er scharfe Vorwürfe gegen Chinas KP-Regime.
In Deutschland gibt es die ersten Nachweise des Vogelgrippe-Virus H5N1 bei Füchsen.
In Deutschland gibt es die ersten Nachweise des Vogelgrippe-Virus H5N1 bei Füchsen.Foto: Christophe Gateau/dpa
Von 15. Juni 2023

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Der Epidemiologe Klaus Stöhr galt während der Corona-Pandemie als Kritiker von Lockdown-Maßnahmen und der Politik von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. Noch heute fordert er eine gründliche Aufarbeitung der Pandemiepolitik. In einem jüngst geführten Interview mit dem schweizerischen Onlinemagazin „Infosperber“ warnte Stöhr jedoch auch vor einer erneuten Pandemie. Eine diesbezügliche Gefahr sieht er allerdings nicht in einem Virus, das die Atemwege befällt, sondern in einem möglichen Übergreifen von H5N1. Die sogenannte Vogelgrippe hatte bereits Mitte der 2000er-Jahre weltweit für Besorgnis gesorgt.

H5N1 zirkulierte in China schon seit längerer Zeit

Im Gespräch mit dem Magazin erhebt Stöhr auch schwere Vorwürfe gegen das KP-Regime in China. Dieses habe durch seine Vertuschungspolitik eine weitere Ausbreitung des Virus begünstigt. Stöhr äußerte dazu:

Interessant war, dass das H5N1-Virus offensichtlich schon länger in China zirkulierte, noch bevor wir damals warnten. Das erfuhren wir aber erst später. Denn die chinesischen Behörden hatten das nicht nach Paris an die Weltorganisation für Tiergesundheit OIE gemeldet, wie es vorgeschrieben gewesen wäre.“

Weniger aufgrund der Angst vor einer Pandemie als auf Grundlage geltender Tierseuchenbestimmungen hätte es zu einer Keulung betroffener Geflügelbestände kommen müssen. Beim Auftreten hochpathogener Influenzaviren wie H5 und H7 ist eine solche vorgeschrieben. Europäische Staaten führten diese auch durch.

Chinas KP wollte jedoch möglicherweise einen kompletten Ausfuhrstopp für chinesisches Geflügel verhindern. Ein solcher wäre zu befürchten gewesen – immerhin liege die Todesrate bei infizierten Tieren häufig bei 100 Prozent. Das Virus greife auch rasch auf andere Bestände über.

Stöhr befürchtet immer bessere Anpassung des Virus

Das H5N1-Virus ist ein Subtyp des Influenza-A-Virus, das hauptsächlich Vögel infiziert. Eine Übertragung auf Haustiere, aber auch auf Menschen ist grundsätzlich möglich. Mitte der 2000er-Jahre ist es zu – wenn auch nur in seltenen Fällen – einer Übertragung auf den Menschen gekommen.

Schwerpunkt dieser Fälle war Asien. Die meisten der festgestellten Fälle traten nach direktem Kontakt mit infizierten Vögeln auf – insbesondere bei Menschen, die in engem Kontakt mit Geflügel gearbeitet hatten.

Stöhr erklärt, dass sich 2005 Befürchtungen einer schnelleren Variantenbildung von H5N1 nicht bewahrheitet hätten. Man könne sich jedoch nicht darauf verlassen, dass dies dauerhaft der Fall sein werde. Das Gefahrenpotenzial von H5N1 sei hoch gewesen und bleibe es auch:

Die Sorge ist, dass H5N1 nicht wie bis dato selten einzelne Menschen infiziert, sondern sich dadurch anpasst und hoch übertragbar wird.“

Menschen und Säugetiere sind dem Virus stetig stärker ausgesetzt

Ein potenzieller Gamechanger wäre dabei eine großflächige Verbreitung über Wildvögel. Dies zöge vermehrte Ansteckungen auch von Hausgeflügel und am Ende wieder mehr Ansteckungen von Menschen nach sich. Im schlimmsten Fall könne eine der Übertragungen auf den Menschen dazu führen, dass sich das Virus zu einer leicht von Mensch zu Mensch übertragbarem Variante wandele.

Dass eine Anpassung von H5N1 eine reale Gefahr darstellt, zeigt sich nicht zuletzt an der schweren Infektion zweier Hauskatzen im April im US-Bundesstaat Nebraska. Sie hatten sich bei infizierten Wildvögeln angesteckt. Im kanadischen Ontario verendete ein Hund an der Vogelgrippe, nachdem er an einer toten Gans herumgekaut hatte.

Stöhr spricht im Kontext von H5N1 von einem „Pulverfass, an dessen Lunte schon viel gezündelt wurde“. Zwar wandele sich das Virus offenbar nur langsam, allerdings nehme die Exposition von Säugetieren und Menschen kontinuierlich weiter zu. Diese lasse einen Anpassungsprozess des Erregers befürchten. Dazu kommen mögliche Unfälle mit H2-Virusisolaten aus den 1950er- und 1960er-Jahren in Kühltruhen. Die meisten Menschen verfügten über keine Antikörper mehr dagegen.

Stöhr setzt auf mRNA gegen mögliche Varianten von H5N1

Auf Impfstoffe gegen H5N1 solle man keine übersteigerten Hoffnungen setzen, warnt Stöhr. Ein klassischer Hühnereierimpfstoff käme im Fall einer H5N1-Pandemie zu spät. Zudem würden die Kapazitäten nicht ausreichen und die Produktionskosten wären immens hoch. Auch die mögliche Anpassung des H5N1-Stammes an die Hühnereier wäre eine Herausforderung. Der Epidemiologe setzt deshalb auf die Potenziale der mRNA-Forschung.

Die WHO, für die Stöhr von 1992 bis 2007 tätig war, solle dennoch jetzt schon in die Entwicklung möglicher Prototypen investieren. So bestehe eine bessere Aussicht, im Bedarfsfall die Produktion schneller hochfahren zu können:

Darüber hinaus braucht es eine vorbereitete Infrastruktur für klinische Versuche und validierte Biomarker zur Bestimmung des Immunschutzes. Eigentlich müsste die WHO die Initiative dafür ergreifen und Gelder dafür einwerben. Aber das wird meines Wissens nicht ausreichend gemacht.“

Verträge „schlauer anpacken als EU und deutscher Gesundheitsminister“

Stöhr zufolge müssten die WHO und staatliche Institutionen die Regie übernehmen. Er geht davon aus, dass es private Ambitionen, ein auf H5N1 abgestimmtes Präparat zu entwickeln, ohne Unterstützung kaum geben werde.

Es sei „blauäugig zu glauben, dass Firmen proaktiv einen H5N1-Impfstoff ohne erkennbaren Markt entwickeln“. Millionen Euro müssten in einen Markt ohne erkennbaren Rückfluss fließen. Klinische Versuche müssten genehmigt werden – bei einem noch nicht vorhandenen Erreger. Das schaffe ein hohes finanzielles Risiko:

Wenn ich CEO einer Pharmafirma wäre, würde ich die Finger davon lassen.“

Sollte es eines Tages einen Impfstoff geben, hat Stöhr jedoch auch eine Empfehlung an die Politik. Bei allfälligen Verträgen sollte man „schlauer sein, als es die EU und der deutsche Gesundheitsminister bei der Bestellung der Corona-Impfstoffe waren“.



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