„Der Einstieg in ein staatliches Lehrmittel-Monopol“ – NRW-Schulministerin in Kritik
Es steht nicht gut um Deutschlands Bildung. Mit konkreten Maßnahmen will das Ministerium für Schule und Bildung in Nordrhein-Westfalen die Basiskompetenzen der Grundschüler Schritt für Schritt erhöhen. Rund ein Viertel der Grundschulkinder in NRW kann laut IQB-Studie nicht richtig lesen, schreiben, rechnen sowie zuhören und erfüllt auch nicht die Mindestvoraussetzungen in der emotional-sozialen Entwicklung. Aus der jüngst veröffentlichten IGLU-Studie geht hervor, dass bundesweit nahezu jeder vierte Viertklässler nicht richtig lesen kann.
„Die Ergebnisse der jüngsten Leistungsstudien sind alarmierend, und wir werden uns nicht damit abfinden“, betonte die NRW-Bildungsministerin Dorothee Feller am 25. Mai im Rahmen einer Sitzung des Schulausschusses. Dafür sollen Fachkräfte und sogenannte Alltagshelfer zum Einsatz kommen.
Neue Materialien für Lehrer und Schüler
Oberste Priorität für das Ministerium ist, die Unterrichtsqualität zu verbessern – und zwar „durch die Fokussierung auf wirksame, wissenschaftsbasierte Maßnahmen und Unterrichtsmaterialien“. Erkenntnisse in der Bildungsforschung sollen gezielt für den Unterricht genutzt werden. Neben den leistungsschwachen Schülern sollen auch solche mit guten Lernergebnissen nicht aus den Augen verloren werden.
Ab dem Schuljahr 2023/2024 soll zunächst ein deutlicher Fokus auf das Lesen gesetzt werden. Dazu wird die Kurzformel „3 x 20 Minuten“ zum Motto. Dahinter verbirgt sich eine verbindliche wöchentliche Lesezeit von dreimal 20 Minuten, die im Rahmen der Stundentafel als verbindlich eingeführt werden soll.
Verschiedene Internetplattformen wie „Stift“, „SchLau-D“ und „PIKAS“, um nur einige zu nennen, sollen Lehrern und auch Schülern Materialien bereitstellen sowie Lernimpulse geben. Eine vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und der Kultusministerkonferenz angeschobene Initiative soll zudem dafür sorgen, dass Schüler in Verbünden mit zehn bis 30 Schulen zusammenarbeiten, um „passgenaue Konzepte“ zur Sprachbildung umzusetzen. Unterstützt werden sie von Universitäten und Hochschulen.
Alltagshelfer für Pädagogen
Für die Entwicklung sozial-emotionaler Kompetenzen befindet sich das Ministerium nach eigenen Angaben im engen Austausch mit Experten aus Wissenschaft und Praxis. Als vielversprechender Ansatz wurde vorab „eine engere Verzahnung von Schulen und Jugendhilfe“ gewertet.
Lehrer sollen in ihrem Arbeitsalltag entlastet werden, um mehr Zeit für die Schüler zu haben. Nach den Plänen des Ministeriums übernehmen künftig Alltagshelfer Aufgaben wie die Vorbereitung des Klassenzimmers sowie die Beaufsichtigung und Hilfestellung einzelner Schüler. Außerdem soll die Schulsozialarbeit gesichert und sozialpädagogische Fachkräfte eingesetzt werden.
106 begleitende Fachberater
In einem Schreiben der Bildungsministerin an den Vorsitzenden des Ausschusses für Schule und Bildung NRW vom 24. Mai, das der Epoch Times vorliegt, heißt es: „In Kooperation mit der Technischen Universität Dortmund im Fachbereich Mathematik und der Technischen Universität Chemnitz sowie der Leibniz Universität Hannover im Fachbereich Deutsch entstehen leicht handhabbare Materialien und Unterstützungsangebote, die niederschwellig im Unterricht eingesetzt werden können und allen Schulen mit Primarstufen zur Verfügung gestellt werden.“
Damit die Materialien und Angebote von den Lehrern auch genutzt werden und im Unterricht bei den Schülern ankommen, bedürfe es jedoch mehr als deren Bereitschaft.
Insoweit sollen 106 Fachberater als „Mittler zwischen Wissenschaft und Schulpraxis“ fungieren, und Fragen und Anliegen der Lehrer aufgreifen. Die Aufgabe der Fachberater umfasst laut dem Dokument unter anderem:
- schulbegleitende Angebote für die Fächer Deutsch und Mathematik bereitzustellen,
- den Aufbau von fachlichen Netzwerken und Qualitätszirkeln für spezifische Schwerpunkte,
- die Erarbeitung von fachspezifischen, schulformübergreifenden Arbeitsschwerpunkten in der Region und
- die Beratung in Bezug auf spezifische Fragen.
Langfristig braucht es genügend Lehrkräfte
Gute Unterrichtsqualität in Nordrhein-Westfalen könne sich laut Ministerin nur langfristig verbessern, „wenn genügend gut ausgebildete Lehrkräfte für die Schulen zur Verfügung stehen, die sich auf den Unterricht konzentrieren können“.
All dies benötige jedoch Zeit, um die gewünschte Wirkung nachhaltig und sichtbar zu entfalten – mit welchem Zeitrahmen zu rechnen ist, gab sie nicht an. Bei allen Maßnahmen müssten zudem die Rahmenbedingungen der Grundschule, insbesondere der Personalmangel, berücksichtigt werden.
Mitte Juni 2023 und damit noch vor den Sommerferien soll eine große Digitalkonferenz mit den Schulleitern von Grund- und Förderschulen stattfinden, in der weitere Details vorgestellt werden. Das Ministerium und die Schulaufsicht wollen die Schulen zudem durch „praxisorientierte digitale Informationsveranstaltungen unter Beteiligung von Akteuren aus Wissenschaft und Schulpraxis eng begleiten“.
Bedenken gegen das Vorhaben gibt es schon jetzt.
Kritische Stimmen
Im Bildungsmagazin „News4teachers“ sieht man im Vorgehen des Ministeriums nichts anderes als eine Strategie, um den Lehrkräften verbindlich vorzuschreiben, mit welchen Materialien sie zu arbeiten haben.
„Das ist nichts Geringeres als der Einstieg in ein staatliches Lehrmittel-Monopol“, heißt es in einem Beitrag. Bildungsverlage würden damit genauso obsolet wie die bislang geltende pädagogische Freiheit, über die Unterrichtsmaterialien für Schüler frei zu entscheiden.
Kritisiert wird hauptsächlich, dass die bereitzustellenden Materialien schon jetzt als „leicht handhabbar“ beschrieben werden, obwohl sie sich noch in der Entwicklung befinden – sie seien also in der Praxis überhaupt nicht erprobt. Es stelle sich zudem die Frage, ob damit die jeweiligen Bedürfnisse der Schulen „vom multikulturellen Ruhrgebiet bis hin zum platten Niederrhein“ erfüllt werden.
Heiß diskutiert wird die Thematik auch unter Lehrern. „Die CDU steht nicht mehr auf dem Boden der Demokratie“, schreibt ein „News4teachers“-Leser direkt unter den Artikel. Dass 106 neue Stellen für Fachkräfte statt in den Schulen geschaffen werden, kann er nicht verstehen. Er sieht in den Fachkräften nichts anderes als „Kontrolleure“ der Lehrer.
Auch auf Facebook ist eine Diskussion entbrannt. Eine Lehrerin schreibt: „Gerade dieses zunehmende Einschränken unterrichtlicher Freiheit ist (neben dem Gefühl, ausgebeutet zu werden) der Hauptgrund, warum ich immer häufiger darüber nachdenke, aus dem Beruf zu gehen.“
Jemand weist darauf hin, dass die Materialien vom Ministerium lediglich zur Verfügung gestellt würden – von einem verpflichtenden Gebrauch stehe im Schreiben an den Ausschuss nichts.
Eine andere Lehrerin äußert: „In meiner 1. Klasse können die Kinder lesen, mechanisch gesehen. Aber über die Hälfte versteht die Wörter nicht, muss bei Bildern schon nachfragen, wie das auf Deutsch genannt wird. Dass da noch viel zu erledigen ist bis zum sinnentnehmenden Lesen, weiß ich auch. Aber dabei hilft mir sicherlich kein Material, das die Bürohengste ausgesucht haben, deren einzige Kompetenz für den Job ist, dass sie selbst mal zur Schule gegangen sind (um es mal überspitzt zu formulieren).“
Eine weiterere appelliert: „Gebt uns genügend LehrerInnen, macht die Klassen kleiner, investiert in vorschulische Bildung, klärt Eltern auf. Dann wird auch das Lesen (und vieles andere) besser.“
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