Trauern, heilen, leben: Wie man Verlust annimmt und wieder Freude findet
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Letzte Woche nach einem Seminar über die Heilung von Depressionen fragte mich eine junge Frau, ob sie mit mir sprechen könne.
Ihr Vater sei vor drei Jahren bei einem Autounfall gestorben, „eine verheerende Tragödie für meine Mutter und mich“, erzählte sie mir. Genauso wie ihre Mutter werde sie ihren Vater immer vermissen und um ihn trauern. Aber der Zustand ihrer Mutter, fuhr sie fort, mache ihr große Sorgen.
„[Sie] scheint völlig unfähig zu sein, mit ihrem Leben weiterzumachen. Es ist, als wäre sie in der Zeit eingefroren, seit Papa gestorben ist. Sie hat fast keine Freunde, ist zurückgezogen und isoliert und sie weigert sich, irgendwelche Feiertage zu feiern. Es scheint, als hätte sie kein Leben und keine Kraft, einen Schritt nach vorn zu machen.“
Als Psychotherapeut hörte ich in den letzten 40 Jahren Dutzende Male ähnliche Geschichten. Jeder erlebt einen Verlust anders – und jeder geht anders mit ihm um.
Trauer ist eine der tiefsten Emotionen des Lebens, ein Zeugnis der Liebe und Verbundenheit, die wir mit denjenigen teilen, die wir verloren haben. Sie ist eine Pilgerreise durch Leid und Herzschmerz; ein Anpassungsprozess, der uns lehrt, ohne jemanden zu leben, der einst ein untrennbarer Teil unseres Lebens war.
Für viele führt diese Reise, auch wenn sie schmerzhaft ist, schließlich zu Akzeptanz und Heilung. Für andere jedoch kann die Trauer wie ein schwerer und unerbittlicher Schatten fortbestehen.
Forscher und Psychologen bezeichnen diese Art von anhaltendem Kummer gemeinhin als „komplizierte“ oder „pathologische Trauer“ oder als „anhaltende Trauerstörung“. Wie die Dame nach meinem Seminar so treffend beschrieb, haben Betroffene manchmal das Gefühl, „in der Zeit eingefroren“ zu sein – ohne Freude und ohne die Kraft, weiterzumachen.
Warum wird Trauer kompliziert?
Trauer ist etwas sehr Persönliches und es gibt keine Frist dafür, wann sie „enden“ sollte. Komplizierte Trauer jedoch hält die Betroffenen in einem Kreislauf des Schmerzes gefangen, der es ihnen schwer macht, den Verlust zu akzeptieren, sich in Frieden an den geliebten Menschen zu erinnern oder sich wieder ein Leben voller Freude vorzustellen.
Manchmal lassen die Umstände eines Verlusts oder die Beziehung, die wir zu unserem geliebten Menschen hatten, die Trauer wie einen unüberwindbaren Berg erscheinen. Zu diesen Umständen gehören:
Plötzlicher oder traumatischer Verlust. Wenn ein geliebter Mensch plötzlich oder unter tragischen Umständen stirbt, fühlt man sich durch den Schock unvorbereitet und machtlos. Vielleicht spielt man die Ereignisse im Geiste noch einmal durch, sucht nach Antworten oder wünscht sich, man könnte das Geschehene ändern.
Innige Bindungen. Wenn jemand für einen der Eckpfeiler des Lebens war – ein Kind, ein Ehepartner oder ein Elternteil – hinterlässt die Abwesenheit dieser Person eine Lücke, die sich unmöglich füllen lässt. Man kann sich eine Zukunft ohne diese Person nur schwer vorstellen, als ob der Verlust auch einen Teil von einem selbst genommen hätte.
Emotionale Anfälligkeiten. Wer in der Vergangenheit mit Angstzuständen, Depressionen, Traumata und ähnlichem zu kämpfen hatte, den kann die Trauer noch härter treffen. Das vertieft die Probleme und macht es schwierig, einen Weg nach vorn zu finden.
Isolation. Trauer kann sich unglaublich einsam anfühlen, vor allem, wenn die Menschen um einen herum den Schmerz nicht ganz verstehen oder wenn kulturelle oder familiäre Erwartungen einen dazu drängen, schnell „weiterzumachen“. Dieser Mangel an Unterstützung kann dazu führen, dass sich die Trauer unsichtbar und überwältigend anfühlt.
Kleine Schritte auf dem Weg zur Heilung
Heilung heißt nicht Vergessen. Ganz im Gegenteil: Sie bedeutet zu lernen, die Liebe, die man geteilt hat, weiterzutragen und gleichzeitig neue Wege zu finden, das Leben zu genießen. Die Reise durch die Trauer ist für jeden Menschen einzigartig. Die folgenden Schritte können allerdings helfen, Frieden zu finden und die Resilienz zu steigern.
Die Trauer anerkennen
Man sollte sich selbst die Erlaubnis geben, auf seine eigene Weise zu trauern. Es gibt keine „richtige“ Art zu trauern und keinen Zeitplan, den man zu befolgen hat. Die eigenen Gefühle – ob Traurigkeit, Wut oder Schuld – drücken auf natürliche Weise die Tiefe der eigenen Liebe aus.
Man sollte freundlich zu sich selbst sein und sich. sagen: „Es ist in Ordnung, sich so zu fühlen. Mein Kummer ist ein Spiegelbild meiner Liebe“ Ein Tagebuch zu führen oder seine Gefühle mit einer Person seines Vertrauens zu teilen, kann helfen, sich mit seinen Erfahrungen auseinanderzusetzen.
Sich professionelle Hilfe suchen
Manchmal fühlt sich die Last der Trauer zu schwer an, um sie allein zu tragen. In einer Therapie geht es nicht darum, Trauer zu „heilen“, sondern einen sicheren Raum zu schaffen, in dem man seine Gefühle erforschen, einen Sinn finden und wieder Hoffnung schöpfen kann.
Ein Therapeut kann helfen, ungelöste Gefühle wie Schuldgefühle oder Wut zu verarbeiten. Außerdem kann er einen dabei unterstützen, wieder ein erfülltes Leben zu führen. Selbsthilfegruppen sind ebenfalls wertvoll, da sie die Betroffenen mit Personen zusammenbringen, die ihren Schmerz wirklich verstehen.
Wieder Routine einführen
Ein Verlust kann dazu führen, dass sich die Welt chaotisch anfühlt. Kleine Routinen können jedoch ein Gefühl der Stabilität vermitteln. Wenn sich die Gefühle unberechenbar anfühlen, können selbst einfache Handlungen, wie beispielsweise jeden Tag zur gleichen Zeit zu frühstücken, helfen, sich zu erden.
Dafür kann man mit kleinen, überschaubaren Gewohnheiten beginnen, wie einem täglichen Spaziergang oder einer Tasse Tee zur gleichen Zeit am Morgen. Diese Routinen erinnern einen sanft daran, dass das Leben wieder einen gewissen Rhythmus annehmen kann.
Sich selbst gegenüber Mitgefühl zeigen
Trauer geht oft mit Schuldgefühlen einher. Man denkt, dass man den Verlust hätte verhindern können. Oder man fühlt sich schuldig, dass man Momente der Freude erlebt oder nicht „genug“ getrauert habe. Man sollte aber nicht vergessen, dass man ein Mensch ist. Trauern ist kein Maßstab für Liebe – es ist ein Prozess, der Zeit braucht.
Wer sich selbst Vorwürfe macht, sollte sich fragen, was er einem lieben Freund in der gleichen Situation sagen würde. Er sollte zu sich selbst mit der gleichen Liebe und dem gleichen Verständnis reden.
Den geliebten Menschen ehren
Es kann Trost spenden, wenn man Wege findet, das Leben eines geliebten Menschen zu feiern. Rituale helfen, mit der Erinnerung an den Verstorbenen verbunden zu bleiben und gleichzeitig den neuen Lebensabschnitt zu würdigen.
Man kann eine Kerze zu seinem Andenken anzünden, ein Fotoalbum anlegen oder einen Baum zu seinen Ehren pflanzen. Diese Taten der Liebe lassen die Erinnerung an den Verstorbenen auf sinnvolle Weise weiterleben.
Man hört nie auf, den Menschen, den man verloren hat, zu lieben oder zu vermissen. Doch man kann einen Weg finden, sein Andenken zu ehren und gleichzeitig Raum für Freude und Verbundenheit im eigenen Leben zu schaffen.
Aktivitäten pflegen, die einen wieder auftanken
Die Trauer kann einen so sehr beschäftigen, dass man die Aktivitäten vergisst, die einem früher Frieden und Freude brachten. Ein großer Teil der gesunden Selbstfürsorge besteht darin, die Aktivitäten fortzusetzen, die einen beleben und einem ein Lächeln entlocken.
Man kann sich drei Aktivitäten aussuchen, die einem Freude bereiten, zum Beispiel sich mit einem Freund zum Mittagessen zu treffen, eine Radtour zu machen oder eine Runde Golf zu spielen. Dann kann man beginnen, diese Aktivitäten zu planen und durchzuführen.
Mit Menschen in Kontakt bleiben, die einem am nächsten stehen
Trauer kann isolieren. Es kann allerdings auch unerwarteten Trost spenden, wenn man sie mit anderen teilt. Ganz gleich, ob es sich um enge Freunde, die Familie oder eine Gemeindegruppe handelt – es ist wichtig, Menschen zu finden, die zuhören, ohne zu urteilen.
Auch wenn es einem schwerfällt, sich an jemanden zu wenden, kann man klein anfangen. Man kann einen Freund anrufen oder jemandem, dem man vertraut, einen Brief schreiben. Wenn einem Reden zu viel ist, kann es heilsam sein, einfach neben einer Person zu sitzen, die einen unterstützt.
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Seine Trauer anzuerkennen und sich selbst mit Mitgefühl zu begegnen, kann beim Heilungsprozess helfen. Foto: Biba Kayewich
Über den Autor
Dr. Gregory Jantz ist Psychotherapeut mit den Schwerpunkten Essstörungen, Depressionen, Angststörungen, Sucht und ähnlichen Themen. Er ist der Begründer und Leiter von The Center: A Place of Hope, einer Klinik für psychische Gesundheit in Edmonds im US-Bundesstaat Washington. Außerdem ist er der Autor von „Healing Depression for Life“, „The Anxiety Reset“ und vielen anderen Büchern.
Dieser Artikel ersetzt keine medizinische Beratung. Bei Gesundheitsfragen wenden Sie sich bitte an Ihren Arzt oder Apotheker.
Zuerst erschienen auf theepochtimes.com unter dem Titel „When Grief Goes On and On: Understanding Complex Grief and Steps to Healing“. (redaktionelle Bearbeitung as)
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