Bauernkinder erkranken seltener an Asthma – im Gespräch mit Prof. Dr. Erika von Mutius
Wenn sich Kinder mit Asthma quälen, leiden häufig auch ihre Eltern. Doch so weit muss es nicht kommen, wie Prof. Dr. Erika von Mutius weiß. Sie leitet seit dem Jahr 2017 das Institut für Asthma- und Allergieprävention am Helmholtz Zentrum München und ist eine der führenden Vertreterinnen der Hygienehypothese. Was diese beinhaltet und was sonst noch aus ihren Forschungen abzuleiten ist, darüber sprach sie mit Epoch Times.
Frau Prof. von Mutius, Sie forschen seit Jahrzehnten auf dem Gebiet von Asthma und Allergien. Warum gerade in diesem Bereich?
Das kam eher zufällig. Als Kinderärztin habe ich die Asthma- und Allergiesprechstunde im Dr. von Haunerschen Kinderspital der Uniklinik in München aufgebaut. Da hat es mich immer interessiert, warum Kinder überhaupt diese Erkrankungen bekommen.
Woran erkennt man Asthma?
Asthma ist eine Entzündung der Schleimhaut der Atemwege. Dadurch können sich die Atemwege zusammenziehen. Häufig äußert sich Asthma durch Anfälle von pfeifenden Atemgeräuschen und Atemnot. Es beginnt in der Regel im Kindesalter bis zum vierten Lebensjahr, oft schon im ersten Jahr. Dabei unterscheiden wir zwischen allergischem und nicht allergischem Asthma.
Bei manchen Kindern treten die Beschwerden, ausgelöst durch Virusinfekte, bis zum Vorschulalter auf und sind mit Eintritt in die Schule vorbei. Das ist, sagen wir mal, der beste Verlauf.
Dann gibt es noch Kinder, die allergisch reagieren und bei denen vielleicht noch eine Neurodermitis, also ein atopisches Ekzem, vorhanden ist. Sie haben nicht zwingend, aber häufig einen eher chronischen Verlauf. Das heißt, die Kinder haben Probleme bis zum jugendlichen Alter. Abhängig vom Schweregrad der Erkrankung können auch bei ihnen die Symptome ganz verschwinden. Bei anderen bleiben die Beschwerden noch bis ins Erwachsenenalter.
In Ihren Forschungen, die auch mit traditionellen Bauernhöfen zusammenhängen, spielt die Hygienehypothese eine große Rolle. Was steckt dahinter?
Die Hygienehypothese besagt, dass das Immunsystem der Kinder in den ersten ein bis drei Jahren externe Anstöße benötigt, um richtig heranzureifen. Diese Anstöße kommen aus der Umwelt – neben Viren und Bakterien vor allem aus dem sogenannten Umweltmikrobiom.
Bei unseren Forschungen hier im alpinen Raum haben wir beobachtet, dass Kinder, die auf Bauernhöfen aufwachsen, deutlich weniger Asthma haben als Kinder, die im selben Dorf, aber nicht auf dem Bauernhof aufwachsen. Der wichtigste Faktor dabei ist, dass die Kinder tatsächlich auch mit den Nutztieren im Stall in Kontakt kommen.
Wir haben auch gesehen, dass der Konsum der Rohmilch vom eigenen Hof ein weiterer Schutzfaktor ist. Aber der Verzehr von Rohmilch birgt auch Gesundheitsrisiken. Sie kann Keime enthalten, beispielsweise EHEC, was zu schweren Verläufen bis hin zu Niereninsuffizienz führen kann. Für Kinder, die auf traditionellen Bauernhöfen aufwachsen, spielen diese Keime jedoch kaum eine Rolle. Sie haben ihren Immunschutz schon durch die Muttermilch oder über die Nabelschnur mitbekommen, sodass sie in den Genuss der Rohmilch kommen können.
Um solchen Immunschutz aufzubauen, reicht es jedoch nicht aus, sich nur einmal oder gelegentlich in einem Kuhstall aufzuhalten. Für die Allgemeinbevölkerung außerhalb dieser Bauernhöfe ist daher Rohmilch auch nicht zu empfehlen – auf gar keinen Fall!
Sie haben vom Mikrobiom gesprochen. In der Corona-Zeit wurde viel mit Handdesinfektion gearbeitet. Manche Eltern greifen auch weiterhin darauf zurück. Wie sehen Sie das?
Die Desinfektion läuft konträr zur Hygienehypothese. Das hat man auch nach dem Lockdown gesehen. Die Anzahl der Atemwegsinfektionen bei Kindern, die während des Lockdowns von anderen Kindern abgeschirmt gewesen waren, ist explodiert. Sie sind auch schwerer erkrankt. Das haben wir in so einem Ausmaß vorher noch nie gesehen. Dass Kinder mit den üblichen Erregern, wie sie im Kindergarten und in der Schule vorkommen, nicht in Kontakt gekommen sind, hat ihnen nicht gutgetan.
Kann man diesen versäumten Kontakt zu den Mikroben nachholen?
Wie bei jedem Heranreifen gibt es bestimmte Perioden. Stellen Sie sich vor, Sie erlernen eine Sprache. Je früher man das Vokabular lernt, desto schneller kann man in dieser Sprache sprechen. Natürlich können Sie auch später noch eine Sprache lernen, aber es ist weitaus mühsamer. Für das Immunsystem sind die entscheidenden ersten Jahre prägend. Das gilt übrigens auch für die geistige Entwicklung.
Die wenigsten Eltern werden aufgrund Ihrer Forschungsergebnisse auf traditionelle Landwirtschaft umsatteln. Wie können sie trotzdem das Risiko verringern, dass ihre Kinder an Allergien und Asthma erkranken?
Für Eltern außerhalb der traditionellen Bauernhöfe ist es in erster Linie ratsam, einfach nicht zu rauchen, um Asthma bei ihren Kindern zu verhindern. Das ist das Allerwichtigste! Wenn die Eltern nur auf dem Balkon rauchen und nicht in der Wohnung, reicht das nicht, denn die Rauchbestandteile hängen in ihrer Kleidung. Wenn eine stark rauchende Person in den Raum kommt, riecht man das schon.
Als Zweites sollten sie, falls vorhanden, Schimmelbildung, also Feuchtigkeitsschäden in der Wohnung unverzüglich beseitigen, denn auch das erhöht das Asthmarisiko.
Wenn sich die Symptome bei Kindern häufen, würde ich außerdem zu einem Allergietest raten. Das wird viel zu selten gemacht. Kinder, die frühzeitig eine Allergie oder auch schon eine Neurodermitis haben, sollten frühzeitig konsequent behandelt werden.
Wichtig ist: Je länger man wartet, desto schlimmer kann es werden. Das klingt jetzt zwar dramatisch, so meine ich es aber nicht. Es ist mir wichtig, dass den Kindern geholfen wird. Wenn Atemnot bei ihnen auftritt, ist das wirklich scheußlich. Das macht Angst, nicht nur den Kindern, sondern der ganzen Familie. Dabei kann Asthma gut behandelt werden. Wenn Kinder häufiger unter Atemnot leiden, sollte ein Facharzt kontaktiert werden.
Sie haben den Allergietest angesprochen. Wie wird der Allergietest gemacht und wie wird dann letztlich behandelt?
Der Allergietest kann an der Haut als Pricktest oder über Blutuntersuchung gemacht werden. Das Potenzial, allergisch zu reagieren, ändert sich mit dem Alter. In den ersten Lebensjahren sind vor allem Nahrungsmittel wie Kuhmilch und Ei bei Kindern ein Thema. Dann kommen Hausstaubmilben, Tierhaare oder später die Pollen.
Behandelt wird in der Regel mit Inhalationen. Da gibt es unterschiedliche Möglichkeiten. Was am besten funktioniert, hängt davon ab, was das Kind am besten toleriert und womit die Eltern am besten zurechtkommen.
Außerdem laufen noch verschiedene Studien zu präventiven RSV-Impfstoffen [Anm. d. Red.: RSV steht für respiratorisches Synzytial-Virus, das Atemwegserkrankungen verursacht; die Impfung erfolgt vor der ersten RSV-Saison]. Ob damit Asthmaerkrankungen bei Kindern verhindert werden können, muss man noch sehen. Es gibt auch noch die sogenannten Bakterienlysate in Form einer Art von Probiotika. Das sind meist gestückelte Bakterien in verschiedenen Darreichungsformen wie Broncho-Vaxom. Der Ausgang der Studien ist aber noch offen.
Würden Sie derzeit eine RSV-Impfung für an Asthma erkrankte Kinder empfehlen?
Üblicherweise treten RSV-Erkrankungen im ersten Lebensjahr auf. Viele Kinder sind einfach durchseucht und haben überhaupt keine Probleme mit RSV. Aber es gibt Kinder, die besonders schwer betroffen sind und eine sogenannte Bronchiolitis entwickeln – das sind häufig frühgeborene Kinder oder Kinder mit angeborenen Herzerkrankungen. Es ist sicherlich sinnvoll, zumindest in Familien, in denen Asthma bereits vorkommt, die Eltern von einer Impfung ihres Kindes zu überzeugen.
Aufgrund des Krankheitsbildes bei sehr schweren Verläufen kann ich aber auch Ärzte verstehen, die eine generelle RSV-Impfung aller Kinder empfehlen.
Was raten Sie Eltern, die lieber auf Naturheilkunde zurückgreifen?
Es gibt vieles, das wirksam ist und was die Schulmedizin vielleicht so nicht kennt. Dagegen würde ich mich nicht sperren. Wichtig ist, dass man es nicht ideologisch betrachtet. Die Art der Behandlung hängt letztlich vom Schweregrad der Erkrankung ab.
Ich hatte kürzlich einen dreijährigen Patienten auf der Intensivstation, der beatmet werden musste. Das ist alles andere als harmlos und da leidet die ganze Familie. Letztlich ist aber alles gut ausgegangen. Das Wichtigste ist, dass Eltern die Erkrankung ihres Kindes nicht auf die leichte Schulter nehmen.
Schlimme Fälle können frühzeitig verhindert werden – durch entsprechende Tests, richtige Mittel und vor allem durch Gespräche mit den Angehörigen. Gemeinsam mit den Eltern können wir Ärzte herausfinden, wann wie viel wovon notwendig ist, denn jedes Kind ist anders; jeder Patient ist anders. Der eine braucht mehr, der andere weniger Behandlungen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Susanne Ausic.
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