Ärzte kritisieren Meningokokken-Impfempfehlung für Säuglinge und Kleinkinder

Meningokokken-Erkrankungen werden seltener. Dennoch empfiehlt die STIKO nun die Impfung von Säuglingen und Kleinkindern. Mediziner kritisieren fehlende Daten zu Nutzen und Risiken der verwendeten Impfstoffe.
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Die STIKO empfiehlt, alle Kinder ab zwei Monaten gegen Meningokokken zu impfen.Foto: iStock
Von 27. Januar 2024

Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt in einer aktuellen Stellungnahme vom 18. Januar 2024 alle Säuglinge ab dem Alter von 2 Monaten gegen Meningokokken vom Serotyp B (MenB) zu impfen. Bisher wurde auf eine Empfehlung für eine Impfung von Kindern in dieser Altersgruppe verzichtet, da es keine ausreichenden Daten zur Wirksamkeit und Sicherheit der verfügbaren Impfstoffe gab. Nun weist die STIKO darauf hin, dass Meningokokken-Erkrankungen zwar sehr selten auftreten, der Krankheitsverlauf allerdings oft sehr schwerwiegend sein könne.

Für Kinder in dieser Altersgruppe ist in Europa der Impfstoff Bexsero von der Firma GSK zugelassen. Dieser enthält vier verschiedene Proteine des bakteriellen Erregers der invasiven Meningokokken-Erkrankung (IME). Allerdings erfasst dieser Impfstoff laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nicht alle zirkulierenden Stämme von Meningokokken. Selbst Stämme der Serogruppe B werden nicht komplett von den eingesetzten Impfstoffen abgedeckt.

Immer weniger Meningokokken-Erkrankungen

Invasive Meningokokken-Erkrankungen (IME) werden durch Infektionen mit Neisseria meningitidis verursacht. In Einzelfällen können sie schwerwiegende Folgeschäden verursachen. Bei bis zu 8 Prozent der Patienten kann die Erkrankung tödlich verlaufen. Dennoch tritt IME in Deutschland sehr selten auf. Jährlich erkranken etwa 150 Personen nach einer Infektion mit Meningokokken vom Serotyp B. Die Inzidenz ist rückläufig und allein in den vergangenen 20 Jahren um rund 80 Prozent gesunken.

Obwohl Kinder etwas häufiger von Infektionen betroffen sind, ist die Inzidenz auch bei Säuglingen und Kleinkindern insgesamt gering. Laut dem neuesten Epidemiologischen Bulletin des Robert Koch-Instituts erkranken statistisch betrachtet jährlich etwa 3,5 von 100.000 Säuglingen und 1,0 von 100.000 Kleinkindern im Alter zwischen ein und vier Jahren.

Die beobachtete Abnahme der Inzidenzen kann nicht durch die Impfungen erklärt werden. Auch in Ländern, in denen nicht gegen Meningokokken geimpft wird, sind die Fallzahlen seit Jahren rückläufig. Laut dem Epidemiologischen Bulletin gibt es nach wie vor keine Belege dafür, dass die eingesetzten Impfstoffe invasive Meningokokken-Erkrankungen überhaupt verhindern können:

Zur Schutzdauer der MenB-Impfstoffe gegen Invasiven Meningokokken-Erkrankung und daraus resultierende Hospitalisierungen, schwere Komplikationen, Behinderungen oder Todesfälle sind bislang keine Daten bekannt“, heißt es im Epidemiologischen Bulletin des RKI.

Studien zur Wirksamkeit mit geringer Evidenz

In ihrer aktuellen Empfehlung für die Impfung von Säuglingen und Kleinkindern stützt sich die STIKO auf neue Erkenntnisse zur Wirksamkeit der Impfstoffe. Ihre Einschätzung basiert auf Studien, deren Ergebnisse in einer Metaanalyse zusammengefasst wurden. Die ermittelte Effizienz der Impfstoffe beträgt demnach 89 Prozent für Jugendliche unter 18 Jahren und 81 Prozent für Kinder unter sechs Jahren. Allerdings räumt die STIKO selbst ein, dass die Ergebnisse dieser Studien nur eine geringe bis moderate Beweiskraft haben.

Bemerkenswert ist dabei, dass keine der von der STIKO begutachteten Studien die Ergebnisse separat für Säuglinge und Kleinkinder aufzeigt. Des Weiteren fehlen Untersuchungen, die Hospitalisierungen, Todesfälle oder Langzeitfolgen infolge invasiver Meningokokken-Erkrankungen bei dieser Altersgruppe beleuchten. Aufgrund der aktuellen Datenlage lassen sich in den von der STIKO zitierten Studien also keine zuverlässigen Nachweise für eine schützende Wirkung des verwendeten Impfstoffs für Säuglinge und Kleinkinder finden.

Impfungen induzieren spezifische Antikörper

In der letzten Stellungnahme der STIKO aus dem Jahr 2018 gab es noch keine Informationen darüber, ob die verwendeten Impfstoffe die Besiedlung mit Neisseria meningitidis reduzieren können. Inzwischen liegen jedoch Untersuchungen dazu vor. Dabei ergeban alle bisher veröffentlichten Studien, dass keiner der zugelassenen Impfstoffe einen Einfluss auf die Besiedlung mit den Neisseria-Bakterien hatte. Daher sind auch keine Effekte der Impfung auf die Ausbreitung der Meningokokken zu erwarten. Das bedeutet, durch die Impfung wird weder eine sterile Immunität erzeugt, noch eine Herdenimmunität in der Bevölkerung erreicht werden kann.

Durch das seltene Auftreten von IME sind randomisierte Kohortenstudien zur Ermittlung der tatsächlichen Wirksamkeit von Impfstoffen gegen Meningokokken kaum durchzuführen. Deshalb basieren Untersuchungen auf Messungen von Antikörpern, die durch die Impfungen erzeugt wurden, anstatt auf Zahlen zur Verhinderung von Erkrankungen. Das ist ein ähnliches Verfahren, wie es für die Abschätzung der Wirksamkeit von Impfstoffen gegen COVID-19 angewendet wurde. Hierbei wird das Serum von geimpften Personen auf Antikörper untersucht, die spezifische Bestandteile der Erreger erkennen und binden können.

Hohe Nebenwirkungsrate der Impfstoffe gegen Meningokokken

Die Impfstoffe gegen Meningokokken haben eine hohe Reaktogenität, verursachen also in vielen Fällen auch unerwünschte Impfreaktionen. Häufig treten Fieber und Schmerzen oder Schwellungen an der Einstichstelle auf. Die meisten Beschwerden halten in der Regel allerdings nur wenige Tage an. Die Impfreaktionen können jedoch stärker ausgeprägt sein, wenn der MenB-Impfstoff zusammen mit anderen Impfstoffen verwendet wird. Aus diesem Grund empfiehlt die STIKO die prophylaktische Gabe von Paracetamol bei Säuglingen, bei denen Fieber als Reaktion besonders häufig auftritt.

Nach den Zahlen des Paul-Ehrlich-Instituts kommt es jährlich bei etwa 250 von 100.000 Impfungen mit dem Impfstoff Bexsero zu einem Verdacht auf Impfkomplikationen. Davon wird etwa jede fünfte Meldung als schwerwiegend eingestuft. Damit wäre die Wahrscheinlichkeit für eine schwerwiegende Impfkomplikation deutlich größer als das Risiko, an einer Infektion mit Meningokokken zu erkranken.

Ärzte kritisieren Impfempfehlung

Vor diesem Hintergrund kritisieren die Ärztinnen und Ärzte für individuelle Impfentscheidung  (ÄFI e. V.) die neue Empfehlung der STIKO. Der Verein, der sich zum Ziel gesetzt hat, Erkenntnisse und Unsicherheiten bezüglich einzelner Impfungen zu sammeln und medizinischen Kollegen evidenzbasiert zur Verfügung zu stellen, bemängelt bei den Impfstoffen gegen Meningokokken im Allgemeinen insbesondere die kurze Dauer eines möglichen Impfschutzes. Verschiedene Studien hätten gezeigt, so die Aussagen des Vereins, dass die Konzentrationen an durch die Impfung hervorgerufenen Antikörpern innerhalb von sechs Monaten auf unter 60 Prozent abnähme.

Auch die hohe Anzahl an Impfreaktionen seien ein Grund zur Vorsicht. In der langen Impfstoffentwicklungsgeschichte der Meningokokken-B-Impfstoffe spielte immer wieder die erhöhte Gefahr, dass bei Geimpften eine Autoimmunreaktion ausgelöst werden könnte, eine entscheidende Rolle bei der Zurückhaltung der Impfempfehlung.

Dr. Alexander Konietzky, Vorstandssprecher der ÄFI, erklärte gegenüber der Epoch Times, dass das Nutzen- und Risikoprofil der verwendeten Meningokokken-Impfstoffe ungünstig sei. Es gebe nach wie vor und vor allem bei dem Meningokokken Typ B unzureichende Beweise für deren Wirksamkeit. Obwohl seit der letzten STIKO-Empfehlung einige Zeit vergangen sei, hätten sich die sachdienlichen Erkenntnisse kaum erweitert. Das liege vor allem auch daran, dass die Erkrankung so selten auftrete.

„Die STIKO stützt sich bei den Meningokokken-B-Impfstoffen auf Modellierungsstudien zur Verringerung der Sterblichkeit und Krankheitslast bei Kindern, die insgesamt an der empirisch feststellbaren Realität vorbeigehen“, erklärte Konietzky. Eltern würden seiner Ansicht nach falsche Versprechungen gemacht, wenn denn auch nach Aussage der STIKO weiterhin invasive Meningokokkenerkrankungen trotz Impfung möglich seien. Angesichts dieses Hintergrunds und des hohen Risikoprofils könne man aus evidenzbasierter Sicht diese Impfung nicht guten Gewissens empfehlen.

Die STIKO ist ein Gremium, bestehend aus Fachleuten mit Expertise im Bereich der Immunisierung und Impfprävention. Angegliedert an das RKI besteht ihre Aufgabe darin, basierend auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen Empfehlungen für Impfungen zu geben. Die Empfehlungen der STIKO sind nicht verpflichtend, werden jedoch in der Regel von Gesundheitsbehörden, Ärzten und medizinischem Fachpersonal als Richtlinien für Impfungen in Deutschland akzeptiert und umgesetzt.

Dieser Artikel ersetzt keine medizinische Beratung. Bei Gesundheitsfragen wenden Sie sich bitte an Ihren Arzt oder Apotheker.



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