Zugvögel: Genauer Kilometerstand
Früher hatte man vermutet, dass es ungünstige Wettereinflüsse wären, die Zuvögel von ihrer ursprünglichen Route abbringen. Neue Erkenntnisse stützen dagegen die Hypothese, dass die verirrten Zugvögel durch einen Fehler im „genetischen Zugprogramm“ in das falsche Überwinterungsgebiet geraten.
Ornithologen und Ökologen der Universität Marburg, der Ornithologischen Gesellschaft in Bayern und des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung haben sich mit diesen „Irrläufern“, die beispielsweise ins nördliche Sibirien hätten fliegen müssen, aber bei uns in Europa gelandet sind, befasst. Dabei stellten sie fest, dass die Entfernung zwischen den Brutrevieren in Sibirien und den Überwinterungsquartieren im südlichen Asien häufig der Entfernung nach Europa gleicht. Fazit: Zugvögel verirren sich in der Richtung, nicht aber in der Entfernung.
Ausgewertet wurden mehrere tausend Meldungen von nach Europa verirrten asiatischen Vögeln aus den Familien der Laubsänger und Drosseln. Für 38 Zugvogelarten wurden das Körpergewicht, die Flügellänge, die Größe des Brutgebietes, die Distanz zwischen dem Brut- und Überwinterungsgebiet sowie die Distanz zwischen dem Brutgebiet und Mitteleuropa aufgenommen. Als Quelle dienten die im „Handbuch der Vögel Mitteleuropas“ aufgelisteten und damit gut abgesicherten Nachweise seit dem Beginn der ornithologischen Aufzeichnungen.
Acht Arten aus der Familie der Laubsänger und sechs Arten aus der Familie der Drosseln fielen dabei als Irrgäste auf. Besonders häufig wurde der Gelbbrauenlaubsänger (Phylloscopus inornatus) beobachtet, der in den Jahren 1836-1991 rund tausendmal von ehrenamtlichen Ornithologen in Mitteleuropa gemeldet wurde. Diese Art brütet in der sibirischen Taiga südlich des Polarkreises und fliegt zum Überwintern in die Subtropen und Tropen Südostasiens. Die übrigen asiatischen Laubsängerarten wurden deutlich seltener oder überhaupt nicht in Mitteleuropa beobachtet. Dagegen tauchten gleich fünf Drosselarten mit knapp 100 Meldungen auf.
Irrflieger nicht „vom Winde verweht“, sondern falsch programmiert
Wenn Wettereinflüsse die Ursache für Irrgäste wären, dann müssten kleinere Vögel häufiger „vom Winde verweht“ werden als größere. Die Forscher konnten jedoch mit Hilfe statistischer Analysen keinen Zusammenhang zwischen der Häufigkeit der Irrgäste und deren Körpergröße nachweisen. Zudem tritt der Gelbbrauen-Laubsänger viel zu regelmäßig auf, als dass für jede Beobachtung in Mitteleuropa „ungewöhnliche“ Wetterverhältnisse auf dem Zugweg verantwortlich gemacht werden könnten.
In Europa landen oft Arten, die in Asien ein großes Verbreitungsgebiet haben und so häufig sind wie hierzulande ihre Verwandten Zilpzalp und Fitislaubsänger. „Je mehr Exemplare es von einer Art gibt, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich darunter ein ‚Fehlprogrammierter’ befindet“, so Jutta Stadler vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Halle/Saale. „Sie fliegen die Strecke nicht in die übliche, sondern in entgegen gesetzter Richtung und kommen so in Europa an.“
Zugvögel können sich innerhalb weniger Generationen an veränderte Umweltbedingungen anpassen. Ihre Gene sorgen für die so genannte Zugunruhe, die die meisten von ihnen über tausende Kilometer in die Überwinterungsquartiere führt. Trotzdem war es lange Zeit ein Rätsel, weshalb sich einzelne Exemplare von bestimmten Arten immer wieder verirrten.
„Dort kommt es einfach zu Fehlern im Ablauf des genetischen Programms, die dazu führen, dass der Vogel sozusagen statt nach rechts nach links abbiegt. Die Irrgäste sind mit Geisterfahrern auf der interkontinentalen Zugvogelautobahn vergleichbar“, so Robert Pfeifer, Generalsekretär der Ornithologischen Gesellschaft in Bayern e.V. „Man kann davon ausgehen, dass es für den Großteil der Vögel eine Reise ohne Wiederkehr ist. Es gibt zwar Hinweise, dass einzelne Vögel versuchen, in Südeuropa zu überwintern, aber die Rückwanderung nach Asien schafft wohl keiner von ihnen. Wiederfunde beringter Vögel, die über deren Verbleib Auskunft geben könnten, gibt es nicht.“ (jel)
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