Bald 300 Gigawatt Windkraft in der Nordsee? – Physiker: „Ein riesen Blödsinn“
Dass die Bundesregierung die Windkraft an Land massiv ausbauen will, ist bekannt. Nun will sie auch die Windkraft zu Wasser mindestens ebenso umfangreich ausbauen. In der Nordsee plant die Ampelkoalition, die Leistung der Offshore-Windkraftanlagen bis zum Jahr 2030 mehr als zu verdreifachen. Bis 2045 soll es sogar mehr als das Achtfache sein.
Das sieht eine Erklärung vor, die Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Montag, 24. April, bei einem Gipfeltreffen in der belgischen Hafenstadt Ostende unterzeichnete. Insgesamt neun europäische Länder vereinbarten dort einen massiven Ausbau ihrer Offshore-Windleistung, um „klimaneutral“ und noch unabhängiger von Russland zu werden.
Von 8 auf 66 Gigawatt
Die „Erklärung von Ostende“, auf die sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und acht weitere europäische Staats- und Regierungschefs einigten, sieht ambitionierte Ziele vor. Bis 2050 soll die gemeinsame Offshore-Leistung „auf mindestens 300 Gigawatt (GW) mehr als verdoppelt“ werden im Vergleich zu den bisherigen Plänen. Die Nordsee soll künftig das „grüne Kraftwerk Europas“ sein und Millionen Haushalte mit Strom versorgen können.
Deutschland wird bis 2030 mindestens 26,4 GW Offshore-Windenergie und bis 2045 dann 66 GW in der Nordsee errichten.“
So heißt es in der von Habeck unterschriebenen Erklärung der Energieminister. Bisher hat Deutschland rund 8 GW Leistung installiert. Verteilt auf über 1.500 Windräder leistet jedes im Schnitt gut fünf Megawatt.
Mit Dänemark, den Niederlanden und Belgien plant Deutschland zudem einen gemeinsamen Offshore-Windpark. Dies soll laut Scholz zu dem deutschen Ziel beitragen, bis 2045 „klimaneutral“ zu wirtschaften. Die Windenergie auf See habe „dafür ein ganz ganz großes Potenzial“, betonte er in Ostende.
Als „klimaneutral“ bezeichnet die Bundesregierung das Vorhaben, erzeugte CO₂-Emissionen etwa durch die Förderung international anerkannter Klimaschutzprojekte auszugleichen. Das zu 0,04 Prozent in der Atmosphäre vorkommende Gas ist jedoch ein Grundbaustein des Lebens. Den Großteil davon erzeugt die Natur selbst. Ein Blick auf die erdgeschichtlichen Daten zeigt zudem, dass der CO₂-Anteil in der Atmosphäre keinen erkennbaren Einfluss auf die globale Temperatur hat.
Scholz: Bisheriger Ausbau war zu langsam
Zugleich erklärte Scholz: „Der Ausbau der Windenergie an Land und auf hoher See ist in den letzten Jahren nicht mit dem Tempo vorangegangen, das wir gebraucht hätten.“ Auf deutscher und europäischer Ebene würden deshalb viele Gesetze geändert, „um genau dieses Tempo zu erreichen“.
An dem Gipfel nahmen Deutschland, Belgien, Dänemark, die Niederlande, Großbritannien, Irland, Frankreich, Norwegen und Luxemburg teil. Die Teilnehmerländer sind bei der Offshore-Windenergie sehr weit voneinander entfernt. An der Spitze steht Großbritannien mit rund 14 Gigawatt Leistung im vergangenen Jahr, Schlusslicht ist die Atomnation Frankreich mit lediglich 0,5 Gigawatt.
Prof. Lüdecke: „Ein riesen Blödsinn“
Einige Fachleute kritisieren jedoch den geplanten Ausbau der Offshore-Windenergie in der Nordsee. So auch Prof. Horst-Joachim Lüdecke. Auf Anfrage teilte uns der Diplomphysiker mit, dass das Vorhaben der EU-Länder „ein riesen Blödsinn“ ist.
Dabei entstünde nur noch mehr Flatterstrom, also stärkere Stromschwankungen durch plötzliches Absinken oder plötzliche Zunahme der verfügbaren Strommenge durch Wind. Das Netz wird dadurch instabiler. „Mindestens 30 bis 40 Prozent der Energie muss immer durch Grundlastkraftwerke gedeckt sein, sonst knallt alles zusammen“, erklärt Lüdecke.
Die Frage, ob die windigen Pläne der Staaten – besonders der von Deutschland – zur Versorgungssicherheit beitragen, beantwortete der Physiker mit einem „eindeutigen Nein“. „Wenn es hierzulande Stromspeicher gäbe, dann könnten zusätzliche Windräder diese mehr füllen, aber die haben wir nicht.“ Im Jahresschnitt stammt rund 24 Prozent der elektrischen Energie in Deutschland von der Windkraft. An der tatsächlichen Gesamtenergie (oder Primärenergie) hat die Windkraft lediglich einen Anteil von rund drei Prozent. Das ist laut Lüdecke nicht wirklich viel, wenn man überlegt, dass „schon ganz Deutschland verspargelt ist.“
Bis zu 50.000 Windanlagen in der Nordsee
Ebenso nahm ein früherer Pionier der Offshore-Windkraftnutzung für Epoch Times Stellung zum Thema. Er wünschte, anonym zu bleiben. Auf die Anfrage antwortete er: „Natürlich ist dieses Vorhaben maßlos überzogen. Es bringt uns in enorme Abhängigkeiten von Seltenen Erden aus China, die 90 Prozent des Weltmarktes besitzen.“
300 GW bedeute insgesamt 40.000 bis 50.000 Anlagen in der Nordsee. Jede einzelne Anlage benötige 30 Tonnen Kupfer. Das seien 800 Milliarden Euro, um einen bestehenden Teil der Energieversorgung zu ersetzen! Gleichzeitig verkünde die Windindustrie bereits, dass sie das ohne weitere Subventionen gar nicht bauen kann.
Zudem wies der Pionier auf einen wichtigen Effekt hin, der bei dem geplanten Großausbau entstehen dürfte. „Die flächendeckende Bestückung der Nordsee mit Windkraftanlagen führt dazu, dass sich die Windräder gegenseitig den Wind wegnehmen.“ Somit besteht die Gefahr, dass viele dieser Anlagen weitaus weniger leisten als andere und deutlich ineffizienter werden.
Allerdings sieht der Fachmann den wichtigeren Teil der Meldung von Ostende im Kleingedruckten. Norwegen und die EU vereinbaren Verfahren zur CO₂-Sequestrierung (Deponierung von Kohlendioxid im tieferen Untergrund) in norwegischen Gasfeldern.
Hier entwickelt sich etwas, das bei Weitem wirtschaftlicher ist als Windenergie: CCS (Carbon Capture and Storage), um CO₂ aus fossilen Kraftwerken abzuscheiden.“
Von der Leyen auch auf blauem Teppich
Auch EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen schritt in Ostende über den blauen statt wie üblich roten Teppich. Sie sagte, die ehrgeizigen Offshore-Pläne brächten „Wind in die Segel, während wir Kurs auf die Klimaneutralität nehmen“. Die EU will bis 2050 klimaneutral werden, ebenso wie Großbritannien.
Von der Leyens Behörde hatte die nötigen Finanzmittel für das Ausbauziel 300 GW zuletzt auf 800 Milliarden Euro beziffert. Der Branchenverband WindEurope drängt auf milliardenschwere Finanzhilfen der öffentlichen Hand.
„Nicht wenige Mittel fließen in die Innovation, aber auch in existierende Produktionsstrukturen muss investiert werden, um die Kapazität zu verdoppeln oder zu verdreifachen“, sagte Politikreferent Pierre Tardieu der Nachrichtenagentur AFP. An dem Gipfel nahmen mehr als 120 Unternehmen und andere Partner teil.
NATO soll Sicherheit der Anlagen gewährleisten
„Ich bin der einzige ohne Meer, dafür bringe ich das nötige Kleingeld mit“, scherzte der luxemburgische Regierungschef Xavier Bettel. Er unterstütze „jedes Projekt, das eine Alternative zur Atomkraft ist“, sagte er in einem Seitenhieb gegen den französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Diesen holten sogar in Ostende die Proteste gegen seine Rentenpolitik ein: „Wir sind hier“, skandierten rund 50 topfschlagende Franzosen.
Der belgische Ministerpräsident Alexander De Croo nannte auch die Sicherheit ein wichtiges Gipfel-Thema. „Offshore-Windanlagen, Pipelines und Unterseekabel sind Spionage und Sabotage ausgesetzt“, sagte er unter Anspielung auf die Explosionen an den beiden Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee im vergangenen Jahr. Dafür ist eine engere Zusammenarbeit mit der NATO geplant.
Zum Auftakt hatten die Gipfelteilnehmer das knallrot lackierte Hochseeversorgungsschiff „Connector“ in Augenschein genommen, das im Hafen von Ostende vor Anker liegt. Der Gipfel sollte am Montagabend mit einem Arbeitsessen enden.
„Drehkreuz für erneuerbare Energien“
Der Forscher Simone Tagliapietra von der Brüsseler Denkfabrik Bruegel hält es für den richtigen Ansatz, die für die Region typischen stetigen Winde in erneuerbare und bezahlbare Energie für Millionen von Haushalten umzuwandeln.
Die Nordsee habe das Potenzial, ein „Drehkreuz für erneuerbare Energien“ zu werden. Dafür müsse die Politik aber um Investitionen aus dem Privatsektor werben und zugleich selbst in Infrastruktur wie Stromnetze investieren, Anforderungen vereinfachen und Genehmigungen schneller erteilen.
„Ich denke, dass die Ziele an sich ehrgeizig sind, aber das ist die Art von Ehrgeiz, die wir in Europa brauchen, wenn wir Netto-Null erreichen wollen“, sagte Tagliapietra. Die EU will bis 2050 klimaneutral werden.
(Mit Material der Agenturen)
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