Forscher fordern Regulierung von Luft „wie Trinkwasser und Lebensmittel“

Experten für die Ausbreitung von Krankheitserregern fordern strengere Vorschriften und Kontrolle der Luft in Gebäuden – ähnlich wie Trinkwasser und Lebensmittel. Der nötige Paradigmenwechsel, „um die nächste Pandemie zu verhindern“, käme der Einführung sauberer Wasserversorgung und zentralisierter Abwassersysteme im 19. Jahrhundert gleich.
Epoch Times19. Mai 2021

Seit Jahrzehnten investieren Regierungen weltweit einen großen Teil der Gesetzgebung und Ressourcen in die Lebensmittelsicherheit, Hygiene und Trinkwasserqualität für die öffentliche Gesundheit. Das Gleiche kann jedoch nicht für die Luftqualität in öffentlichen Innenräumen gesagt werden. Führende Experten auf dem Gebiet der Übertragung von Krankheitserregern über die Luft fordern daher strengere Vorschriften zur Kontrolle der Luftqualität in Gebäuden.

Luft in Gebäuden ist Gemeinschaftsluft“, sagte Prof. Shelly Miller, Professorin für Maschinenbau und Umwelttechnik der Universität von Colorado in Boulder. „Sie ist kein privates Gut, sondern ein öffentliches Gut. Und wir müssen anfangen, es auch so zu behandeln.“

Gemeinsam mit 38 weiteren Autoren verschiedener Universitäten fordert Prof. Miller in einem Mitte Mai in der Fachzeitschrift „Science“ veröffentlichten Artikel einen „Paradigmenwechsel“ bei der Bekämpfung von luftübertragenen Krankheitserregern, einschließlich SARS-CoV-2.

Darüber hinaus fordern die Autoren die allgemeine Anerkennung, dass Atemwegsinfektionen durch die Verbesserung von Belüftungssystemen in Innenräumen verhindert werden können. Schließlich, um die nächste Pandemie zu verhindern, müsste man „die Luft wie Nahrung und Wasser regulieren“.

Luft als Problem verstehen

Bereits im Spätsommer 2020 unterzeichneten 239 Wissenschaftler, unter ihnen Prof. Miller, einen offenen Brief an die medizinischen Gemeinschaften und die Regierungsbehörden, in der sie das potenzielle Risiko der Übertragung von SARS-CoV-2 durch die Luft hinwiesen. Anfang Mai 2021 aktualisierte die WHO ihre Website dahingehend, dass SARS-CoV-2 überwiegend durch die Luft verbreitet wird.

Nun fordern die Forscher die WHO und andere Leitungsgremien auf, ihre Richtlinien für die Luftqualität in Innenräumen um luftgetragene Krankheitserreger zu erweitern und die Notwendigkeit anzuerkennen, die Gefahren der luftgetragenen Verbreitung von Atemwegsinfektionen zu kontrollieren. Die Forscher fordern außerdem, nationale, umfassende Standards für die Luftqualität in Innenräumen (IAQ) zu entwickeln. Diese müsste man in allen Ländern durchsetzen – aber auch der Öffentlichkeit zugänglich machen.

Der Mensch des 21. Jahrhunderts verbringt die meiste Zeit in Innenräumen, aber die Luft, die wir innerhalb von Gebäuden einatmen, wird nicht im gleichen Maße reguliert wie die Nahrung, die wir essen und das Wasser, das wir trinken, so die Forscher. Doch auch „Luft kann Viren enthalten, genauso wie Wasser und Oberflächen“, sagte Prof. Miller. „Wir müssen verstehen, dass das ein Problem ist und dass wir […] Ansätze haben müssen, um das Risiko zu mindern und die möglichen Expositionen zu reduzieren, die durch die Ansammlung von Viren in der Innenraumluft entstehen können.“

Eine solche Verschiebung der Belüftungsstandards sollte einen Effekt in der Größenordnung haben wie der Sanitary Report von Chadwick von 1842, der Städte veranlasste, eine saubere Wasserversorgung und zentralisierte Abwassersysteme zu organisieren. Zudem würde es auch einen großen wissenschaftlichen Irrtum korrigieren, der etwa zur gleichen Zeit aufkam.

Übertragungswege: Eine historische Fehleinschätzung

Als in den 1850er-Jahren in London Menschen an Cholera starben, nahmen Wissenschaftler an, dass die Krankheit durch die Luft übertragen wurde. Der britische Arzt John Snow entdeckte, dass Mikroorganismen in verunreinigtem Wasser die Ursache waren.

In ähnlicher Weise zeigte der ungarische Arzt Ignaz Semmelweis, dass das Händewaschen vor der Geburt eines Babys die Infektionen nach der Geburt stark reduziert. Obwohl diese Entdeckungen zu ihrer Zeit auf großen Widerstand stießen, waren sich die Wissenschaftler schließlich einig, dass in diesen Fällen Wasser und Hände – und nicht die Luft – der Überträger der Krankheit waren.

Anfang des 20. Jahrhunderts führte der amerikanische Gesundheitsexperte Charles Chapin Atemwegsinfektionen, die er sich in unmittelbarer Nähe zu anderen Menschen einfing, fälschlicherweise auf große Tröpfchen zurück, die eine infizierte Person produzierte und die schnell zu Boden fielen. Infolgedessen erklärte er, dass eine Übertragung über die Luft fast unmöglich sei.

Doch 1945 veröffentlichte der Wissenschaftler William Wells einen Artikel in der Vorgängerausgabe von „Science“ und beklagte, dass wir zwar in die Desinfektion von Wasser und die Reinhaltung unserer Lebensmittel investierten, aber nichts für unsere Raumluft getan hätten, da eine Übertragung über die Luft nicht möglich sei. Seine Forschungen zu Masern und Tuberkulose – deren Erreger sich über die Luft verbreiten – stellten diese Vorstellung im 20. Jahrhundert in Frage, konnten sie aber nicht zerstören.

Historisch gesehen haben sich die Vorschriften für die öffentliche Gesundheit auf Hygiene, Trinkwasser und Lebensmittelsicherheit konzentriert, während das Risiko durch luftgetragene Krankheitserreger, ob es sich nun um Grippe oder COVID-19 handelt, „in Bezug auf die Luft, die wir einatmen, ziemlich schwach, wenn überhaupt, in Form von Vorschriften, Standards und Gebäudedesign und -betrieb angesprochen wird“, so die Wissenschaftler.

Maßnahmen würden auch andere Luft-Schadstoffe reduzieren

Mit dem heutigen Wissen, dass viele Atemwegserkrankungen über die Luft übertragen werden können, argumentieren die Forscher, dass wir handeln müssen. „Lassen Sie uns jetzt keine Zeit bis zur nächsten Pandemie verschwenden“, sagte Millers Kollege und Koautor Prof. Jose-Luis Jimenez.

„Im 21. Jahrhundert müssen wir die Grundlagen schaffen, um sicherzustellen, dass die Luft in unseren Gebäuden sauber ist, mit einer deutlich reduzierten Anzahl von Krankheitserregern, was zur Gesundheit der Gebäudenutzer beiträgt – genauso wie wir es für das Wasser erwarten, das aus unseren Wasserhähnen kommt“, ergänzte Hauptautorin Prof. Lidia Morawska, Direktorin des Internationalen Labors für Luftqualität und -gesundheit der Technischen Universität Queensland.

Außerdem brächten „Maßnahmen zur Verbesserung der Belüftung, um die Exposition gegenüber luftgetragenen Krankheitserregern zu reduzieren […] Vorteile mit sich.“ Auch andere Luft-Schadstoffe könnten reduziert werden. Unternehmen könnten außerdem von weniger Ausfällen aufgrund Atemwegsinfektionen und „Sick-Building-Syndrom“ profitieren.

Jahrzehntelang lag der Fokus von Architekten und Bauingenieuren auf thermischem Komfort [Heizung und Kühlung], Geruchskontrolle, wahrgenommener Luftqualität, anfänglichen Investitionskosten, Energieverbrauch und anderen Leistungsaspekten, während die Infektionskontrolle vernachlässigt wurde“, sagte Prof. Morawska.

Kosten: Eine moderne Fehleinschätzung

Mit wenigen Ausnahmen bestimmter Produktions-, Forschungs- und medizinischer Einrichtungen stand die Ausbreitung von Krankheiten bislang nicht im Mittelpunkt von Gebäudebelüftungssystemen. Während es also Sicherheitsrichtlinien für Chemikalien wie Kohlenmonoxid gibt, gibt es derzeit keine Richtlinien oder Standards für die Eindämmung von Bakterien oder Viren in der Raumluft, die durch menschliche Aktivitäten entstehen.

In diesem Zusammenhang stellen die Forscher insbesondere das Argument in Frage, dass die Kosten für die Kontrolle der Luftqualität in Gebäuden unerschwinglich wären. Selbst nach konservativen Schätzungen belaufen sich die weltweiten Kosten der Corona-Krise auf eine Billion Dollar. Obwohl eine detaillierte wirtschaftliche Analyse noch ausstehe, deuteten Schätzungen darauf hin, dass die notwendigen Investitionen die Baukosten eines typischen Gebäudes lediglich um etwa ein Prozent erhöhen.

„Nichts davon bedeutet, dass jeder Innenraum eine Biosicherheitseinrichtung werden sollte“, schreiben die Wissenschaftler in ihrem Artikel. „Es bedeutet, dass ein Gebäude entsprechend seinem Zweck und den dort durchgeführten Aktivitäten so gestaltet und betrieben werden sollte, dass das luftgetragene Infektionsrisiko unter einem akzeptablen Niveau gehalten wird.“

Laut Prof. Morawska sollten Lüftungssysteme zudem bedarfsgesteuert sein, um sich an unterschiedliche Raumbelegungen und unterschiedliche Aktivitäten und Atemfrequenzen anzupassen. Zum Beispiel müsste man ein Fitnessstudio anders belüften als einen Kinosaal. Andererseits dürfte man einen (leerstehenden) Kinosaal nicht dauerhaft wie ein Fitnessstudio belüften, denn bereits jetzt verbrauchen Gebäude weltweit mehr als ein Drittel der Energie.

Ein Großteil davon entfalle auf Erwärmung oder Kühlung der Außenluft, wenn diese in die Innenräume gebracht wird. Es sei daher sinnvoll, einen „Pandemie-Modus“ zu entwickeln, der es den Gebäuden ermöglicht, nur dann mehr Energie zu verbrauchen, wenn es notwendig ist, so Prof. Jimenez. (ts)

(Mit Material der Amerikanischen Gesellschaft für den Fortschritt der Wissenschaft (AAAS), der Universität Colorado Boulder und der Universität Leeds)



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