Vettels Entfremdung von der Formel 1: «Ich bin ein Purist»
Die Formel 1 ist Sebastian Vettel fremd geworden. Deutlicher als nach dem denkwürdigen Grand Prix von Kanada hätte der Bruch zwischen dem viermaligen Weltmeister und der Königsklasse des Motorsports nicht offengelegt werden können.
Die Generalabrechnung Vettels mit der modernen Formel 1 warf zwangsläufig die Frage nach der Zukunft des Deutschen auf. „Ich bin nicht bereit für diese Art von Frage“, entgegnete der 31-Jährige auf der Pressekonferenz des Weltverbands, nachdem er seine Wut über eine fatale Zeitstrafe gedämpft hatte. „Ich habe einfach das Gefühl, dass wir heutzutage auf so viele Dinge schauen, auf die wir in der Vergangenheit vielleicht nicht geschaut haben, weil niemand viel Aufhebens darum gemacht hat.“
Der Auslöser für Vettels Rundumschlag war seine Fünf-Sekunden-Strafe nach einem harten Manöver gegen Lewis Hamilton, die den Deutschen seinen ersten Formel-1-Sieg nach mehr als neun Monaten kostete. Nachdem sein Zorn leicht abgekühlt war, wurde vor allem Vettels Unbehagen mit der modernen Formel-1-Welt deutlich. Fluchtpunkt für den Zimmermannssohn aus Heppenheim ist die Nostalgie.
„Ich bin ein Purist, ich liebe es zurückzugehen und auf die alten Zeiten zu schauen, die alten Wagen, die alten Fahrer“, schwelgte Vettel in Erinnerungen. Nur zu gerne würde er in der Formel 1 wieder den Menschen vor die Maschine stellen. Von Telemetrie, also der mobilen Datenübertragung zwischen den Autos und den Super-Computern in den Garagen und Rennfabriken, hält Vettel im Grunde nichts, wie er einmal einräumte. Er würde zum Beispiel die manuelle Schaltung wieder einführen, die Motoren sollten außerdem wieder lauten röhren.
Ein Gegner des Fortschritts, das hat er in der Vergangenheit auch schon mehrfach betont, sei er keineswegs. Auch wenn er zum Beispiel sozialen Medien nichts abgewinne und auch sein Smartphone eher spärlich nutze. Von der aktuellen Formel 1 rückt Vettel, der seinen bisher letzten WM-Titel 2013 gewonnen hat, aber ab. „Das ist nicht der Sport, in den ich mich verliebt habe“, lautete seine persönliche Beschreibung des Status Quo in der Rennserie. „Wir klingen ein bisschen wie Anwälte, benutzen die offizielle Sprache. Das bringt doch den Menschen und auch dem Sport nichts.“
Vettel wertete sein Manöver in Kanada als gewöhnlichen Rennvorfall, also als etwas, das nicht hätte geahndet werden dürfen. „Pure Racing“, echtes Rennfahren, würden das Puristen wohl nennen. „Eine Menge der alten Formel-1-Fahrer und die Leute auf den Tribünen“ würden ihm recht geben, meinte Vettel. Die Rennkommissare sahen die Aktion aber als Gefährdung von Hamilton an. „Die Auslegung entsprach den Regeln“, sagte Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff. In der Debatte über die Regelreform ab 2021 zeigte er sich offen für Gespräche über „härteres Rennfahren“, solange der Weltverband FIA die Sicherheitsstandards eingehalten sehen würde.
Vettel debütierte in der Formel 1 im Jahr 2007, viermal in Folge holte er mit Red Bull die WM. Seit 2015 jagt er vergeblich dem Titeltraum mit Ferrari hinterher, jenem Team, das sein Idol Michael Schumacher einst zum Seriengewinner machte. Vettels Vertrag bei der Scuderia läuft bis Ende 2020. Angeblich ist darin eine Option verankert, wonach der Kontrakt schon Ende dieses Jahres aufgelöst werden könnte.
Für 2021 plant Formel 1 eine Zäsur mit neuen Regeln, die unter anderem mehr Überholvorgänge und Rad-an-Rad-Duelle begünstigen sollen. „Ich bin sehr hungrig und habe hier eine Mission, um zu gewinnen“, betonte Vettel zu Beginn des Grand-Prix-Wochenendes in Montréal, als das weiter abgekühlte Verhältnis zur High-Tech-Formel-1 noch nicht im Vordergrund stand. In knapp zwei Wochen steht das nächste Rennen an. In Frankreich wird sich Vettel dann wieder zu seinem Beziehungsstatus äußern können. (dpa)
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