Olympische Sorgenfälle: IOC klammert sich an Tokio-Hoffnung
Im Kunstlicht saß der Doyen der olympischen Welt vor einer Bücherwand und sprach die derzeit einzige Gewissheit für den IOC-Präsidenten Thomas Bach in die Kamera.
„Für eine Wahlkampagne werden Sie nicht viel Zeit aufwenden müssen“, sagte das dienstälteste IOC-Mitglied Richard Pound in seinen Schlussworten zur Generalversammlung des Internationalen Olympischen Komitees. Doch so sicher wie die Wiederwahl von Bach, der seine erneute Kandidatur für das höchste Sportamt verkündet hatte, so ungewiss sind die Aussichten für den olympischen Sport und vor allem die auf 2021 verlegten Sommerspiele in Tokio.
„Wir wissen einfach nicht, wie die Bedingungen in einem Jahr sein werden“, rief der 78 Jahre alte Kanadier Pound dem Ringezirkel zu, dessen 136. Session wegen der Corona-Pandemie erstmals als Videoschalte organisiert worden war. „Der Fakt, dass wir uns nicht persönlich treffen können, zeigt die beispiellose Situation, in der wir uns befinden“, stellte auch Bach fest.
In einer an Tiefschlägen und Krisen schon reichen Präsidentschaft steckt der 66-Jährige nun mitten in seiner wohl schwersten Prüfung. Der Skandal um das russische Staatsdoping, die Affären um Korruption hochrangiger Funktionäre, der Verdacht gekaufter Olympia-Vergaben und die an Bürgerbefragungen gescheiterten Olympia-Bewerbungen – all das gerät durch die Folgen der Coronavirus-Pandemie in den Hintergrund.
Mit finanziellen Nothilfen in Höhe von hunderten Millionen Euro für internationale Verbände, Nationale Olympische Komitees und die Sportlerförderung will Bachs IOC den Sportbetrieb retten. Der IOC-Chef preist die Bedeutung des Sports für die „Post-Corona-Welt“ und geißelt politische Einflussnahme. Doch die größte aller Fragen kann auch Bach derzeit nicht beantworten: Ist Olympia in Tokio als Mega-Spektakel und größte Geldmaschine des IOC wirklich zu retten?
„In vielen Ländern weiß man ja noch nicht einmal, wie die Vorschriften für morgen sind, ob man eine Maske tragen muss oder nicht. Wie soll man da alle Details für das komplexeste Ereignis der Welt in einem Jahr kennen?“, erklärte Bach die Notlage der Olympia-Macher. Und so müssen sich Olympioniken und Sportfans auf eine lange Geduldsprobe einstellen.
Frühestens im Herbst wollen die Tokio-Organisatoren konkretere Pläne vorlegen, wie Sommerspiele aussehen könnten, wenn die Pandemie noch nicht überwunden ist. Angesichts steigender Infektionszahlen in Japan und mit Blick auf die besorgniserregenden Fallzahlen in großen Sportnationen wie den USA oder Brasilien und auch in Afrika ist derzeit kaum vorstellbar, wie Olympia mit Athleten und Fans aus aller Welt im nächsten Jahr funktionieren soll. Zumal in den kommenden Monaten noch eine Vielzahl internationaler Qualifikationswettkämpfe ausgetragen werden müsste.
Noch aber setzt das IOC alle Hoffnungen in einen Impfstoff und ein rechtzeitiges Ende der Corona-Krise. „Die Olympischen Spiele können ein einzigartiger Meilenstein für die gesamte Welt sein“, sagte Bach. Immer wieder hat der Tauberbischofsheimer zuletzt die symbolische Wirkung von Spielen beschworen, die als erstes Großereignis nach einem Sieg über das Virus die Weltgemeinschaft wieder zusammenbringen sollen.
Auch am ursprünglichen Termin der Tokio-Spiele in diesem Sommer hatten Bach und die Gastgeber lange festgehalten und dafür heftige Kritik geerntet. Eine erneute Verschiebung haben der IOC-Chef und die Japaner schon ausgeschlossen. Mit dem gleichen Programm in den gleichen Arenen, wie eigentlich geplant, werde Olympia 2021 ausgetragen, verkündeten die Organisatoren jetzt. Alles oder nichts. (dpa)
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