Marathon-Rekordmann Petros sucht seine Familie

Wenn Amanal Petros lacht, dann blitzen seine braunen Augen. Doch derzeit drücken den jungen Mann, der vor knapp neun Jahren als Flüchtling nach Deutschland kommt, große Sorgen.
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Marathonläufer Amanal Petros kam im Januar 2012 nach Deutschland.Foto: Roland Weihrauch/dpa/dpa
Epoch Times23. Dezember 2020

Wenn Deutschlands schnellster Marathonläufer an seine Heimat denkt und über seine Familie spricht, dann mischen sich Trauer und Verzweiflung in seine Stimme. Und manchmal Wut. Dann wird Amanal Petros ganz leise.

Seit fast acht Wochen schon hat der 25-Jährige nichts von seiner Mutter und seinen beiden jüngeren Schwestern gehört. Sie sind in den Wirren der äthiopischen Region Tigray verschollen, dort herrscht Krieg, Chaos, es gibt keinen Strom, kein Wasser. Das Krisengebiet ist von der Außenwelt abgeschnitten, fast 70.000 Äthiopier sollen schon ins Nachbarland Sudan geflüchtet sein. Dort will Petros seine Lieben nun suchen, irgendwie, irgendwo, er hat das Rote Kreuz eingeschaltet, auch deutsche Freunde helfen.

„Meine Familie ist ja ein Teil meines Lebens, da spüre ich auch große Schmerzen, ich mache mir große Sorgen. Es ist schlimm, was da passiert. Dort werden unschuldige Menschen getötet“, erzählt Amanal Petros in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Die drei Frauen könnten längst im Sudan sein, „ich weiß es aber nicht. Die Flucht an sich ist ja schon ein Risiko“, sagt der junge Mann. „Und auch für mich wäre das Risiko, dahin zu fahren, einfach zu groß.“

Laufen und leiden: Der Sport lenkt Petros ab, für ein paar Stunden kann er seine Sorgen und die Ungewissheit ausblenden. „Wenn ich laufe, dann vergesse ich alles, dann ist beim Training der Stress mal weg, dann bin ich wie befreit. Das tut mir gut“, sagt der in Eritrea geborene Mann, der in Äthiopien aufgewachsen und im Januar 2012 als Flüchtling aus Tigray nach Deutschland gekommen ist.

Am 6. Dezember hat Petros in Valencia den fünf Jahre alten deutschen Marathon-Rekord verbessert, um 75 Sekunden, auf 2:07:18 Stunden. Er trainiert fast jeden Tag, doch die Gedanken an seine Mutter und die Schwestern sind wie ein schmerzhafter Stachel. „Seit sieben Wochen habe ich keinen Kontakt mehr“, klagt Petros. Vor dem Krieg ging das noch täglich, über die sozialen Medien.

Am 27. Oktober 2015 wurde er eingebürgert, er muss da gar nicht nachgucken, diesen Tag wird er nie vergessen. Schon im Vorjahr erfüllte Petros die Olympia-Norm – gleich bei seinem ersten Marathon. Im kommenden Sommer will er in Japan erstmals bei einem olympischen Rennen über die klassischen 42,195 Kilometer starten.

Inzwischen ist Deutschland für Petros mehr als (s)eine zweite Heimat geworden. Hier hat er viele Freunde gefunden, beim TV Wattenscheid 01 betreut ihn seit drei Jahren der erfahrene Trainer Tono Kirschbaum; er ist auch väterlicher Berater. „Meine Freunde waren für mich hier wie eine Familie. Ich habe in Deutschland Sport gemacht, um die Sprache zu lernen, um Menschen kennenzulernen – auch die Kultur und die Mentalität“, erzählt der Leichtathlet.

„Dass er ein Juwel ist, das war ja schon damals zu sehen“, sagt Kirschbaum über seinen Schützling, der bis 2018 auf der Bahn und der Straße auf den Strecken zwischen 3000 und 10.000 Meter unterwegs war. „2019 haben wir dann die Ente zu Wasser gelassen und geguckt, wie es im Marathon läuft“, sagt der 66-Jährige. Und es läuft.

„Amanal arbeitet knallhart für den Marathon, dabei zeichnet ihn eine große Disziplin aus. Er ist ein Heißsporn und scheut sich nicht, auch mal an die Spitze zu gehen“, sagt Trainer Kirschbaum. „Und sein Potenzial ist weiß Gott noch nicht ausgereizt.“ Er traut Petros eine Zeit „im 2:05er-Bereich“ zu.

Lachend und in fast perfektem Deutsch sagt Petros: „Da geht noch was, absolut, keine Frage.“ Dafür trainiert der Marathon-Mann in Spitzenzeiten zwischen 180 und 200 Kilometer pro Woche. „Da bin ich positiv, dass ich den Rekord noch verbessern kann.“ In Gedanken ist er aber schon wieder in seiner Heimat, in Tigray. „Ich muss jetzt erst mal die Dokumente meiner Familie irgendwie an das Rote Kreuz in Sudan schicken, damit dann da jemand vor Ort recherchieren kann“, sagt er. „Obwohl das natürlich sehr schwierig ist, die Familie unter 70.000 Menschen zu suchen. Aber das ist meine einzige Hoffnung.“

Sich selbst auf die Suche zu machen, hält er für sinnlos. „Nach Tigray darf ich ja gar nicht reisen. Das wäre auch gefährlich, ich könnte dort erkannt und sofort verhaftet werden“, erzählt Petros. Nur ein einziges Mal – nach der Leichtathletik-EM 2018 in Berlin – konnte er seine Familie seit 2012 besuchen. „Da wurde die Grenze zwischen Eritrea und Äthiopien geöffnet: da bin ich sofort hingeflogen“, erzählt Petros. „Wenn ich Kontakt zu meiner Familie hätte, das wäre ein riesengroßes Geschenk – das schönste Weihnachtsgeschenk.“

In Äthiopien wird Weihnachten erst am 7. Januar begangen. Zwei Wochen früher wird Petros den Heiligen Abend im Kreis von Freunden verbringen; ein paar Geschenke hat er auch schon für sie gekauft. Und wie immer werden sie ihn nur „Aman“ nennen, das ist sein Spitzname – und irgendwie auch ein Symbol der Hoffnung: „In meiner Muttersprache bedeutet Aman „alles ist gut“.“ (dpa)



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