Löw kämpft um neuen Kredit: Holland als Warnung
Die Ausgemusterten sind weiter entsetzt, auch wenn Mats Hummels noch im Hintergrund einer großen Zeitungsanzeige des neuen DFB-Sponsors VW lächelt.
Die Bayern beklagen schlechten Stil, und sogar enge Begleiter von Joachim Löw wundern sich: Der 59-Jährige ist in seiner 13. Saison als Bundestrainer noch unberechenbarer geworden, als er es ohnehin schon war. Mit einer von ihm bisher nicht gekannten Radikalität hat Löw die aus der Weltspitze gestürzte deutsche Fußball-Nationalmannschaft und auch sich selbst zurück in die landesweiten Diskussionen gebracht.
„Da sind sicherlich einige Dinge nicht so gut gelaufen“, befand Bayern-Präsident Uli Hoeneß. „Deswegen können wir aber nicht den Stab über Jogi Löw brechen“, schloss der einflussreiche Münchner bei Magenta Sport an. Auf jeden Fall steht dem Dauerbundestrainer ein unruhiger Start in das neue Länderspieljahr bevor.
Lange wehrte sich Löw gegen einen rabiaten Umbruch. „Ich weiß, dass einige einen ganz radikalen Schnitt einfordern“, hatte der Schwarzwälder noch nach der völlig verpatzen WM im Sommer 2018 und trotz des weiteren Rückschlags in der neuen Nations League erklärt. Doch erst nach den deutlichen Hinweisen, dass es auch um seinen Job gehen kann, stellte Löw im Teamgefüge von Erfahrung auf jugendlichen Tatendrang um. Das hatte er schon einmal 2017 getan, war nach dem Confed-Cup-Sieg in Russland mit einer neuen Spielergeneration aber in Loyalität zu seinen Weltmeistern von 2014 zurückgerudert.
Sein Credo lautete jahrelang: Nur mit jungen Spieler geht es nicht. „Eines darf niemand vergessen: Ich brauche immer noch Erfahrung und den guten Mix. Denn die Jungen brauchen Halt und Orientierung“, sagte Löw noch zum Jahreswechsel 2018/19. Zweieinhalb Monate und kein weiteres Länderspiel später befand er, dass die langjährigen Stammkräfte Thomas Müller (29), Mats Hummels (30) und Jérôme Boateng (30) den Ansprüchen des Neubeginns nicht mehr genügen. Er musterte sie mit Hinweis auf „ein deutliches Signal der Erneuerung“ aus. Nach langem Schlingerkurs kämpft Löw mit der Demonstration der Stärke auch für sich selbst.
Denn nicht erst die heftigen Reaktionen auf die jüngste sportliche Entscheidung, die viele Experten durchaus nachvollziehen können, verdeutlichten: Löws WM-Titelmacher-Kredit ist aufgebraucht. Er habe mit seiner Personalpolitik nun „auch eine große persönliche Verantwortung übernommen“, urteilte Bayerns Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge. Zwar führte der seit 2006 amtierende Bundestrainer die DFB-Elf 2016 nochmals ins EM-Halbfinale. Aber auch schon da musste er einige Fehleinschätzungen einräumen.
Ein Jahr Entwicklung nach dem WM-Triumph von Rio wurde im Titelrausch verschenkt, gestand Löw selbst. Den Leistungsverlust seiner WM-Helden wollte er lange nicht wahrhaben. Den Generationenkonflikt im Team nach dem Confed-Cup-Sieg der jungen Kräfte unterschätzte er. Löw griff vor der WM in Russland nur durch die Nichtnominierung von Leroy Sané in diesen ein. Das WM-Desaster in Russland begründete Löw auch damit, „fast schon arrogant“ an der eigenen Philosophie festgehalten und nicht auf internationale Trends reagiert zu haben.
Die Wirkung der anschließenden Nations League unterschätzte der erfahrene Fußball-Lehrer und verpasste den Moment der Erneuerung. Diesen Fehler versucht Löw nun mit Vehemenz zu korrigieren. „Dieser Umbruch verschafft ihm ein Stück Zeit“, sagte Rummenigge im ZDF. Denn bei voraussehbaren Schwankungen der neuen Vorzeigejahrgänge um Sané, Timo Werner und Serge Gnabry, die auch vom DFB-Sponsor bei den ersten Werbekampagnen deutlich in den Vordergrund gerückt wurden, kann Löw auf die nötige Entwicklungszeit verweisen.
„Man kann nicht auf Knopfdruck eine neue Mannschaft aus dem Boden stampfen, die sofort funktioniert“, hatte Löw geäußert. „Einen so großen Umbruch zu bewerkstelligen, das bringt Schwierigkeiten mit sich.“ Nur noch Kapitän Manuel Neuer (32) und Real-Madrid-Star Toni Kroos (29) sind als Führungskräfte der WM-Sieger von Rio de Janeiro übrig geblieben.
Nach der Verabschiedung des Bayerns-Trios muss Löw jetzt genau mit dem öffentlichen Anspruch des Sofort-Funktionierens rechnen, wenn Deutschland am 24. März beim Erzrivalen Holland in die Qualifikation für die EM 2020 startet. Vier Tage zuvor steht in Wolfsburg ein Test gegen Serbien an. Ein Auftritt in Amsterdam brachte Löw schon einmal in arge Bedrängnis. Nach dem 0:3 im Oktober des Vorjahres in der Nations League wurden Löw kritische Fragen zu seinem Job gestellt. Ein ähnliches Szenario will er diesmal unbedingt vermeiden.
Sechs Niederlagen brachte das Jahr 2018, mehr als je zuvor in 111 Jahren Länderspielgeschichte des DFB binnen zwölf Monaten. Mit größerer Verzögerung hat Löw nun den radikalen Schritt vollzogen – allerdings nur in seinem Kader. Im Trainer- und Funktionsteam gab es nur punktuelle Veränderungen.
Löw traut sich selbst – anders als den Spielern Hummels, Boateng und Müller – die Rolle als erfolgreicher Veränderer weiter zu. Der DFB hat ihm den Auftrag erteilt, ein Team zusammenzufügen, das 2020 wieder um den Titel mitspielen kann. Daran muss sich Löw nun völlig unabhängig von seiner Vertragslaufzeit bis zur WM 2022 messen lassen. (dpa)
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