Lektion für Flick: Belgien ein zu großes Kaliber für DFB-Elf
Noch vor dem Gang in die Fankurve standen Joshua Kimmich und seine Kollegen ratlos auf dem Spielfeld und hatten nach einer historischen Niederlage Redebedarf.
Zwar bewies das deutsche Team nach einer demütigenden ersten Halbzeit noch Kampfgeist, doch das 2:3 (1:2) gegen Belgien lieferte einige schmerzliche Erkenntnisse: Nach einer belgischen Lektion hat Hansi Flick mit der Fußball-Nationalmannschaft auf dem Weg zur Heim-EM noch ganz viel Arbeit vor sich.
Das 2:3 gegen die nach ihrem eigenen frühen WM-Scheitern von Domencio Tedesco betreuten Roten Teufel war die erste deutsche Niederlage gegen das Nachbarland seit 69 Jahren. Die leichte Hoffnung auf deutsche Fußball-Besserung nach dem 2:0 gegen Peru ist jedenfalls wieder der Ernüchterung gewichen.
„Wir waren zu verhalten, zu passiv. Wir haben den Gegner nicht unter Druck setzen können. Belgien hat uns gnadenlos ausgespielt. Wir haben dann umgestellt. Dann war ein bisschen mehr Stabilität drin. Nach 30 Minuten haben wir es besser gemacht“, sagte Flick beim TV-Sender RTL. Deutliche Worte fand Experte und DFB-Rekordnationalspieler Lothar Matthäus zur schwachen ersten Halbzeit: „Erst mal müssen wir die ersten 35 Minuten bewerten. Was da Deutschland gespielt hat, war das Schlechteste, was ich bisher in meiner langen Laufbahn gesehen habe. Sie haben sich nicht in den Zweikämpfen gewehrt, haben die Belgier spielen lassen.“
Früher Doppelschlag schockt DFB-Team
Yannick Carrasco (6.) und Romelu Lukaku (9.) erzielten am Dienstagabend vor 42.910 Zuschauern im ausverkauften Kölner Stadion in einer für Flick irritierenden Anfangsphase, die für die DFB-Elf einer ganz bitteren Lektion glich, die ersten beiden Tore für die Belgier. Der Start ließ ein Debakel wie beim 0:6 vor zweieinhalb Jahren in Spanien befürchten, doch die DFB-Elf stabilisierte sich. Niclas Füllkrug (44./Handelfmeter) konnte mit seinem sechsten Tor im sechsten Länderspiel verkürzen.
In der zweiten Hälfte, in der die Belgier zwei Gänge zurückschalteten, war sogar bei einigen Chancen der Ausgleich möglich. Doch dann sorgte Kevin De Bruyne (78.) für den alten Abstand. An der Niederlage änderte letztlich auch der erneute Anschlusstreffer von Serge Gnabry nichts mehr (87.).
Doch die Anfangsphase bereitete große Sorgen. Kimmich sprach von „schlimmen 15 Minuten“ und wollte nichts beschönigen: „Da waren wir überhaupt nicht auf dem Platz. Wir waren sehr fehleranfällig, überhaupt nicht hungrig. […] Die Fehler müssen aufhören. Das war nix, speziell am Anfang nicht.“
Während sich die Profis vom FC Bayern München und Borussia Dortmund beim Bundesliga-Kracher schon am Samstag wiedersehen, muss Flick nach der dritten Niederlage seiner Amtszeit nun beim im Juni anstehenden Länderspiel-Dreierpack inklusive der 1000. DFB-Partie gegen die Ukraine Antworten liefern. Seine personellen Experimente dürfte der Bundestrainer dann sicher wieder reduzieren.
Der neue DFB-Sportdirektor Rudi Völler fehlte wegen einer Nierenkolik auf der Tribüne. Was der Weltmeister von 1990 daheim vor dem Fernseher aber in der ersten Halbzeit zu sehen bekam, dürfte ihm gar nicht gefallen haben. Denn das DFB-Team wurde von den Belgiern, die ebenfalls eine Katar-Enttäuschung zu verdauen hatten, in der ersten Halbzeit regelrecht vorgeführt. Vor allem die Defensive um den völlig indisponierten Marius Wolf auf der rechten Außenbahn war gegen die belgischen Stars um Kevin De Bruyne völlig überfordert.
Flick muss früh korrigieren
Stellungsfehler, schwaches Zweikampfverhalten, taktische Schwächen – es mangelte an allen Ecken und Enden. Auch in der Offensive lief lange Zeit nichts zusammen, so wurde der Leverkusener Jungstar Florian Wirtz schon nach einer halben Stunde erlöst. Dazu gab es weitere Sorgen, als Leon Goretzka nach 32 Minuten humpelnd vom Feld musste. Der linke Knöchel des Münchners war dick bandagiert, was den neuen Bayern-Trainer Thomas Tuchel vor dem Bundesliga-Gipfel gegen Spitzenreiter Dortmund am Samstag sicher aufschrecken ließ.
Schon in der sechsten Minute geriet die deutsche Mannschaft in Rückstand. Nach einem feinen Pass von De Bruyne auf Carrasco ließ der Außenstürmer Wolf aussteigen und setzte den Ball aus kurzer Entfernung ins Tor. Nur drei Minuten später jubelte wieder der Weltranglistenvierte, als Lukaku wuchtig traf. Einen 0:2-Rückstand in den ersten zehn Minuten hatte Deutschland letztmals im März 2006 beim 1:4 in Italien kurz vor der Heim-WM einstecken müssen, als es für den damaligen Bundestrainer Jürgen Klinsmann sehr ungemütlich wurde.
Vorausgegangen war vor dem zweiten Tor erneut ein Pass von De Bruyne. Der Mittelfeldspieler von Manchester City war Dreh- und Angelpunkt im belgischen Spiel. Die Bayern-Spieler bekommen es schon in zwei Wochen mit De Bruyne im Champions-League-Viertelfinale wieder zu tun.
Und es hätte noch schlimmer kommen können, wären die Belgier nicht so fahrlässig mit ihren großen Chancen umgegangen. So lief der Herthaner Dodi Lukebakio alleine auf das Tor von Marc-André ter Stegen zu, setzte den Ball aber knapp neben den rechten Pfosten (19.). Zwei Minuten später köpfte Lukaku den Ball an die Latte (21.). Den wuchtigen Mittelstürmer bekam die deutsche Abwehr nur schwer in den Griff. Bezeichnend, als Thilo Kehrer im Zweikampf gegen den Inter-Stürmer einfach zu Boden ging.
Flick war jedenfalls sichtlich bedient und reagierte, indem er das defensive Mittelfeld verstärkte. Mit Can für Wirtz kam eine kämpferische Note ins Spiel, außerdem sorgte die Goretzka-Verletzung für das Länderspiel-Debüt von Felix Nmecha.
Gute zweite Hälfte reicht nicht
Das Beste an der ersten Halbzeit war noch das Ergebnis, denn kurz vor der Pause kam die deutsche Mannschaft ein wenig überraschend zum Anschlusstor. Füllkrug traf mit einem Kopfball den abgespreizten Arm von Lukaku und erhielt dafür einen Elfmeter, den der Bremer selbst eiskalt verwandelte. Mit dem sechsten Tor im sechsten Länderspiel besserte er seine beeindruckende Quote weiter auf. Schon beim 2:0 gegen Peru hatte er doppelt getroffen.
Im zweiten Durchgang kehrte mehr Ordnung ins deutsche Spiel, auch weil die Belgier nicht mehr so ins Risiko gingen. Plötzlich gab es auch Arbeit vor dem Tor des Wolfsburger Keepers Koen Casteels. Serge Gnabry kam nach Flanke von Wolf zu einer guten Chance (53.), vier Minuten später sorgte Füllkrug per Kopf für Gefahr. Kurz darauf hatte auch endlich Timo Werner sein Erfolgserlebnis, doch beim vermeintlichen Ausgleichstreffer stand der Leipziger im Abseits (59.). Bei den Belgiern war indes der Spielfluss ein wenig weg, auch weil Tedesco einige Stars wie Lukaku vom Feld nahm. Einen Glanzpunkt hatten sie aber noch im Repertoire: Nach einem feinen Konter vollendete De Bruyne auf Zuspiel von Leandro Trossard. Danach ging De Bruyne vom Feld, auf deutscher Seite kam indes der Ex-Hamburger Josha Vagnoman noch zu seinem Debüt.
Das deutsche Team gab aber nicht auf. Gnabry hatte bei einem Pfostenschuss zunächst eine weitere Gelegenheit (84.) und wurde dann sogar mit dem Tor nach Vorlage des eingewechselten Kevin Schade belohnt. In einer wilden Schlussphase wäre sogar der Ausgleich möglich gewesen. (dpa)
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion