Kein Feuer in Grindels Leuchtturm – EM lässt Fans noch kalt
Diese Bilder konnten UEFA-Wahlmänner wie Davor Suker, Zbigniew Boniek oder Borislaw Michajlow wohl kaum beeindrucken. Mit seiner Werbeaktion kurz vor der Abstimmung über den EM-Gastgeber 2024 hat der DFB keine großen Emotionen in den Bundesliga-Stadien wecken können.
Die Fußball-Fans beschäftigen derzeit andere Dinge wie der Video-Beweis, die Bayern-Dominanz oder die zunehmend verspürte Entfremdung zur Profi-Glitzerwelt viel mehr als die Chance auf das erste große Heimturnier seit dem Sommermärchen 2006 – das weiß auch Philipp Lahm als prominenter Frontmann der deutschen Kandidatur.
„Es ist ja so viel Fußball, und wir sprechen davon, was in sechs Jahren ist“, sagte Lahm vor dem Schlussspurt um den EM-Zuschlag in einem Interview der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
Schwarz-rot-goldene Ärmellogos und gemeinsame Mannschaftsbilder hinter Papptafeln mit dem DFB-Motto „United by Football – Vereint im Herzen Europas“ wirkten kurz vor der EM-Entscheidung durch die Mitglieder des UEFA-Exekutivkomitees am Donnerstag wie von den Profis duldsam ge- und ertragene Routine. „Das ist ein Thema, das ich nicht zu entscheiden habe. Egal wie es kommt, so werde ich jede Entscheidung in meinem Herzen tragen“, sagte Nürnbergs Trainer Michael Köllner mit einem spitzbübischen Lächeln.
DFB-Präsident Reinhard Grindel hatte die EM-Bewerbung gleich nach seinem Amtsantritt vor eineinhalb Jahren als sein Leuchtturm-Projekt bezeichnet. Die deutschen Chancen auf einen Zuschlag stehen tatsächlich trotz des Konkurrenten Türkei, der auf dem UEFA-Parkett um die insgesamt 17 Stimmen aggressiv wirbt, tatsächlich sehr gut. Doch in Grindels Leuchtturm lodert noch kein richtungsweisendes Feuer für den deutschen Fußball.
Die Brandherde sind für den durch den WM-K.o. geschwächten Verbandschef nur unliebsamer Natur und könnten schon am Dienstag und Mittwoch durch befremdliche Stille zum Ausdruck kommen. Der Zusammenschluss der Fußball-Fanszenen hat für die Englische Woche einen „bundesweiten Aktionsspieltag“ angekündigt, der sich von dem EM-Werbeszenario des DFB grundlegend unterscheidet.
Die ersten 20 Minuten jeder Partie soll auf den Tribünen geschwiegen werden. Die Hoffnung der organisierten Anhänger ist nicht der EM-Zuschlag für Deutschland, sondern „dass der Fußball wieder die Interessen der Fans in den Mittelpunkt rückt und nicht die Interessen von Investoren oder Stakeholdern“.
Zum EM-Werbespieltag des DFB hatte es wenige, aber dafür deftige schriftliche Kommentare in den Fan-Kurven gegeben, die auch in der Türkei mit Interesse wahrgenommen und verbreitet wurden – beispielsweise von der Nachrichtenagentur Anadolu.
„Gute Miene zum nächsten gekauften Turnier? Grindel / Koch raus! Scheiss DFB“ und „UNITED BY MONEY. Korrupt im Herzen Europas“, stand auf Plakaten in Stuttgart. Ähnliche Spruchbänder waren in Berlin in der Gladbacher Kurve zu lesen: „Wir brauchen keine gekaufte EM, sondern Veränderungen!“ Der DFB kann darauf verweisen, dass dies Einzelmeinungen weniger Hardcore-Fans seien – wie auch die erneuten Dortmunder Schmähungen gegen Hoffenheim-Mäzen Dietmar Hopp, die mittlerweile die Justiz beschäftigen.
Lahm, wichtigster DFB-Werbeträger und bei einem Zuschlag auch EM-Cheforganisator, verweist auf laut repräsentativer Umfrage ermittelte 90 Prozent EM-Zustimmung unter allen deutschen Fußball-Fans und setzt darauf, dass sich die Begeisterung wie einst vor der Heim-WM sukzessive entwickelt. „Ich bin der festen Überzeugung, dass das zum Turnier hin dann auch wieder etwas Besonderes werden kann, ein Fest wie 2006, weil sich unser Land immer wieder nach so einem Großereignis sehnt“, sagte der 34-Jährige.
Die UEFA bescheinigte Deutschland in ihrem Evaluationsbericht zumindest, dass der europäische Fußball „bekanntermaßen weit verbreitete Unterstützung“ genieße. Die Türkei wurde hingegen „als begeisterte Fußballnation“ charakterisiert.
Ein EM-Zuschlag wäre laut Lahm auch eine Chance für Deutschland und Europa, gesellschaftliche Probleme wie die Debatte um die Flüchtlingspolitik zu lösen. „Es geht in der Gesellschaft nicht immer nur bergauf, es gibt auch Phasen, die schwieriger sind. Das Wichtigste ist, dass man miteinander kooperiert, es ist immer besser, miteinander zu sprechen, als nebeneinanderher zu leben. Und das kann so ein Turnier uns bieten, oder besser gesagt: nicht nur uns, sondern ganz Europa“, betonte der DFB-Ehrenspielführer. (dpa)
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