Fußball-EM: Niederknien gegen Rassismus von Fans mit Buhrufen und Pfiffen quittiert

Bei den Europameisterschaften 2021 kam es jetzt zu kontroversen Diskussionen und Protesten. Aktuell steht insbesondere das Niederknien – als Zeichen gegen Rassismus – im Fokus. Mehrfach buhten Fans der Gegnermannschaft die Niederknienden aus, mitunter sogar die eigenen. Daraufhin schaltete sich die UEFA ein.
Titelbild
Belgiens Spieler knien zu Beginn des Fußballspiels bei der UEFA EURO 2020 zwischen Belgien und Russland am 12. Juni 2021 im Sankt Petersburger Stadion.Foto: ANATOLY MALTSEV / POOL / AFP über Getty Images
Von 15. Juni 2021

Nachdem es bei den Europameisterschaft 2021 bereits Kontroversen um das Trikot der ukrainischen Mannschaft gegeben hatte, sorgt nun das Niederknien vor Spielbeginn – als Zeichen gegen Rassismus – für Spannungen.

Sowohl beim Spiel Belgien gegen Russland in St. Petersburg am Sonnabend (12.6.), als auch beim EM Test-Spiel Irland gegen Ungarn in Budapest (9.6.) drückten Fans durch Pfiffe und Buhrufe ihren Unmut über die Geste aus.

In St. Petersburg waren es die Belgier, die samt Schiedsrichtergespann, niederknieten und von russischen Fans ausgepfiffen wurden.

In Budapest waren es die ungarischen Fans, die das Niederknien der irländischen Nationalspieler gleichermaßen quittierten. Die gegnerischen Mannschaften beteiligten sich in beiden Fällen nicht an der Geste.

Tschertschessow: „Das ist keine Frage, die mit Fußball zu tun hat“

Russlands Trainer Stanislaw Tschertschessow äußerte auf der Pressekonferenz – nach der 3:0-Niederlage gegen Belgien –, wie er das Verhalten der Belgier bewerte. „Das ist keine Frage, die mit Fußball zu tun hat. Wenn Sie eine haben, stellen Sie sie.“

Die UEFA stellte sich am Sonntag klar auf die Seite der Belgier: „Wir fordern die Zuschauer dringend auf, den Spielern und Mannschaften, die auf die Knie gehen, Respekt zu zeigen“.

Und vermutlich auf die UEFA-Sanktionsregeln bei Politisierung von Spielen gerichtet ergänzte sie:

„Jeder Spieler oder Offizielle“, also explizit auch der Schiedsrichter, dürfe sich via Kniefall für eine Gleichbehandlung unter den Menschen einsetzen. „Null Toleranz bei Rassismus“.

Orbán: „Provoziere nicht die Ortsansässigen“

Der ungarische Fußballbund (MLSZ) hingegen kündigte nach dem Spiel gegen Irland an, seine Nationalspieler würden bei der Fußball-EM nicht vor Anpfiff niederknien.

Die Regeln der UEFA und der FIFA erlaubten keine Politisierung auf dem Platz und im Stadion, so der MLZS.

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán erklärte auf einer Pressekonferenz – angesprochen auf die Reaktion der ungarischen Fans – Richtung Irland:

Wenn Du zu Gast bist in einem Land, dann provoziere nicht die Ortsansässigen“.

Die Niederlande, Tschechien und Kroatien kündigten ebenfalls an, sich nicht an der Aktion zu beteiligen.

Kenny: „Ich denke, das ist eine sehr wichtige Botschaft“

Irlands Nationaltrainer Stephen Kenny (49) kritisierte die Reaktion der ungarischen Fans. „Das wirft kein gutes Licht auf Ungarn“, sagte Kenny nach dem 0:0 im EM-Testspiel.

„Ich denke, das ist eine sehr wichtige Botschaft“, sagte Kenny. Die Idee dazu sei aus der Mannschaft gekommen.

„Es ist eine wichtige Haltung und ich habe ihnen empfohlen, diese Haltung einzunehmen“, sagte er.

Natürlich sei es „enttäuschend“ gewesen, dass „das ganze Stadion uns ausgebuht hat“. Damit „hatten wir nicht gerechnet“.

Stephen Kenny, Manager der Republik Irland, gibt seinen Spielern Anweisungen während des internationalen Freundschaftsspiels zwischen Ungarn und der Republik Irland im Szusza Ferenc Stadion am 08. Juni 2021 in Budapest, Ungarn. Foto: Laszlo Szirtesi / Getty Images

Noch bitterer traf es die englische Mannschaft. Statt von den Gegnern ausgebuht zu werden, bekamen sie den Unmut ihrer eigenen Fans zu spüren. In den EM-Testspielen gegen Österreich und Rumänien mussten sie sich von ihren eigenen Fans beim „Kniefall“ Buhrufe und Pfiffe  anhören.

Englands Nationaltrainer Gareth Southgate erklärte im Anschluss, seine Mannschaft werde trotz der Fan-Proteste weiter als Zeichen gegen Rassismus das Knie beugen.

Beim EM-Spiel der Engländer gegen Kroatien am Sonntag (13.6.), im Londoner Wembley-Stadion, knieten die Three Lions erneut nieder, während die Kroaten stehenblieben. Diesmal gab es allerdings keine Proteste der Fans.

Colin Kaepernicks Karriere endete mit der Geste des Hinkniens

In der englischen Bevölkerung kursiert das Thema bereits seit längerem. Mit dem gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd im letzten Jahr nahm es erst so richtig an Fahrt auf. Seitdem taucht die Geste immer wieder vor Spielbeginn auf.

Ihr Ursprung liegt bei dem Sportler Colin Kaepernick. Im American Football hatte er 2016 mit der Geste des Hinkniens eine Protestwelle gegen Unterdrückung von Schwarzen und gegen Polizeigewalt in den USA gestartet.

Der heute 32 Jahre alte ehemalige Quarterback der San Francisco 49ers hatte sich immer wieder während der US-Nationalhymne niedergekniet.

Colin Kaepernick (M) und zwei seiner ehemaligen Mitspieler der San Francisco 49ers. Foto: John G Mabanglo/dpa

Dies brachte ihm neben Zustimmung größtenteils Kritik ein und führte zu seinem Aus als Football-Spieler.

Durch die „Black Lives Matter“-Bewegung und die Proteste nach Floyds Tod verbreitete sich das Niederknien von den Vereinigten Staaten auch nach Europa aus.

Aktionismus im Kampf gegen Rassisten?

In England gab es nach George Floyds Tod verschiedene „Anti-Rassismus-Initiativen“, sogar direkt von der Englischen Liga aus. Die Spieler der Premier League wurden hierin aufgefordert vor Spielbeginn niederzuknien. Alle Clubs und Spieler führten daraufhin den Kniefall ein.

Anfang 2021 entschied Wilfried Zaha, als erster Spieler der Premier League nicht mehr daran teilzunehmen. Er erachtet den Kniefall vor den Spielen in England als erniedrigend. Er ist schwarz und stammt von der Elfenbeinküste. Seine Entscheidung schlug in den Medien hohe Wellen.

Der Stürmer von Crystal Palace, Wilfried Zaha (R), steht, während Chelseas englischer Mittelfeldspieler Mason Mount (L) vor dem Anpfiff des englischen Premier League-Fußballspiels zwischen Crystal Palace und Chelsea im Selhurst Park niederkniet. Foto: PETER CZIBORRA / POOL / AFP über Getty Images

Der Star vom FC Crystal Palace monierte einen Aktionismus im Kampf gegen Rassisten.

Dazu erklärte Zaha: „Es gibt keine richtige oder falsche Entscheidung, aber ich persönlich habe das Gefühl, dass das Knien einfach ein Teil der Routine vor dem Spiel geworden ist, und im Moment spielt es keine Rolle, ob wir knien oder stehen, einige von uns werden immer noch beschimpft.“

Er sei der Ansicht, „dass wir als Gesellschaft eine bessere Erziehung in den Schulen fördern sollten, und dass Social-Media-Firmen stärker gegen Leute vorgehen sollten, die andere online beleidigen – nicht nur Fußballer.“

Zaha: „Warum muss ich für dich niederknien?“

Im Podcast „On The Judy“ fragte er zudem: „Warum muss ich für dich niederknien, um zu zeigen, dass wir etwas wert sind?“ Seitdem bleibt der afrikanische Nationalstürmer, anders als seine Kollegen, vor Anpfiff der Punktspiele stehen.

Der Geschäftsführer der Premier League, Richard Masters, hat gegenüber „Sky Sports News“ erklärt, dass die Spieler bis zum Ende der Saison 2020/21 weiterhin auf die Knie gehen werden.

„Black Lives Matter Bewegung“ hat Einfluss auf die Bundesliga

Auch auf die Bundesliga hatte der Fall George Floyd und die „Black Lives Matter Bewegung“ Einfluss.

Fußballer in Deutschland knien in der Bundesliga, ähnlich wie ihre Kollegen in England, nieder – allerdings in viel geringerem Ausmaß.

Der Kontrollausschuss des Deutschen Fußballbundes erklärte dazu, dass er wie die UEFA auf Strafverfahren verzichten will, obwohl laut Statut politische Äußerungen auf dem Spielfeld untersagt sind.

Da es sich in den konkreten Fällen aber „um gezielte Anti-Rassismus-Aktionen der Spieler handele, die sich damit für Werte starkmachen, für die der DFB ebenfalls steht und immer eintritt“, hatte Anton Nachreiner, der Vorsitzende des Kontrollausschusses, eine Ausnahme gemacht.

Er kündigt an: „Daher werden keine Verfahren eingeleitet, auch bei vergleichbaren Anti-Rassismus-Aktionen in den nächsten Wochen nicht.“

Ob auch die deutsche Nationalmannschaft vor ihrem Auftaktspiel gegen Weltmeister Frankreich am Dienstagabend niederknien wird, wollte die „Junge Freiheit“ wissen. Eine entsprechende Anfrage der „JF“ ließ der Deutsche Fußballbund trotzt mehrfacher Nachfragen allerdings unbeantwortet.



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