Füllkrug rettet Gruppensieg – Unentschieden gegen Schweiz
Harte Arbeit statt Party-Fußball – und ein erlösendes Tor von Super-Joker Niclas Füllkrug. Julian Nagelsmanns ausgebremste Spaß-Fußballer haben ihr wichtigstes Ziel erreicht, gehen aber mit einem Stimmungsdämpfer ins EM-Achtelfinale.
Gegen die Schweiz sorgte der Stürmer von Borussia Dortmund mit seinem Tor in der Nachspielzeit zum 1:1 (0:1) im letzten Vorrundenspiel doch noch für den vom Bundestrainer geforderten Gruppensieg. Dan Ndoye (28. Minute) hatte am Sonntag im Frankfurter EM-Stadion die cleveren Eidgenossen in Führung gebracht und die Nationalspieler wie ihre Fans spürbar geschockt.
Statt mit breiter Brust geht es für die DFB-Elf am Samstag im Dortmunder Fußball-Tempel mit leisen Zweifeln in der ersten K.o.-Runde weiter. Der erste Gegner heißt im ersten Spiel um Alles oder Nichts dann möglicherweise wie vor drei Jahren England. Ein erneutes frühes Turnier-Scheitern gilt es dann zu verhindern. Fehlen wird Innenverteidiger Jonathan Tah, der nach einem Foul an Breel Embolo seine zweite Gelbe Karte im Turnier sah und somit gesperrt ist.
Gruppengegner am Dienstagabend
Wer der Gegner ist, steht erst am Dienstagabend nach den letzten Spielen in der Gruppe C fest. Gesucht wird dort der Gruppenzweite, außer England heißen die Optionen Dänemark, Slowenien oder Serbien. Ganz egal, wer der Kontrahent sein wird, Nagelsmann muss den zu hektischen Auftritt gegen die Schweiz genau aufarbeiten – sonst ist das Sommermärchen 2.0 möglicherweise vorbei, bevor es richtig begonnen hat.
Auf den Rückstand hatten Ilkay Gündogan und Toni Kroos als Spielgestalter lange keine Antwort gehabt. Füllkrug (90.+2) sicherte mit seinem Tor den DFB-Stars immerhin die erste EM-Prämie von 50 000 Euro pro Spieler für den Gruppensieg.
Schwierigkeiten mit dem Rasen – und dem Gegner
Ähnlich oft wie über deutsche Chancen und Risiken gegen die gut eingestellten Schweizer war vor der Partie über den geschundenen Frankfurter Rasen gesprochen worden, der seit Monaten nicht den besten Eindruck macht. Schon nach ein paar Minuten taten sich erste Löcher auf, Maximilian Mittelstädt beispielsweise trat früh eines wieder zu, nachdem ihm der Ball versprungen war. Von irregulären Bedingungen war die Partie bei sommerlichen Temperaturen aber weit entfernt.
Die Schwierigkeiten für die DFB-Auswahl ergaben sich eher wegen des Gegners, der mehr als Schottland (5:1) und Ungarn (2:0) versuchte, auch spielerisch mitzuhalten. Angeführt vom Leverkusener Meistermacher Granit Xhaka suchten die Schweizer immer wieder den Weg nach vorne. In Embolo und Ndoye hatten die deutschen Innenverteidiger Antonio Rüdiger und Tah direkte Gegenspieler, die mit ihrem Tempo immer wieder für Gefahr sorgen konnten.
Andrich-Treffer zählt nicht
Zwar wirkte das deutsche Spiel zunächst etwas strukturierter, Kai Havertz hatte gleich zu Beginn eine Kopfballchance, die der Schweizer Torwart Yann Sommer ohne große Mühe vereitelte (3.). Die DFB-Auswahl konnte sich in der ersten halben Stunde aber viel zu selten zwingende Torchancen herausspielen. Ein vermeintlicher Treffer von Robert Andrich per Fernschuss zählte wegen eines vorangegangenen Fouls von Jamal Musiala an Michel Aebischer nicht (17.).
Für mehr Stabilität versuchte Nagelsmann, der zum dritten Mal dieselbe Startelf aufgeboten hatten, Umstellungen in der Abwehr. Andrich rückte oft weiter zurück zu den Innenverteidigern. Dann fiel aber das Gegentor.
Nach einem Fehler von Musiala kam Remo Freuler gegen Rüdiger zur Flanke, in der Mitte war Ndoye einen Tick schneller am Ball als Tah. Rüdigers Fußspitze verhinderte zudem, dass der Torschütze nur aus dem Abseits traf. Das Tor zählte, die Schweizer Fans im Stadion jubelten lautstark. Erstmals bei der Heim-EM lag Deutschland zurück – beinahe hätte Ndoye sogar noch nachgelegt, sein Schuss nach gewonnenem Laufduell mit Rüdiger ging aber ganz knapp am Tor von Manuel Neuer vorbei (31.).
Scholz im Stadion, Tausende auf den Fanmeilen
Auf der Tribüne schaute, angeführt von Bundeskanzler Olaf Scholz, wieder reichlich Politprominenz zu. In den deutschen Städten hatten sich Zehntausende Menschen zum Public Viewing versammelt – wirklich viel zu sehen gab es bis zur Halbzeit aber nicht mehr. Das deutsche Spiel war zu hektisch, zu oft fehlte der eine, gut überlegte Pass. So wurde auch aus einer vermeintlich vielversprechenden Gelegenheit mit Musiala und Havertz nichts (42.). Ein paar Minuten zuvor hatte Tah seine Gelbe Karte gesehen.
Nagelsmann saß noch vor dem Halbzeitpfiff mit Co-Trainer Sandro Wagner auf der Trainerbank vertieft in die Analyse am Tablet. Was nun? Eine Niederlage und Gruppenplatz zwei passten nicht in den deutschen Turnierplan, der in den beiden Spielen zuvor so gut aufgegangen war. „Die Schweiz ist bissig und griffig“, konstatierte MagentaTV-Experte Michael Ballack, in der ARD meinte Thomas Hitzlsperger, diese Prüfung müsse das Nagelsmann-Team nun bestehen.
Der Erste, der nach dem Wiederanpfiff die passende Reaktion zeigte, war Musiala mit einem Schuss, den Sommer aber abwehrte (50.). Auch Kroos versuchte es (55.). Die deutschen Offensivbemühungen wurden immerhin variabler, noch fehlte aber der Spielfluss. Es blieb zunächst dabei, dass die Schweizer der DFB-Auswahl nur wenig Raum ließen – und selbst mutig Richtung Neuer-Tor spielten.
Nach einer Stunde nahm Nagelsmann erste Wechsel vor – Nico Schlotterbeck kam für Tah, David Raum für Mittelstädt. Etwas später kam auch Maximilian Beier für Andrich. Deutschland spielte jetzt zielstrebiger, doch die Schlussphase der Partie, für die auch Leroy Sané und Füllkrug kamen (76.), rückte immer näher. Havertz verpasste den Ausgleich nach einer Ecke per Kopf (85.). Auf der Gegenseite musste sich Neuer bei einem Schuss von Xhaka ganz schön strecken (88.). Und dann war Füllkrug doch noch zur Stelle. (dpa/red)
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