Deutschland fällt im Medaillenspiegel zurück – Entwicklung weg vom Leistungsprinzip

Im olympischen Medaillenspiegel hält sich Deutschland nur noch knapp unter den besten zehn Sportnationen. Gegenüber den 1980er-Jahren ist das ein deutlicher Rückschlag. Nun werden Debatten über die Gründe laut – und häufig fallen dabei Begriffe wie „Leistungsprinzip“ und „Bundesjugendspiele“.
Kanu-Olympiasieger Tom Liebscher-Lucz (r) im Gespräch mit Bundeskanzler Olaf Scholz.
Kanu-Olympiasieger Tom Liebscher-Lucz (r) im Gespräch mit Bundeskanzler Olaf Scholz.Foto: Lindsey Wasson/AP/dpa
Von 11. August 2024

Zwölf Goldmedaillen, elfmal Silber und achtmal Bronze – so lautete die deutsche Medaillenbilanz am Sonntagmorgen, 11. August, vor dem letzten Wettkampftag der Olympischen Spiele 2024 in Paris. Auch wenn einzelne Verschiebungen im Medaillenspiegel noch möglich sind, gilt der derzeitige neunte Platz für Deutschland in der Wertung als durchwachsenes Ergebnis.

Als einer der ersten Kritiker hat sich der Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag, der SPD-Abgeordnete und frühere Spitzenbiathlet Frank Ullrich, zu Wort gemeldet.

Gegenüber dem „Spiegel“ sprach er von „Minimalzielen“, die sich der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) gesetzt habe. Medaillen seien jedoch „die einzige Währung im Sport“, äußerte Ullrich. Er argwöhnte, viele junge Menschen hätten sich „vom Leistungsprinzip verabschiedet“. Diesen Trend gehe „auch der organisierte Sport in Teilen mit“.

Generelle Tendenz ungünstig für Deutschland

An der Aussagekraft des Medaillenspiegels gibt es eine Vielzahl an Zweifeln. Ein Einwand ist dabei, dass dieser die finanzielle und technische Infrastruktur nicht berücksichtigt, die Teilnehmerländer jeweils zur Verfügung haben. Dazu kommt, dass ein Land, das lediglich zwei Goldmedaillen aufweist, vor Ländern rangiert, die ein Vielfaches an Silber- und Bronzemedaillen erlangt hat.

Aber selbst ein differenzierterer Blick lässt das deutsche Ergebnis nur bedingt besser aussehen. Berücksichtigt man beim Medaillenspiegel auch die Zahl der Einwohner, gehört Deutschland nicht mehr zu den Top 10.

Auffällig ist vor allem ein deutlicher Rückgang deutscher Medaillen im Vergleich zu den Jahren zwischen 1972 und 1988. Die Zahl deutscher Medaillen – wobei BRD und DDR in der Statistik nun zusammen betrachtet werden – lag jeweils deutlich im dreistelligen Bereich. Bei den Spielen von 1984 wurde die Bilanz lediglich durch den politisch motivierten Boykott vonseiten der DDR getrübt.

Deutscher erster Platz bei Mixed-Wettbewerben

Die Situation seit 1992, als erstmals ein gesamtdeutsches Team an den Olympischen Spielen teilnahm, ist nur bedingt mit der Zeit vor der Wiedervereinigung vergleichbar. Die Zahl der deutschen Starter war von vornherein etwas geringer. Gleichzeitig wuchs die Konkurrenz stetig, da durch die Auflösung der Sowjetunion und den Zerfall Jugoslawiens unabhängig gewordene Staaten eigenständig Athleten entsandten.

Die Zahl der Sportarten stieg von 23 im Jahr 1980 auf 34 in den Jahren von 2000 bis 2008 an. Anschließend sank diese wieder leicht ab, derzeit liegt sie bei 32. Allerdings gibt es innerhalb dieser zahlreiche neue Subkategorien, beispielsweise den 3×3-Wettbewerb im Basketball.

Immerhin, so merken Nutzer sozialer Medien an, gibt es Stärkecluster, in denen Deutschland nach wie vor zur Weltspitze gehört. Dazu gehören Mixed-Wettbewerbe, die erst im Laufe der vergangenen 20 Jahre an Bedeutung gewonnen haben – dort liegt Deutschland auf Platz 1.

Entwicklung weg vom Leistungsprinzip

Dennoch ist es unübersehbar, dass Deutschland tendenziell im Medaillenspiegel nach unten durchgereicht wird – und dies löst nicht nur in der Politik Besorgnis aus.

Der Goldmedaillengewinner von 2008 im Gewichtheben, Matthias Steiner, sieht in der Reform der Bundesjugendspiele einen Sündenfall. Kinder wollten sich messen und Leistung erbringen, so Steiner. Man dürfe ihnen „dieses natürliche Verhalten nicht nehmen“.

Im Jahr 2021 hatten das Bundesfamilienministerium und die Kultusministerkonferenz dieser jährlichen Pflichtveranstaltung im Bereich der Grundschüler den Wettkampfcharakter genommen. Es werden in dieser Altersklasse keine exakten Leistungsmessungen mehr vorgenommen.

Auch Frank Ullrich beklagte diesen Schritt. Die Abschaffung des Punktesystems sei dort „leider beispielhaft“ für eine Entwicklung weg vom Leistungsprinzip. Befürworter der Bundesjugendspiele versprechen sich von der Veranstaltung, potenzielle Spitzensportler der Zukunft identifizieren zu können.

Wert der Bundesjugendspiele zur Talentfindung umstritten

Kritiker sehen demgegenüber ein überholtes Format, das für sportlich weniger versierte Kinder eine Belastung darstelle. Einige beklagen in sozialen Medien Mobbing – andere räumen ein, sich regelmäßig ein Attest zur Nichtteilnahme „besorgt“ zu haben. Andere, die als Schulkinder zur Teilnahme verpflichtet waren, sahen den Tag als „eine Art schulfrei“.

Was sich aus der Entwicklung der deutschen Medaillenanzahl herauslesen lässt, ist, dass die Bundesjugendspiele maximal die Talentsuche in bestimmten Bereichen begünstigen können. Dazu gehören Leichtathletik, Turnwettbewerbe und Schwimmen.

In diesen Bereichen hat sich die Zahl deutscher Medaillen tendenziell tatsächlich nach unten entwickelt, gegenüber den Zeiten eines Michael Groß oder Fabian Hambüchen. Gleichzeitig bleibt die deutsche Medaillenbilanz in Disziplinen wie Reiten, Kanu oder Rudern stabil. Keine von diesen ist Gegenstand der Bundesjugendspiele.

Kritik von Kajak-Olympiasiegern an Bundeskanzler Scholz

Die beiden Kajak-Olympiasieger Max Rendschmidt und Tom Liebscher-Lucz übten unterdessen nach einem Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz bei den Kanu-Wettbewerben Kritik. Sie warfen Scholz implizit vor, aus wahltaktischen Motiven die Olympiamannschaft zu besuchen. Rendschmidt erklärte gegenüber dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (RND):

„Er soll lieber Entscheidungen für den Sport treffen. Die Liebe zum Sport wird immer dann entdeckt, wenn es Medaillen gibt.“

Liebscher-Lucz riet dem Kanzler, nicht nur Olympia, sondern reguläre Weltmeisterschaften oder Deutsche Meisterschaften zu besuchen. Aus dem Kanzleramt hieß es daraufhin, Sport sei „ein wichtiger Bestandteil unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens – das gilt für den Breiten- und Leistungssport gleichermaßen“. Der Bundesregierung sei es „deshalb wichtig, Sport und damit die Athletinnen und Athleten zu fördern“.



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