«Bastel-Olympiade»: Kritik an IOC wächst
Während das Olympische Feuer auf den Weg nach Japan Ist, erlischt die Flamme der Begeisterung bei Athleten für die Sommerspiele immer mehr. Der Traum jedes Sportlers ist durch die Coronavirus-Pandemie für viele zum Alptraum geworden.
„Jeder Tag, an dem die Sportler nicht trainieren können, wird es schwieriger, dass faire Spiele stattfinden können“, sagte Max Hartung, Vorsitzender des Vereins Athleten Deutschland. Dem für die Tokio-Spiele qualifizierten Säbelfechter fällt es wie vielen anderen schwer, Olympia abzuschreiben, weil es ein „Fixpunkt im Leben“ sei.
Ähnlich schwer tat sich Marathonläufer Philipp Pflieger, trotz des Sehnens nach einem Start bei Olympia für sich die Notwendigkeit zu erkennen, dass die Tokio-Spiele nicht wie geplant am 24. Juli eröffnet werden sollten. „Wenn eines in Stein gemeißelt ist: dann die Olympischen Spiele“, habe er gedacht. Nun meint er: „Im Gegenteil: ich halte eine Verschiebung um ein bis zwei Jahre inzwischen nicht nur für realistisch, sondern für das Beste.“
Deshalb fordert der gebürtige Sindelfinger „ein dringend überfälliges Statement von Seiten des IOC, das sich an der Realität orientiert“ und keine „inhaltslosen Durchhalteparolen“ mehr, sagte Pflieger.
Auch Ruder-Weltmeister Richard Schmidt fordert vom Internationalen Olympischen Komitee eine zeitnahe Entscheidung, „weil ja alle Sportler weltweit, die sich vier Jahre lang für Olympia gequält haben, faire Wettkämpfe wollen“, sagte das 32 Jahre alte Crewmitglied aus dem Deutschland-Achter den „Ruhr Nachrichten“. Dazu gehören auch nachvollziehbare Qualifikationen. „Aus mehreren Gesprächen habe ich herausgehört, dass manche Sportler verunsichert und teilweise wie paralysiert sind, weil sie nichts machen können“, berichtet der Athletensprecher der deutschen Ruderer.
Skeptisch sieht ebenso Zehnkampf-Weltmeister Niklas Kaul das Festhalten an der Austragung der Tokio-Spiele. „Ich fände das schwierig. Alleine schon aus dem Fairness-Gedanken heraus“, sagte der 22-Jährige Mainzer im Interview mit der „Allgemeinen Zeitung Mainz“.
Für die zweimalige Olympia-Teilnehmerin im Schwimmen, Alexandra Wenk, ist es unverständlich, dass das größte Sportereignis der Welt noch nicht abgesagt wurde. Sommerspiele in dieser Situation wären „absurd und völlig irrelevant“, sagte die Münchnerin in der „Süddeutschen Zeitung.“
Klare Position gegen einen Austragung bezog als erstes IOC-Mitglied Hayley Wickenheiser. Sie bezeichnete die Coronavirus-Krise als „größer als die Olympischen Spiele“. Wickenheiser gehört der Athletenkommission des IOC an und gewann mit Kanada viermal Olympia-Gold im Eishockey. Und sie weiß, wovon sie spricht: Als angehende Medizinerin arbeitet sie in der Notaufnahme.
Einmal mehr auf der Linie von IOC-Präsident Thomas Bach bewegt sich dagegen die Athletenchefin des IOC, Kirsty Coventry. Sie ermutigte in einer Telefonkonferenz mit 220 Athletenvertretern „weiter das zu tun, was sie tun“, und betonte danach, dass die „Athleten zu den Spielen nach Tokio fahren“ wollen.
Bach zeigte sich über diesen „konstruktiven Austausch“ erfreut und versicherte, dass bei allen Erwägungen die Sicherheit und Gesundheit oberste Priorität habe. Erneut bekräftigte der Fecht-Olympiasieger von 1976, dass eine Entscheidung – Olympia ja oder nein – noch Zeit habe: „Wir haben noch mehr als vier Monate vor uns.“
Bisher hätten sich 57 Prozent der rund 11.000 Athleten für die Spiele in Japan qualifiziert. Bach versicherte, dass das IOC mit den internationalen Sportfachverbänden zusammenarbeiten wolle, um alle „notwendigen und praktischen Anpassungen an ihren jeweiligen Qualifikationssystemen vorzunehmen“.
Leichtathletik-Weltverbandspräsident Sebastian Coe will die Tokio-Spiele zwar auch nicht abschreiben, ist aber besorgt über die massiven Einschränkungen der Olympia-Qualifikation und sieht „keine Chancengleichheit“ mehr gewährleistet, sagte der Brite der englischen Zeitung „The Times“. Speerwurf-Olympiasieger Thomas Röhler aus Jena pflichtet ihm bei. „Ich sehe derzeit keine Grundlage für einen fairen sportlichen Vergleich – und das sollen die Olympischen Spiele sein“, sagte er dem „Sportbuzzer“.
Für den Sportrechtler Michael Lehner wäre eine zügige Olympia-Absage deshalb „ein Signal an die Welt“, sagte der Jurist aus Karlsruhe dem „Mannheimer Morgen“. Man könne doch nicht die kleinen Fußballspiele absagen, über Ausgangssperren nachdenken, die Schulen und Unis schließen und meinen, „ich könnte im Juli Big Games machen.“ Und wenn die Spiele stattfinden würden, wäre es eine „Bastel-Olympiade“. (dpa)
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