1860 München: Mehr als der ganz normale «Löwen»-Wahnsinn
Für so viele Eklats, Personalwechsel und immer neue Chaosmeldungen benötigen normale Fußballvereine Jahrzehnte. Aber der TSV 1860 München ist kein normaler Club.
Das bewiesen die „Löwen“ in 2017, einem Jahr, das selbst in der an Turbulenzen und Absurditäten reichen Vereinschronik hervorsticht. Im Januar debütierte in der Allianz Arena ein portugiesischer Startrainer mit Bundesligaträumen. Zehn Monate danach wurde das Regionalligaspiel gegen den Dorfverein TSV Buchbach abgesagt, weil im Grünwalder Stadion der Strom ausfiel.
Dazwischen erlebte Fußball-Deutschland Schauspiele, die über den ganz normalen 1860-Wahnsinn hinausgingen und aus dem einst – oder immer noch – so stolzen Traditionsverein eine Amateurtruppe machten. Leicht zu verarbeiten ist dieses Kalenderjahr nicht, auch nicht für Trainer Daniel Bierofka, einem Ur-Sechziger, der Aufregung rund um die Grünwalder Straße gewohnt ist. „Jetzt regenerieren wir erst einmal, auch von der mentalen Seite“, sagte Bierofka kurz vor Weihnachten.
Seine Schützlinge hatten da gerade 3:0 gegen einen Verein namens SV Schalding-Heining gewonnen und überwintern als Tabellenführer der Regionalliga Bayern. Mit dem Amateurfußball hat sich 1860 inzwischen arrangiert, zumindest für eine Saison. Dem Club des unberechenbaren Investors Hasan Ismaik blieb nichts anderes übrig, nachdem der Jordanier im Juni eine Finanzspritze verweigerte und den deutschen Meister von 1966 aus den Profiligen an einen Tiefpunkt manövrierte.
Jener „Schwarze Freitag“, wie von Boulevardmedien geschrieben, war freilich nur einer von unzähligen Höhe- und Tiefpunkten in 2017. Ein Auszug in chronologischer Reihenfolge:
1860 hat sich mehr als zwei Wochen lang in einem Trainingszentrum von José Mourinho in Portugal auf die Rückrunde vorbereitet, einzelne Münchner Medien boykottiert, Manager Ian Ayre aus Liverpool geholt, gegen ehemalige Trainer und Manager prozessiert, seine Träume für einen Stadionneubau begraben müssen, üble Beleidigungsvorwürfe wegen Trainer Vitor Pereira vernommen, den Fans im Relegations-Heimspiel beim Randalieren zugesehen und nur Stunden nach dem Abstieg die kollektiven Rücktritte der sportlichen Führung erhalten. Endpunkt: Wegen fehlender Ismaik-Millionen erfolgte das Aus im Profifußball.
Danach sahen die „Löwen“, wie Ismaik Beschwerde gegen die 50+1-Regel einlegte, wie der Auszug aus der Allianz Arena und die Rückkehr in das Grünwalder Stadion vollzogen wurden, wie man in der Provinz Regionalliga-Fußball spielt, wie die Mitglieder eine Trennung von Ismaik beschließen, wie ein Geisterspiel als Folge der Randale in der Relegation über die Bühne geht, wie ein Unternehmer um die Anteile Ismaiks feilscht und wie die Vereinsbosse sechs Tage vor Heiligabend beschließen, die Kooperation mit dem Investor doch fortzusetzen.
Fußball gespielt wurde auch: Im Frühjahr von Profis aus aller Herren Länder schlecht und mit dem Abstieg aus der 2. Liga als Folge. Seit Sommer mit einem heimischen Nachwuchsteam samt ein paar Routiniers als Hilfe und dem Aufstieg in die 3. Liga in Aussicht. Eine konkrete Vision vermisst Bierofka zwar. „Wie soll es hier weitergehen, was hat man für Perspektiven?“, sagte er jüngst zur Zweckgemeinschaft auf Gesellschafterebene. „Wie soll es in zwei oder fünf Jahren aussehen?“
Das wissen die Verantwortlichen vermutlich selber nicht, zumal der Interims-Geschäftsführer Markus Fauser 1860 zum Jahresende verlässt. Mindestens eine Halbserie in der 4. Liga steht noch an, was viele freut: TSV-Präsident Robert Reisinger sagte jüngst, der Zwangsabstieg könne 1860 „wieder näher zu den Menschen bringen, die diesen Verein lieben und ihn als den ihren begreifen“. Rainer Koch, der Chef des Bayerischen Fußball-Verbandes und DFB-Vize, meinte: „Sportlich und fanmäßig ist 1860 natürlich ein Gewinn für die Regionalliga.“
Langfristig ist das Gastspiel der „Löwen“ in Liga vier aber nicht angelegt. Das weiß auch Koch, der davon ausgeht, dass 1860 „in absehbarer Zeit wieder in den Profifußball zurückkehren wird“. Bei einem möglichen Comeback in der 2. Bundesliga stünden den Sechzigern zwar neue, große Probleme ins Haus, allen voran die Stadionfrage, ist doch das Grünwalder Stadion für die 2. Liga nicht geeignet. Aber bis dahin kann noch viel passieren, gerade bei einem Verein mit einem derartigen Unwägbarkeitsquotienten wie dem TSV 1860 München. (dpa)
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