Wirtschaftsforscher: Die Ampelregierung leidet unter einem „Kernproblem“
Prof. Dr. Hubertus Bardt, der Geschäftsführer des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, hat die Bundesregierung vor dem Hintergrund der andauernden Wirtschaftskrise aufgefordert, vom getrennten Reden endlich ins gemeinsame Handeln zu kommen.
Seinem Eindruck nach mangele es nicht an Wissen oder verbalem Austausch – die Probleme lägen im Gegenteil „klar auf dem Tisch“, wie Bardt sich im Gespräch mit „Reuters TV“ ausdrückte. „Jetzt muss die Regierung auch mal von sich aus geschlossen Antworten mitgeben und nicht der eine eine Antwort, der andere eine andere Antwort, aber keine gemeinsame.“
Damit spielte der Fachmann für Energie- und Umweltpolitik auf jene beiden Wirtschaftsgipfel an, zu denen Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und Kanzler Olaf Scholz (SPD) am Dienstag unabhängig voneinander eingeladen hatten. Diese Treffen seien „am Ende des Tages nicht wirklich wichtig“, relativierte der Ökonom:
Das ist weiße Salbe, die im Augenblick verschmiert wird. Die Wirtschaft soll den Eindruck haben, es hört jemand zu.“
Lindner will „selbst verordnete Fesseln lösen“
Finanzminister Lindner hatte nach seinem Wirtschaftsgipfel mit Vertretern aus dem Mittelstand im Reichstagsgebäude lediglich eingeräumt, deren „Vorschläge aufgenommen und bewertet“ sowie Feedback auf die eigenen Perspektiven erhalten zu haben. Ein gemeinsames Papier sei aber nicht erstellt worden.
Dennoch wolle er die gewonnenen Erkenntnisse in einen gemeinsamen Beratungsprozess mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) einfließen lassen. Das sei vor dem Hintergrund des noch immer nicht verabschiedeten Haushalts 2025 bis zur Haushaltsbereinigungssitzung am 14. November ohnehin zwingend.
„Es ist möglich, Wachstum und Zukunft zu schaffen, ohne einen Euro Steuergeld auszugeben“, bekräftigte Lindner nach Informationen der „Welt“ später am Tag. Das könne allein dadurch gelingen, „dass wir uns wieder mehr Bewegungsfreiheit verschaffen und die uns selbst verordneten Fesseln lösen“.
Andreas Audretsch, Haushaltsexperte und Vize-Fraktionsvorsitzende der Grünen-Fraktion im Bundestag, forderte im „Welt“-Interview, dass Lindner bis zum 14. November „einfach mal vorrechnen“ müsse, wie er seine Ideen umsetzen wolle: „Er als Finanzminister muss zeigen, wie’s funktionieren kann.“
Scholz will gemeinsamen „Pakt für die Industrie“
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte Vertreter der deutschen Großindustrie, der Autohersteller und der Gewerkschaften erst am Nachmittag zu einem eigenen, dreistündigen Gipfeltreffen im Kanzleramt empfangen. Weder Finanzminister Lindner noch Wirtschaftsminister Habeck waren eingeladen, und auch gegenüber der Presse wollte Scholz so wenig wie möglich Einzelheiten preisgeben.
Über die Website des Bundeskanzleramts ließ Scholz nach dem Gipfel lediglich ein Zitat in einer kurzen Pressemitteilung veröffentlichen:
Deutschland ist ein starkes Land, das aktuell vor großen Herausforderungen steht. Jetzt geht es darum, gemeinsam anzupacken und mit einem Pakt für die Industrie, der sehr konkrete Maßnahmen umfasst, den Standort zu stärken.“
Konkret wurde es am Abend des 29. Oktober aber nicht. Neu war nur der Hinweis von Kanzlersprecher Steffen Hebestreit, dass der Austauschprozess am 15. November fortgesetzt werden soll – also erst am Tag nach der Bereinigungssitzung im Haushaltsausschuss des Bundestags. Auf die Frage, ob dann auch Habeck und Lindner eingeladen würden, sagte Hebestreit am Mittwoch: „Es ist der Kreis derer, die gestern dabei waren, vorgesehen.“
Bardt: „Kein Zeichen für Harmonie und für Geschlossenheit“
Das bislang gezeigte Tempo ließ den IW-Ökonomen Hubertus Bardt im „Deutschlandfunk“ (DLF) befürchten, dass beide Dienstagsgipfel einen positiven Effekt für die Wirtschaft eher verzögern könnten, als wirklich „eine Dynamik, eine Gemeinsamkeit“ voranzubringen.
Die Gastgeber Lindner und Scholz hätten mit ihren getrennten Gesprächen „kein Zeichen für Harmonie und kein Zeichen für Geschlossenheit“ gesetzt, kritisierte Bardt. Angesichts der „Latte von Problemen in der Wirtschaftspolitik“ dürfe die Regierung aber „nicht erst nach weiteren Gipfeln und neuen Überlegungen und langen, langen Runden“ handeln. Der Ampel bleibe nur noch kurze Zeit, „bis der Wahlkampf dann in vollen Zügen“ sei.
Auch Rainer Dulger, der Präsident des Arbeitgeberdachverbandes BDA, hatte gleich nach dem Treffen mit Lindner zur Eile gemahnt:
Wir müssen jetzt nach dem politischen Schaulaufen ins Handeln kommen. Regierungsverantwortung heißt aus unserer Sicht auch Regierungsverpflichtung.“
Die „Form der Zusammenarbeit der Koalition“ dürfe sich nicht „zum Wachstumshemmnis entwickeln“, sondern müsse „zum Wachstumstreiber werden“, verlangte der BDA-Chef.
Bardt sieht dringenden Handlungsbedarf
Bardt wiederum erklärte gegenüber „Reuters TV“, dass die Ampelregierung unter einem „Kernproblem“ leide: Während die eine Seite – Bardt meinte wohl die FDP – strikt auf der Schuldenbremse beharre, liste die andere Seite – SPD und Grüne – den Investitionsbedarf und ihre gewünschten Fördermaßnahmen auf. Bislang habe es die Bundesregierung nicht geschafft, beide Ansätze „zusammenzubringen“.
Er empfahl dafür eine Reihe von Sofortmaßnahmen: „Wir müssen an das Steuersystem dran, wir müssen an die Höhe der Steuern dran. Wir müssen auch das machen, was Herr Habeck vorgeschlagen hat, nämlich Investitionen fördern; gerade da, wo es für die Transformation notwendig ist. Wir müssen die öffentliche Infrastruktur verbessern. Wir müssen den Anstieg der Sozialabgaben begrenzen. Wir müssen die Bürokratie gründlich entlasten und Unternehmen gründlich entlasten.“
Vorzeitiges Ampel-Aus nach Einschätzung Barths nicht hilfreich
Von einem vorzeitigen Bruch der Ampelkoalition riet Barth im DLF ab: Das würde der deutschen Wirtschaft „im Zweifel ein Mehr an Unsicherheit“ bringen und allgemein für einen „weiteren Verlust an Vertrauen in die Stabilität der Regierungspolitik hier im Lande“ sorgen. Deutschland stünde dann „vor völlig unklaren Mehrheitsverhältnissen“. Auch ein anderes Regierungsbündnis „würde ja vor denselben Problemen stehen“, meinte der Wirtschaftswissenschaftler.
Finanzminister Lindner denkt bei allem Druck offenbar auch nicht daran, die Koalition zu verlassen. Aus seiner Sicht sei es für Deutschland „besser, wenn eine Regierung eine gemeinsame Richtung“ finde, diese beschreibe und auch umsetze, erklärte Lindner nach DLF-Informationen.
Erst vor wenigen Tagen hatte Lindner in einem „Welt“-Interview betont, dass er sogar eine zweite Amtszeit als Finanzminister beabsichtige: „Ich will nicht zuschauen, wie andere das, was wir uns jetzt erarbeiten an wirtschaftlicher Stabilität, geringerer Inflation, dass andere das wieder aufs Spiel setzen“ (Video auf X).
Bardt: Investitionen für Neuaufbau in der Autobranche gefragt
Von „Reuters TV“ angesprochen auf die geplanten drei Werksschließungen, den Stellenabbau und die Lohnkürzungen bei VW, verwies Barth auf den „massiven Strukturwandel“ mit einer geänderten Technologie und dem „neuen Wettbewerber“ China. „Umso mehr muss es gelingen, Neues aufzubauen und dafür zu investieren“, mahnte Bardt.
VW stehe mit den Problemen im Übrigen nicht allein da. „Seit Monaten“ sei ein größerer Beschäftigungsabbau auch bei vielen kleineren Unternehmen zu erkennen: „Hier mal ein paar Hundert, da mal Tausend, da mal ein bisschen mehr als Tausend, was sich dann auch summiert. Und VW – das ist natürlich ein Riesen-Unternehmen, wo dann auch viel zusammenkommt“.
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