Wird das Zustrombegrenzungsgesetz die „Brandmauer“ weiter wackeln lassen?
Das mehrheitliche Ja im Bundestag zu einem fünf Punkte umfassenden Entschließungsantrag der Union, der von der Bundesregierung eine strengere Migrationspolitik verlangt, hatte am Mittwoch, 29. Januar 2025, für viel Aufregung gesorgt: Der Antrag war mit 348 zu 345 Stimmen aus den Reihen der Union, der AfD, der FDP und sechs fraktionsloser Abgeordneter beschlossen worden.
Die „Brandmauer gegen die AfD“, die speziell die Union immer wieder als unumstößliches Bekenntnis bekräftigt hatte, ist nach Auffassung von Vertretern und Anhängern der SPD und der Grünen damit de facto Geschichte, obwohl es der rot-grünen Regierung Scholz frei steht, bis zur Bundestagswahl am 23. Februar überhaupt etwas von den geforderten Maßnahmen umzusetzen.
Vor der CDU-Parteizentrale in Berlin hatten sich am Abend spontan mehrere Hundert Menschen versammelt, um gegen gemeinsame Abstimmungen von Union und AfD zu protestieren.
Namentliche Abstimmung kurz vor 12:00 Uhr
Für noch mehr Ablehnung von SPD und Grünen könnte eine weitere Abstimmung am Freitag, 31. Januar 2025, sorgen. Denn dann geht es ab 10:30 Uhr um die finale Debatte des Gesetzentwurfs „zur Begrenzung des illegalen Zustroms von Drittstaatsangehörigen nach Deutschland“ (Zustrombegrenzungsgesetz, BT-Drucksache 20/12804, PDF).
Die Union hatte ihren Antrag dazu auf Druck der AfD-Fraktion auf die Tagesordnung setzen lassen. Nach der 70-minütigen Aussprache wird namentlich abgestimmt.
Der Gesetzentwurf in Kürze
Die Beschlussvorlage zum Zustrombegrenzungsgesetz zielt unter anderem darauf ab, das Wort „Begrenzung“ wieder „als ausdrückliche übergeordnete Vorgabe“ in Paragraf 1 des Aufenthaltsgesetzes schreiben zu lassen. CDU und CSU fordern im Gesetzentwurf auch ein Ende des Familiennachzugs für subsidiär geschützte Flüchtlinge.
Ferner sollen Beamte der Bundespolizei in ihrem Zuständigkeitsbereich – hier sind unter anderem die Bahnhöfe gemeint – aufenthaltsbeendende Maßnahmen durchführen dürfen, sobald sie Ausreisepflichtige antreffen. Die Bundespolizei soll auch befugt werden, selbstständig Anträge auf Haft und Gewahrsam zu stellen, um Abschiebungen zu erleichtern.
All das solle im Einklang mit „umfassenden Grenzkontrollen und Zurückweisungen an den deutschen Grenzen“ einhergehen. Diese seien „allerdings auf Basis des geltenden Rechts bereits möglich, sodass insofern keine gesetzlichen Änderungen erforderlich sind“, heißt es im Entwurf.
Eine Beschlussempfehlung des Innenausschusses (BT-Drucksache 20/13648, PDF) liegt bereits seit dem 6. November 2024 vor – jenem Tag, an dem in den Abendstunden die Ampelregierung zerbrach.
Die aus der Regierung gefallene FDP-Fraktion wird sich nun aber nicht mehr an die Ausschussempfehlung halten müssen, dagegen zu stimmen. Somit könnte auch das Zustrombegrenzungsgesetz mit den Stimmen aus den Reihen der Union, der AfD, der FDP, des BSW und der Fraktionslosen Abgeordneten des Bundestags verabschiedet werden.
Zustimmung von AfD, FDP und BSW gilt als sicher
Die AfD-Fraktion signalisierte bereits mehrfach ihre Zustimmung. Die FDP in Gestalt ihres Generalsekretärs Marco Buschmann ebenfalls: Er sprach sich auf seinem X-Kanal für einen „Richtungswechsel in der Migrationspolitik“ aus.
Nach Informationen des „Handelsblatts“ (Bezahlschranke) will auch das BSW am Freitag zustimmen. Am Mittwoch hatte sich die Partei beim Fünf-Punkte-Plan noch enthalten und einen zweiten Unionsantrag mit 27 Forderungen zur Verbesserung der inneren Sicherheit abgelehnt. Dieser Zweite war am Mittwoch mit 509 zu 190 Nein-Stimmen gescheitert (BT-Drucksache 20/14699, PDF).
Wie die Mittwochsabstimmung zum Fünf-Punkte-Plan gezeigt hatte, könnte das Zustrombegrenzungsgesetz den Bundestag aber auch dann passieren, wenn die Stimmen des BSW ausblieben. Entscheidend ist die jeweilige Anzahl der abgegebenen Stimmen.
Merz bittet SPD und Grüne um ihre Stimmen
Dass die Unionsfraktion ihren eigenen Antrag ablehnen wird, erscheint unwahrscheinlich, zumal Fraktionschef und Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) zuletzt immer wieder betont hatte, auf „Taktiererei“ und „Spielchen“ verzichten zu wollen. Zudem hatte er auf X für den Gesetzentwurf getrommelt:
Wir schlagen vor, das Wort ‚Begrenzung‘ der Zuwanderung wieder in das Aufenthaltsgesetz aufzunehmen, den Familiennachzug zu stoppen für diejenigen, die kein dauerhaftes Aufenthaltsrecht in Deutschland haben und der Bundespolizei Kompetenzen zu geben, um bei den Abschiebungen und Rückführungen zu helfen. Wer könnte da dagegen sein?“
Sein Bedauern wegen der bislang verweigerten Zustimmung von SPD und Grünen zu einem Wandel der deutschen Asylpolitik und seine erneute Bitte für eine gemeinsame Umkehr dürften allerdings weiter auf taube Ohren stoßen.
Unverständnis und Entsetzen bei Grün und Rot
Britta Haßelmann beispielsweise, die Cofraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, hatte bereits die gemeinsame Abstimmung von Mitgliedern von Union und AfD zum Fünf-Punkte-Plan als Beschluss „jenseits der demokratischen Mitte“ verurteilt. Der 29. Januar sei ein „historischer Tag, und zwar im negativen Sinne“. Die Verantwortung dafür trage Friedrich Merz (Kurzvideo auf YouTube).
Ähnlich hatte sich die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) im ZDF geäußert: Dass Merz erstmals in der deutschen Nachkriegsgeschichte eine Mehrheit „abseits der politischen Mitte“ gesucht und gefunden habe, sei ein „Tabubruch“, womöglich sogar ein „Dammbruch“.
Sebastian Hartmann, der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, erklärte im Gespräch mit der „Welt“ (Bezahlschranke), dass Merz nicht mit den Stimmen der Sozialdemokraten rechnen könne: „Die inhaltliche Kritik der SPD am Entwurf bleibt bestehen und schließt jede Zustimmung aus“.
Die pauschale Abschaffung des Familiennachzugs lasse sich nach Hartmanns Meinung nicht mit „europäischem Recht“ vereinbaren. Die Kompetenz zwischen der Polizei von Bund und Ländern per einfachem Gesetzesbeschluss neu zu fassen, halte er für „verfassungsrechtlich fraglich“. Sollte Merz trotzdem auf die Unterstützung von AfD und FDP hoffen, so Hartmann, so ziele der Unionschef zudem auf einen „grundlegenden Dammbruch in Form des Schulterschlusses der extremen Rechten mit den Konservativen“ ab.
Der Bundesrat als Hürde
Ob das Zustrombegrenzungsgesetz irgendwann seine Wirkung entfalten wird, erscheint trotz aller Aufregung alles andere als sicher. Denn auch wenn es den Bundestag am Freitag erfolgreich passieren sollte, steht nicht fest, dass auch eine Mehrheit im Bundesrat ihren Segen geben wird.
Die Länderkammer besteht aus 69 Vertretern der 16 Landesregierungen. Die jeweiligen Oppositionsparteien sind nicht vertreten. Für eine absolute Mehrheit sind 35 Stimmen nötig.
Die Union regiert derzeit in neun Ländern mit – in drei Ländern an der Seite der Grünen, in fünf Ländern zusammen mit der SPD. Nur wenn die jeweiligen Koalitionspartner alle mitspielen sollten, könnte sie das Gewicht von 43 Stimmen in die Waagschale werfen. Das gilt zumindest beim grün dominierten Baden-Württemberg mit seinen sechs Stimmen für unwahrscheinlich. Aus Ländern, in denen die SPD den Ton angibt, ist ohnehin nicht viel Zustimmung zu erwarten.
Der Bremer Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) etwa erklärte gegenüber der „Welt“, im Bundesrat keinem Gesetz zustimmen zu wollen, „das ohne die Zustimmung der AfD dort überhaupt nicht zur Abstimmung stünde“. Und weiter:
„Die Brandmauer steht. Ich werde da keinen einzigen Millimeter nachgeben.“
Bovenschulte betonte, sich in der Frage nach einem „wirksamen Schutz der europäischen Außengrenzen“ auch weiter für eine „solidarische, europäische Lösung“ einzusetzen. „Nationale Alleingänge, die die europäische Idee dauerhaft beschädigen“, lehne er ab.
Günther (CDU) will im Bundesrat dagegen halten – Söder glaubt nicht daran
Nach Informationen der „Bild“ soll auch Daniel Günther (CDU), der Chef der schwarz-grünen Landesregierung von Schleswig-Holstein, schon während einer CDU-Bundesvorstandssitzung am Dienstag seinen Widerstand angekündigt haben. Der Chef der schwarz-grünen Landesregierung in Kiel hatte nach „Bild“-Informationen die Ansage gemacht, er werde im Bundesrat all das ablehnen, was mithilfe der AfD im Bundestag beschlossen werde. Überhaupt halte Günther es nicht für notwendig, noch vor der Bundestagswahl Gesetzesänderungen zu beschließen. Sollte er ernst machen, würden vier Stimmen fehlen.
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) glaubt aber offenbar nicht daran, dass Günther seiner Ankündigung Taten folgen lassen wird. In einem Auftritt in der ARD-Sendung „maischberger“ sagte Söder am Dienstagabend: „Herr Günther ist immer mutig und stark im Interview, aber dann vor den Augen im Parteivorstand stimmt er schon zu“ (Video ab ca. 12:00 Min. in der ARD-„Mediathek“).
Söder: „Es wird keine Brandmauer fallen“
Von einem Ende der „Brandmauer“ zur AfD wollte Söder nichts wissen: Es handele sich nicht um eine Zusammenarbeit „und es wird auch keine Brandmauer fallen“. Das wäre nach Söders Ansicht erst dann der Fall, „wenn man sich abstimmt mit der AfD, wenn man gemeinsame Anträge stellt, wenn man vorher gemeinsam berät“. Das aber sei „ja definitiv nicht der Fall“.
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