Wie Giffey und Klingbeil die dringendsten Probleme bewältigen wollen
Nach der zweitägigen SPD-Klausurtagung im Berliner Willi-Brandt-Haus haben sich der SPD-Bundesvorsitzende Lars Klingbeil und Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey am 9. Januar den Fragen der Journalisten gestellt.
Giffey bezeichnete die Silvesterkrawalle in Berlin als „integrationspolitische Zäsur“. Nun gelte es, die tiefer dahinter liegenden Probleme mit Mitteln der „sozialen Infrastruktur“ anzugehen: Hier seien die Jugendsozialarbeit, der Schulsozialarbeit und der Elternansprache im Rahmen einer „differenzierten lösungsorientierten Debatte“ gefragt. Respekt und Zusammenhalt müssten gestärkt werden. Das gehe nur in einem gemeinschaftlichen Dialog zwischen Stadt, Wirtschaft und Zivilgesellschaft.
„Ausgestreckte Hand und Stoppsignal“
Die Dinge seien „klar zu benennen“, sagte Giffey. „Stammtischpolemik“, „Gruppen-Bashing“ oder die Unterscheidung Tatverdächtiger nach Vornamen seien allerdings nicht zielführend. Bei der bisherigen Integrationspolitik der Stadt sei „nicht alles schlecht“ gelaufen, wie die „sehr, sehr vielen“ Menschen mit Migrationshintergrund belegten, die sich bei der Berliner Polizei oder Feuerwehr engagieren. In einer Weltmetropole wie Berlin existierten zwar die „schönsten Dinge, aber auch die schwersten Probleme“. Berlin sei „mehr als die Summe seiner Probleme“, so Giffey.
Die Berliner Polizei habe bislang 22 ermittelte Verfahren aus der Silvesternacht an die Staatsanwaltschaft übergeben. Es sei nicht so, dass es nicht genügend Strafmöglichkeiten gebe, erklärte Giffey. Wichtig sei, dass es zu einer „schnellen Bestrafung“ und einer Beschleunigung der Verfahren kommen könne. Dafür müsse die Beweislage aber klar sein. Erst vor wenigen Tagen sei eine „Schwerpunkteinrichtung“ geschaffen worden, die sich ausschließlich mit den Silvestervorfällen befasse. „Gerade bei jugendlichen Erststraftätern“ sei es wichtig, genau hinzusehen und schnell zu handeln. Es gelte der Grundsatz „Ausgestreckte Hand und Stoppsignal“. Bei alldem gebe es keinerlei Dissens zu ihren Koalitionspartnern.
Für verschärftes Waffen- und Sprengstoffrecht
Bei der nächsten Innenministerkonferenz Mitte Juni wolle sie sich als Gastgeber dafür einsetzen, eine Verschärfung des Waffen- und Sprengstoffrechtes durchzusetzen. Sie rechne zwar nicht mit einem bundesweiten Böllerverbot, wolle aber zumindest erreichen, dass jedes Bundesland bestimmte Schreckschusspistolen oder Böller selbstständig untersagen dürfe. Zudem wolle sie die Voraussetzungen zum Erwerb eines kleinen Waffenscheins einer Überprüfung unterziehen. Der Berliner Polizei sprach Giffey ein großes Lob aus, weil es ihr gelungen sei, ohne eigenen Waffengebrauch auf Schreckschusspistolen zu reagieren.
Giffey wies das Ansinnen der CSU zurück, über Kürzungen im Länderfinanzausgleich Druck auf ihre Stadt auszuüben. Auch „bedarfsorientierte“ Leistungen, die ausschließlich in Berlin gewährt würden, müssten möglich bleiben – wie etwa das 29-Euro-Ticket für den Berliner ÖVNP. Sie verstehe das Ticket als Teil eines „eigenen Berliner Entlastungspakets“, das Berlin ohne neue Schulden, allein „aus seiner eigenen Wirtschaftskraft“ gestemmt habe.
Allein im ersten Halbjahr 2022 habe es in Berlin ein Wirtschaftswachstum von 3,7 Prozent gegeben, betonte Giffey. Berlin habe es außerdem geschafft, die Erstversorgung und Verteilung von rund 350.000 Flüchtlingen aus der Ukraine zu organisieren und die Berliner wegen deren Sorgen um die Energieversorgung zu entlasten.
Eine konkrete Aussage über potenzielle Koalitionspartner nach der Wiederholungswahl des Abgeordnetenhauses am 12. Februar wollte sich Giffey nicht entlocken lassen: „Wir arbeiten daran, dass die SPD stärkste Kraft wird“. Sie forderte einen Schulterschluss der „Sozialdemokratie als führende, als ausgleichende Kraft“, um die anstehenden Krisen zu „managen“ und „gestärkt aus diesem schwierigen Jahr 2022 und auch den davor liegenden Corona-Jahren“ hervorzugehen.
Klingbeil will Infrastruktur modernisieren
Dass dies gelingen wird, davon ist der Partei-Covorsitzende Lars Klingbeil überzeugt: Giffey verfolge einen „klaren und ehrlichen“ Kurs, werde als „Problemlöserin“ wahrgenommen und genieße deshalb „Ansehen und Vertrauen“ bei der Berliner Bevölkerung.
Getreu dem Klausurtagungsmotto „Fortschritt im Wandel: Deutschland packt das“ betonte Klingbeil die Notwendigkeit, die Infrastruktur Deutschlands noch schneller zu verbessern. Eine funktionierende Infrastruktur sei „Garant für wirtschaftlichen Erfolg, für Aufstiegschancen, Zusammenhalt in unserer Gesellschaft“ und zugleich Voraussetzung und Grundlage für die ökonomische Stärke des Landes. Bei der Bahn, bei den Brücken und auch bei der Digitalisierung sei in den letzten Jahren einiges ins Stocken geraten, räumte Klingbeil ein. „Wenn wir wollen, dass Deutschland in fünf und zehn Jahren auch noch ein starkes Land ist, dann müssen wir jetzt eine neue ökonomische Stärke aufbauen“, forderte Klingbeil. Andernfalls verlöre man „die ökonomische Kraft und das Vertrauen in den Staat“.
Er sei deshalb sicher, den grünen und gelben Koalitionspartner auch in Sachen Finanzierung der Infrastruktur-Investitionen möglichst rasch überzeugen zu können. „Ich kann nicht mehr zulassen, dass der Bau einer Straße 17 Jahre dauert“, sagte Klingbeil.
Anerkennung zollte Klingbeil der Tatsache, dass das LNG-Terminal in Wilhelmshaven in nur 200 Tagen in Betrieb genommen werden konnte. Dies beweise die Leistungsfähigkeit Deutschlands. Es bedürfe eines „Turbos“, um künftig noch schneller zu werden – auch bei Windkraft und Photovoltaik. Für den neuen Bundesverkehrswegeplan erwarte er „schnelle Lösungen“, auch zum „Aspekt Klimaschutz“.
Kommt der „Transformationssoli“?
Mit seiner Co-Parteivorsitzenden Saskia Esken leite er gemeinsam die neue, eigens eingerichtete Kommission für Steuern und Finanzen. Er gehe davon aus, dass konkrete Antworten für staatliche Investitionen unter Berücksichtigung von Verteilungs- und Gerechtigkeitsfragen beim SPD-Bundesparteitag im Dezember 2023 vorgelegt werden könnten, sagte Klingbeil. Die Frage, ob zur Finanzierung der Infrastrukturpläne irgendeine neue Abgabe, eine Vermögenssteuer oder ein „Transformationssoli“ kommen könnten, ließ der Parteichef offen: Das seien alles „Dinge, die wir uns angucken werden“. Der Debatte mit den Koalitionspartnern wolle er nicht vorgreifen.
Ebenso wenig äußern wollte sich der SPD-Chef zu Berichten, nach denen Finanzminister Christian Lindner (FDP) wegen Verdachts auf Vorteilnahme wegen eines Bankgeschäfts seine Immunität verlieren könnte: „Das müssen andere bewerten“. In der Regierungskoalition gebe es jedenfalls eine „enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit“.
Klingbeil: Aus für AKWs endgültig
Von einer Verlängerung der Kernkraftwerkslaufzeiten über Mitte April 2023 hinaus wollte Klingbeil nichts wissen: Diese Frage sei „entschieden“, „da gibt’s nichts mehr dran zu rütteln“, stellte Klingbeil klar. Man müsse den „Blick nach vorne“ richten und beim Ausbau der Infrastruktur für erneuerbare Energie „viel schneller werden“.
„Wir sind gut durch das Jahr 22 gekommen“, sagte Klingbeil und er danke Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) dafür, „dass die Gasspeicher gefüllt sind, dass wir gut durch diesen Winter kommen, dass das Krisenmanagement der Bundesregierung in den letzten Jahren, in schwierigen Zeiten, gut funktioniert hat“.
Solidarität zu Lula und der Ukraine
„Die Stürmung“ des Kongressgebäudes und des Obersten Gerichtshofs in Brasilia durch Bolsonaro-Anhänger habe ihn „erschüttert“, sagte Klingbeil. Es handele sich um einen „geplanten Angriff auf die brasilianische Demokratie“, der „auf Grundlage einer Lüge über eine Wahlfälschung“ geschehen sei. Die SPD stehe eng an der Seite von Präsident Lula und in „voller Solidarität“ zur brasilianischen „Schwesterpartei PT“. Was im „gespaltenen, hoch polarisierten“ Brasilien passiert sei, müsse nun aufgeklärt werden.
„Die größte Gefahr für Demokratie kommt von Rechtsaußen“, so Klingbeils Überzeugung. Er unterstütze Giffeys Ideen für eine Verschärfung des Waffenrechts und erinnerte an die „Reichsbürger-Razzia“ vom 7. Dezember: „Es kann nicht sein, dass solche Menschen bewaffnet sind.“
Außenpolitisch unterstütze er zudem „uneingeschränkt“ die Zusagen von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Marder-Kampfpanzer an die Ukraine auszuliefern. „Wir stehen an der Seite der Ukraine“, erklärte Klingbeil.
Kritik am „lauten Schweigen“ der Union
Kritik übte Klingbeil an CDU und CSU für deren „wirres Berlin-Bashing“ der vergangenen Tage, für die „Stigmatisierung von gesellschaftlichen Gruppen“, für deren „absurde Anträge über Vornamen“ und für das „laute Schweigen“ der Union zu den Vorfällen von Borna, Görlitz und Hildburghausen. An diesen drei Orten hätten Rechtsextreme manche Sicherheitskräfte mit „Sieg Heil“-Rufen angegriffen hätten. Dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder ginge es „nicht um die Menschen, ihm geht es um Wahlkampf“, kritisierte Klingbeil.
[Das Video der Pressekonferenz gibt’s auch auf YouTube]
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